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Sterben der Sechstagerennen: Sixday Berlin immerhin an zwei Tagen
Die einst beliebten Bahnradsport-Events haben große Probleme, im Velodrom wird nur am Wochenende gefahren
Roger Kluge kennt die guten alten Sixdays-Zeiten noch aus eigenem Erleben. Im Herbst 2006 fuhr der Berliner – mit bald 38 Jahren einer der dienstältesten Profis im Bahnrad-Zirkus – in Dortmund sein erstes Sechstagerennen im Elite-Bereich. Von Mitte Oktober bis Ende Februar standen damals nahezu wöchentlich Veranstaltungen dieser Art im Wettkampfkalender. Auch in Deutschland gab es eine lebhafte Sixdays-Szene: Nach der Rundenhatz in der Westfalenhalle folgten München, Bremen, Stuttgart und Berlin.
»Heute ist der Kalender schon sehr ausgedünnt«, weiß Roger Kluge nur zu gut. Immerhin: Auf der jüngsten Station, bei den 57. Sixdays in Bremen, konnte er gerade mit seinem Partner Theo Reinhardt wieder mal gewinnen. Die Hansestadt hatte Mitte Januar – nach drei Jahren coronabedingter Zwangspause – gerade ein Comeback hingelegt. Allerdings als leichte Mogelpackung: Statt an sechs gab es nur an vier Tagen die einst so beliebte Mischung aus Sport und Party in der Arena auf der Bürgerweide.
Nun steht das noch traditionsreichere Rennen in Berlin an. Nach dem geglückten Re-Start vor einem Jahr sahen sich die Macher jetzt gezwungen, die Veranstaltung auf zwei Tage zu verkürzen: Unter dem Namen »SixDay-Weekend« findet sie am 26. und 27. Januar im Velordrom an der Landsberger Allee statt. Echte Sechstagerennen gibt es derzeit nur noch im belgischen Gent und bei den niederländischen Nachbarn in Rotterdam. »Die Talsohle ist noch nicht durchschritten. Aber zumindest geht es nicht noch weiter runter«, meint Kluge, der als zweifacher Weltmeister und dreimaliger europäischer Champion einer der Spitzenfahrer in der Madison-Szene ist.
Die Gründe für das Sterben der Sechstagerennen sind vielschichtig. Dortmund, München und Stuttgart verschwanden von der Sixdays-Landkarte Ende der 2000er-Jahre auch in Folge der vielen Diskussionen um Doping im Radsport. Neuen Rennen wie in London und Konzepten wie das der »Sixday-Series« der britischen Madison Sports Group, zu der auch das Berliner Event einige Jahre gehörte, versetzte die Corona-Pandemie den K.o. Ein Problem, das allen Veranstaltern zu schaffen macht, ist das eher ältere, mit Traditionen behaftete Publikum. Neue und jüngere Zielgruppen zu erschließen, fällt schwer.
In Bremen hat der Sixdays-Veranstalter Event Sport & Nord GmbH (ESN) in diesem Jahr neben einem hochklassigen Starterfeld wie in der Vergangenheit stark auf Show und Party gesetzt. Die Schlagerstars Vanessa Mai und Ben Zucker oder das Schunkel-Duo Klaus & Klaus sorgten immerhin für ordentlich Zulauf. »Wir hatten sehr, sehr hohen Druck, sind aber sehr zufrieden und haben sehr erfolgreiche Sixdays mit toller Stimmung erlebt«, sagt Erik Weißpfennig, Sportlicher Leiter und Geschäftsführer der ESN. Ob tatsächlich auch schwarze Zahlen geschrieben wurden, stehe aber noch nicht fest. Auf jeden Fall soll es im kommenden Jahr weitergehen – wieder an vier Tagen, vom 10. bis 13. Januar.
In der Hauptstadt ist der künftige Weg ein wenig unklarer. Die Verkürzung des bevorstehenden 111. Berliner Sechstagerennens geschah aufgrund mangelnder Nachfrage kurzfristig. Von Zeiten, in denen fast 70 000 Besucher zu Bockwurst, Bier und Sportpalast-Walzer an die Landsberger Allee strömten, können die Veranstalter derzeit nur träumen. »Das Format Sechstagerennen sucht seine neue Identität«, erzählt Geschäftsführer Valts Miltovics. 2024 steht der Sport im Fokus, dafür wurden sogar die in Berlin so beliebten Steher-Rennen wieder aufgewertet. Dazu kommen auch wieder mehr Show-Elemente. »Wir haben aber nur eine Halle, nicht vier wie in Bremen. Wir versuchen, Sport und Show zu verbinden«, so Miltovics.
Die Zukunft sieht der Berliner Manager auch wieder bei sechs Renntagen – wie zuletzt im Jahr 2020. Deshalb halte man am bewährten Namen fest. »Der Name ist schon komisch, wenn wir nur zwei Tage fahren. Aber das Ziel ist klar: Wir wollen wieder ein echtes Sechstagerennen – je schneller, je besser. Aber es muss wachsen«, meint Miltovics: »Und irgendwer muss den Spaß ja bezahlen.«
Der sechsmalige Sixdays-Sieger Roger Kluge wünscht sich ebenfalls eine Rückkehr zum klassischen Format – auch aus eigenen wirtschaftlichen Erwägungen. »Für viele Fahrer waren die Gagen bei den Sixdays immer eine Finanzspritze, für manche essenziell«, erklärt der in Eisenhüttenstadt geborene und in Ludwigsfelde lebende Radprofi. Dass er deshalb hilft, stand für ihn außer Frage: »Ich bin Vollblut-Rennfahrer und unterstütze diesen Kraftakt gerne, damit wir vielleicht in Berlin künftig wieder zu den traditionellen sechs Tagen zurückkehren können.« Ob Kluge das allerdings noch als aktiver Rennfahrer erleben wird, darf bezweifelt werden.
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