- Politik
- Ende der Freizügigkeit
Martin Sellner droht eigene »Remigration«
Rechtsextremer Influencer soll Einreiseverbot für Deutschland erhalten
Das Bundesinnenministerium prüft, ob gegen den Österreicher Martin Sellner eine Einreisesperre verhängt werden kann. Die zuständige Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) ist dazu in Gesprächen mit den Ländern, berichtete zuerst das Magazin t-online. Demnach sei darüber in der vergangenen Woche in einer nicht öffentlichen Sitzung im Innenausschuss gesprochen worden.
Der 35-jährige Sellner war in den Zehnerjahren das bekannteste Gesicht und bis Anfang 2023 auch Sprecher der rechtsextremen »Identitären Bewegung« im deutschsprachigen Raum. Er hat den Begriff der »Remigration« geprägt und meint damit die millionenfache Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland oder Österreich – auch, wenn diese oder ihre Angehörigen längst die Staatsangehörigkeit dieser Länder innehaben.
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Ende November hatte Sellner auf einem Geheimtreffen von AfD, Rechtsextremen und Geldgebern in Potsdam referiert. Dies hatte vor zwei Wochen das Recherchezentrum Correctiv öffentlich gemacht, die Informationen führten schließlich zu anhaltenden, bundesweiten Massenprotesten gegen rechts.
Einreisesperren und Aufenthaltsverbote werden gewöhnlich gegen Ausländer aus Nicht-EU-Staaten verhängt, nachdem diese aus deutschem Hoheitsgebiet abgeschoben oder ausgewiesen wurden. Die Maßnahmen gelten dann im gesamten Schengen-Raum und werden in polizeilichen Fahndungsdatenbanken vermerkt.
Als Österreicher kann Sellner jedoch vom Gesetz zur allgemeinen Freizügigkeit von Unionsbürgern profitieren und hat damit ein grundsätzliches Aufenthaltsrecht auch in Deutschland. Diese Bewegungsfreiheit kann befristet entzogen werden, dafür gibt es aber hohe Hürden. Zunächst muss eine Ausländerbehörde einen entsprechenden Antrag stellen, der Betroffene muss dazu angehört werden. Deutsche Behörden hatten 1991 ein solches Einreiseverbot gegen den ebenfalls aus Österreich stammenden Neonazi Gottfried Küssel verhängt. Sellner soll zu dem Kreis gehört haben, mit dem Küssel eine Untergrundmiliz aufbauen wollte.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Sellner von einem Aufenthaltsverbot innerhalb der EU betroffen wäre: Als (damals noch) Unionsmitglied hat die britische Regierung Sellner im Jahr 2018 zweimal in London festnehmen und abschieben lassen. Er habe zum »Rassenhass aufstacheln« wollen, so die Begründung.
Die Maßnahme unterscheidet sich zum Vorgehen gegen Rechtsextreme wie etwa beim jährlichen »LukovMarsch« in Sofia (Bulgarien) oder dem ebenfalls jährlichen »Heldengedenken« in Budapest (Ungarn). Dort verhängen deutsche Behörden Ausreisesperren für eigene Staatsangehörige, die sich auf das Passgesetz stützen. Linke Gegendemonstranten waren mit derselben Begründung am Flughafen in Berlin gestoppt worden.
Diese Ausreisesperre hatte im politischen Kontext zuerst der damalige Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gegen linke Aktivisten verhängt, die zum Protest gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua reisen wollten. In einem Gastbeitrag für den »Tagesspiegel« brachte Körting vor zwei Wochen ein mögliches Einreiseverbot Sellners in die Bundesrepublik Deutschland erstmals ins Spiel.
Die Prüfung einer Einreisesperre für Sellner fordert auch Mehmet Daimagüler, der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, der dazu am Dienstag ein Schreiben an das Innenministerium gerichtet hat. Die »Identitäre Bewegung« sei beispielhaft für »Bemühungen rechtsextremer Kräfte um eine internationale, insbesondere transeuropäische Vernetzung«, ihre Mitglieder deshalb als »rechte Gefährder« zu betrachten, heißt es darin.
Im Gespräch mit dem »nd« erläutert Daigüler seine Forderung: Zwar handele es sich bei der Freizügigkeit für EU-Bürger im Schengen-Raum um ein hohes Gut. Dieses müsse jedoch abgewogen werden mit dem ebenfalls hohen Gut der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung. Wenn Sellner die Deportation von Millionen Deutschen fordere, müsse diese Abwägung zuungunsten von Herrn Sellner erfolgen, sagt Daimagüler zum »nd«.
Neben dem Geheimtreffen in Potsdam soll Sellner auch zu einem Treffen in der Wohnung des früheren Berliner Finanzsenators Kurth angereist sein, erinnert Martina Renner, die Linke-Sprecherin für Antifaschismus im Bundestag. Dort habe er »mit gleich und ähnlich gesinnten Nazis, Burschenschaftlern und Konservativen« nicht nur die Abschaffung von Menschen- und Bürgerrechten diskutiert, sondern auch Geld dafür gesammelt. »Es liegt eigentlich auf der Hand, sich die Frage zu stellen, ob ihm das uneingeschränkt möglich sein sollte«, sagt Renner zum »nd«.
Immerhin haben die Behörden den rechtsextremen Österreicher bereits auf dem Radar – und offenbar in ihrer Fahndungsdatenbank INPOL gespeichert: An seinem 35. Geburtstag am 8. Januar musste Sellner beim Grenzübertritt in einem Reisebus eine 40-minütige Gepäckkontrolle über sich ergehen lassen, berichtet t-online. Anschließend hat er in Dresden an der rechtsextremen Unterwanderung der »Bauernproteste« durch die »Freien Sachsen« als prominenter Redner teilgenommen.
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