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Lyrikerin Elke Erb – »Das Gedicht ist, was es tut«
Ihr Weltzugang in Versen und Sätzen wird fehlen, Generationen haben von ihr gelernt: Nachruf auf die Lyrikerin Elke Erb
Wer sich einen Reim auf etwas macht, will nichts begreifen. Kunst-Kniffe, Effekthascherei mit Sprache, Hätscheln erlesener Wörter, das war Elke Erbs Sache nicht … Auch wenn sie den Reim an sich keineswegs verschmähte, generell ohne strenge konzeptuelle Regeln verstand zu dichten. Formen entstehen nicht am Reißbrett, sondern liegen vielleicht eher in der Luft. Elke Erbs Lyrik – Erzählungen, Romane, Dramen gibt es von ihr nicht, wenn auch viel Prosa aus Tagebüchern – war eine unverblümte, aber tastende, genaue, doch nie rechthaberische Weise der Weltwahrnehmung in Sätzen.
So eine Pseudo-Definition ist auf grässliche Art abstrakt. Man konnte sie keiner Dichter-Schule unterstellen, auch wenn Elke Erb oft in Gesellschaft war und mehrere Generationen Schreibender sie eben nicht nur bewundern konnten, sondern sich mit ihr – bis ihr Gedächtnis dann vor einigen Jahren schwach wurde – gut und gründlich unterhalten. Voraussetzung war, man plapperte keine groben Selbstverständlichkeiten vor sich her.
Erleben, was da steht auf dem Papier, darum ging es. Lesen und Schreiben kennen eine Ethik, folgt man den Gesten eines Textes, versteht ihn als Körper, ist es möglich, ein sprachliches Geschehen ohne Handlung oder Figuren so zu erfahren, dass man selber merkt, was für ein Kerl der Text ist.
Elke Erb kam 1938 in Scherbach im Rheinland auf die Welt. Ihr Vater, ein Literaturwissenschaftler und nach der Kriegsgefangenschaft Kommunist, der eigentlich Pfarrer werden sollte, holte sie mit den Schwestern nach Halle an der Saale, wo sie eine Zeit lang in den Franckeschen Stiftungen wohnten. Keine Idylle. Nachdem sie als Landarbeiterin ihren Dienst abgeleistet hatte, folgte ein Studium: Lehramt Deutsch und Russisch.
Die große österreichische Dichterin Friederike Mayröcker, mit der sie manchmal unsinnigerweise verglichen wurde, verlor ihre Stimme im Schuldienst. Elke Erb unterrichtete nur kurz, wurde Lektorin im Mitteldeutschen Verlag, aber dieser Umgang mit Sprache, diese Anstellung führte zu einem Nervenzusammenbruch. Erneut Landarbeit, in der Altmark, dann wurde sie freie Schriftstellerin, schrieb gegen Geld aber Gutachten zu russischer Literatur, und übersetzte später etwa Marina Zwetajewa oder später Oleg Jurjew, oft mit anderen zusammen. »Gutachten« hieß übrigens ihr erster Band 1975, erschienen bei Aufbau. Im Westen folgt ein Jahr später »Einer schreit: Nicht!«.
Mit ihrem Ehemann für viele Jahre, Adolf Endler, der selber Dichter war und Vater ihres Sohnes Konrad, lebte sie dann in Ostberlin. In Prenzlauer Berg traf man sich, etwa im Wohnzimmer respektive Salon von Ekkehard Maaß, und las einander vor, diskutierte, stritt, aß, trank. Bert Papenfuß war da, Uwe Kolbe, Peter Brasch, Sascha Anderson. Man lernte voneinander ohne Gruppenzwang und Einheits-Poetik.
Wegen einer unliebsamen Ost-West-Anthologie wurde das MfS auf sie aufmerksam; ausgeschlossen aus dem Schriftstellerverband wurde Elke Erb nicht. Anerkennung kam aus BRD wie DDR. 1988 etwa wurde sie mit dem Peter-Huchel-Preis des SWR ausgezeichnet für den Band »Kastanienallee«, der noch immer bei Aufbau erscheinen konnte.
Nach der Wende veröffentlichte der Ostberliner Verlag Druckhaus Galrev, der den gesamtdeutschen Betrieb links liegen ließ, 1991 »Winkelzüge oder Nicht vermutete, aufschlußreiche Zusammenhänge« – ein Buch, das zeigt, was Dichtung tut, dabei Denken, Schreiben, Leben in ein existenzielles, risikoreiches Verhältnis setzt, die »Verwandlung der Schreibwerkstatt in einen offenen Lebensraum« vorantreibt, ohne den alten avantgardistischen Marschschritt. »Wer sich so radikal der Sprache ausliefert wie Elke Erb, erträgt weder Ideologien noch Marktstrategien«, schrieb die Schweizer Journalistin Lisbeth Herger in ihrer Rezension der »Winkelzüge«.
Es folgten viele Veröffentlichungen in kleinen Verlagen. Die meisten Bücher von Elke Erb publizierte Urs Engeler, in dessen Verlag Roughbooks zuletzt der Band »Gedichtverdacht« erschien: Er bietet einen guten Einstieg in die Erb-Lektüre; der älteste darin gedruckte Text ist von 1970. Denn kein Text wird aufgegeben! Werk-Phasen, die sauber voneinander getrennt sind, zeitraubendes Fortschrittsdenken und kaltes Hinter-sich-Lassen, auch dem widerstrebte ihr Schreiben.
Die Sommer verbrachte Elke Erb in Wuischke, auf dem Land, meistens aber in Berlin, eine Zeitlang in einer WG mit dem Lyriker Christian Filips, als sie schon über 70 war. Ganz spät kam dann der Büchner-Preis, 2020. Suhrkamp stellte einen Auswahlband zusammen, denn viel von Erb war längst vergriffen. Die Käuferinnen und Käufer waren meist Leute, die selber dichten. Ihre Dankesrede damals war keine Bauchpinselei des Betriebs, aber genauso wenig eine kompakte Poetik. Elke Erb machte Büchners Drama »Leonce und Lena« zu einem »rein sprachlichen Ablauf«, und der endet so:
»… es wird ein Dekret erlassen, daß, wer sich Schwielen in die Hände schafft, unter Kuratel gestellt wird; daß, wer sich krank arbeitet, kriminalistisch strafbar ist; daß jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird; und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!«
Am Montagabend ist Elke Erb im Alter von 85 Jahren gestorben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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