Kai Wegner im Görlitzer Park: Wandertag im Gefahrengebiet

Lauter Anwohner-Protest bei Wegner-Besuch im Görlitzer Park

Der Senat auf Kaffeefahrt: Gemeinsam bereisten die Senatsmitglieder am Dienstag den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Zuvor hatten sie mit dem Bezirksamt eine gemeinsame Sitzung im Rathaus an der Frankfurter Allee in Friedrichshain gehalten. Dass das Verhältnis zwischen der Landes- und Bezirksregierung nicht das beste ist, ist allgemein bekannt – das konnte auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) trotz des Austausches obligatorischer Freundlichkeitsbekundungen auf der anschließenden Pressekonferenz nicht verbergen: »Natürlich gibt es auch unterschiedliche Ansichten«, fasste er die zahlreichen Kontroversen salomonisch zusammen. »Aber den Menschen hilft es auch nicht, wenn immer nur das Trennende in den Vordergrund gestellt wird.«

Konkret bedeutet das vor allem, dass der Bezirk zurückstecken muss, wie sich kurz darauf am größten Zankapfel zwischen den zwei Institutionen zeigte. »Zum Görlitzer Park konnten wir uns nicht verständigen. Der Senat wird dort jetzt handeln«, sagte Wegner. Der schwarz-rote Senat möchte einen Zaun rund um die zentrale Parkanlage ziehen und den »Görli« nachts abschließen. So soll der dort grassierende Drogenhandel eingedämmt werden. Der Bezirk hatte sich stattdessen Investitionen in die umliegende soziale Infrastruktur gewünscht, wie Bezirksbürgermeisterin Clara Hermann zerknirscht zu Protokoll gab. »Wir halten den Zaun für falsch«, sagte sie. Immerhin: Die »Anregungen« des Bezirks habe man zur Kenntnis genommen und wolle sie in ein ganzheitliches Konzept einfließen lassen, so Wegner.

Bis dahin wird es aber länger dauern als zunächst gedacht. Wie parallel zur Senatssitzung bekannt wurde, verzögert sich der Zaunbau weiter. Die Senatsumweltverwaltung, die für die Umsetzung des Zaunprojekts zuständig ist, gehe demnach davon aus, dass der Zaun bis zum Sommer errichtet sein soll, wie aus einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur hervorgeht. Weil Fristen für Ausschreibungen beachtet werden müssten, könnte sich der Bauabschluss damit bis in den September ziehen. Zunächst hatte Wegner angekündigt, dass der Zaun bis Jahresbeginn 2024 stehen solle, um den Bauabschluss zuletzt auf Mai zu schieben. Nun wird es offenbar noch länger dauern. Bleiben soll es aber dabei, dass die nächtliche Schließung zunächst nur ein einjähriger Versuch sein wird. »Das Ziel ist, dass der Park offen sein soll, aber das geht nur, wenn er auch sicher ist«, so Wegner.

Vor Ort kommt der Plan nicht gut an. Für die Station der Senats-Bustour am Görlitzer Park hatten im Vorfeld Anwohner eine Kundgebung angemeldet, um gegen den Zaun zu protestieren. Mit Schildern und Transparenten empfingen etwa 200 von ihnen den Bus am späten Dienstagnachmittag. Als die Senatoren ausstiegen, schlug ihnen ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert entgegen. Demonstranten riefen: »Haut ab!«

Einzelne Demonstranten versuchten, im Gewühl mit dem Regierenden ins Gespräch zu kommen, die Kontaktaufnahme scheiterte zumeist aber schon am Lautstärkepegel. »Wir wollen hier keinen Zaun, wir wollen soziale Lösungen«, rief ein Demoteilnehmer Wegner zu, der die Wortmeldung nur mit mildem Lächeln abnickte. Ein anderer warf dem Regierenden vor, keinen Kontakt mit den Anwohnern gesucht zu haben.

Teilnehmer bezeichneten die geplante Umzäunung als »Symbolpolitik«. Viele befürchteten, die Schließung des Parks führe dazu, dass sich die Drogenproblematik stärker in den umliegenden Kiez verlagere. Auch hier unterstützten viele die Forderung, stattdessen die Sozialarbeit im anliegenden Wrangelkiez zu unterstützen. Auch Drogenkonsumräume, mit denen der Konsum von der Straße geholt und sicherer gemacht werden soll, hielten viele für eine Lösung.

Wegner gab sich im Anschluss um Verständigung bemüht. »Die Menschen, die sich beschwert haben, haben ernsthafte Anliegen, und damit setze ich mich gerne auseinander«, sagte der Regierende – um die Demonstration im nächsten Atemzug herunterzuspielen. Im Vorfeld hätten große Aufrufe die Runde gemacht, dass jetzt »nur 200 Demonstranten« gekommen seien, sei »ein Signal«. Innensenatorin Iris Spranger (SPD), ebenfalls eine Verfechterin der Görli-Schließung, verwies darauf, dass sich bei ihr viele Anwohner mit unterstützenden Briefen gemeldet hätten. »Es hat sich nicht ganz Kreuzberg hier hingestellt«, so Spranger.

Die Fronten bleiben verhärtet. Als Wegner und mit ihm die Traube von Demonstranten den Ausgang des Parks erreichte, drängten Polizisten die Demo ab. Für die Senatoren ging es zur nächsten Station, einer Obdachlosenunterkunft in der Ohlauer Straße. Vom Ziel, die Zustände am Görlitzer Park selbst in den Blick zu nehmen, ist wohl nur wenig geblieben. Wegner kann dem Besuch trotzdem etwas Gutes abgewinnen: »Dass wir uns nicht einig sind, hat man gesehen. Aber wir können ja in zwölf Monaten noch mal gucken, wer Recht hatte.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.