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Film »Stella.Ein Leben«: Von deutschen Obsessionen
Weil es nicht schon genug zu ihr gibt: Regisseur Kilian Riedhof verfilmt die Biografie Stella Goldschlags
Es ist nicht so, als wäre die Biografie der Stella Goldschlag nicht bekannt. Nach Sachbuch, Dokus und großen Medienstorys über das vermeintliche »Tabu der Holocaust-Forschung« (»Spiegel«) wurde die Lebensgeschichte der jungen Jüdin, die für die Gestapo unzählige versteckte Juden aufspürte, unter dem Titel »Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm« 2016 auf die Musicalbühne gezerrt und 2019 von »Spiegel«-Redakteur Takis Würger als Romanschmonzette verramscht.
Der Publizist Micha Brumlik sprach damals von einer »entwürdigenden Ausbeutung und Verhöhnung eines NS-Opfers«. Goldschlag, die 1943 als Zwangsarbeiterin knapp der Deportation entkommen und in Berlin untergetaucht war, wurde selbst von einer jüdischen sogenannten Greiferin an die Gestapo ausgeliefert. Sie wurde gefoltert und erpresst und unternahm einen Fluchtversuch, bevor sie einwilligte, für die Nazis zu arbeiten, um ihre Eltern und sich selbst zu retten. Ihre Eltern konnte sie nicht vor dem Tod in Auschwitz bewahren.
Doch die Kulturindustrie ist noch nicht fertig mit Stella Goldschlag, die mit zehn Jahren Gefängnis härter bestraft wurde als die meisten NS-Täter, zum Christentum konvertierte, sich antisemitisch äußerte und 1994 Suizid beging. Denn hier kommen zwei deutsche Obsessionen zusammen: die von der schönen Jüdin und die von der jüdischen Mitschuld.
Während sich die Welt an Israel abarbeitet, sah sich der Regisseur Kilian Riedhof, bekannt für zeitgeschichtliche Dramen wie »Gladbeck« oder »Barschel«, berufen, Goldschlags Geschichte in einem Spielfilm zu verbraten, denn: »Es ist für mich ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte. Sie ist im Land meiner Vorfahren passiert. Das Schicksal der Juden in Deutschland ist Teil meiner Geschichte, für die ich eine Verantwortung spüre.«
Vermutlich auch, weil eine Erbin durch Würgers Version und das Musical Persönlichkeitsrechte verletzt sah, wollten Riedhof und sein Produzent Michael Lehmann, der in der DDR erlebt haben will, »wie Diktatur auf Menschen wirkt«, alles richtig machen. Übereifrig erklären sie im Presseheft, wie genau sie recherchiert, wie viele Prozessakten sie gewälzt und wie viele Zeitzeugen sie befragt haben. Nicht müde werden sie zu betonen, mit der Jüdischen Gemeinde, insbesondere dem Historiker Andreas Nachama, dem Zentralrat und Rabbinern im (wie auch immer gearteten) »Austausch« gewesen zu sein, als wäre das eine Art Freibrief.
Zwar dichtet »Stella. Ein Leben« nicht wie Würgers »Stella« Figuren hinzu, verzichtet auf bestimmte abgegriffene NS-Darstellungstopoi und will ein realistischeres und moderneres Berlin zeigen, aber auch Riedhof presst die reale Lebensgeschichte in Klischees einer deutschen Primetime-Arie. Das beginnt bei den Proben von Stellas Band, die die Vorstellungen des Publikums von »Jatz« bedienen, und endet bei »Berlin Babylon«-ähnlichen Verruchtheiten und Orgienekstase im Bombenhagel.
Schon bevor Goldschlag zur Denunziantin wird, unterstellt der Film dem »blonden Gift« Gefühlskälte und Treulosigkeit: »Ich war noch nie so einsam wie mit dir«, sagt ihr erster Ehemann, der jüdische Musiker Manfred Kübler, der auf eine US-Karriere als Sängerin versessenen Femme fatale. Während die Nazis Randfiguren bleiben, die an Weihnachten auch mal Mitgefühl mit den in Auschwitz Ermordeten zeigen, steht Goldschlags skrupelloser Geliebter und späterer Gatte, der Passfälscher Rolf Isaaksohn (keck und verschlagen: Jannis Niewöhner), für den raffgierigen Juden, der die Notlage ausnutzt und seinesgleichen Geld aus der Tasche zieht. Als auch er auffliegt, scheint er mit seiner stets schick zurechtgemachten und ihre Privilegien genießenden Frau Gefallen daran zu finden, im Auftrag der Gestapo auf Menschenjagd zu gehen. Sowohl Drehbuch als auch die entleerte Mimik der dauerpräsenten Paula Beer kommen an ihre Grenzen, wenn es darum gehen müsste, die seelischen Folgen von Verfolgung und Folter erahnbar zu machen.
Es sei wichtig, »den Zuschauer*innen die Chance zu geben, den eigenen moralischen Resonanzboden zum Klingen zu bringen. Damit nie wieder Menschen ihre Haut retten müssen und dabei ihre Seele verlieren«, erklären die Produzenten, deren moralischer Resonanzboden gewaltig zu scheppern scheint.
»Wer sind wir, dass wir uns anmaßen könnten«, fragte Jan Süselbeck vor fünf Jahren zu Recht in seinem Würger-Verriss in der »Zeit«, über Goldschlags »moralische Verstrickung als Holocaust-Opfer zu urteilen?« Der jüngste kulturindustrielle Schlag gipfelt in der reißerischen Frage an das deutsche Publikum auf dem Filmplakat: »Was hättest du getan?«
»Stella. Ein Leben.«: Regie: Kilian Riedhof. Mit: Paula Beer, Jannis Niewöhner, Katja Riemann. 121 Minuten, Start: 25.1.
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