Rekordhoher Krankenstand in Berlin: Es kränkelt und kriselt

Die Zahl der Krankschreibungen hat 2023 erneut zugenommen – vor allem wegen Atemwegserkrankungen und psychischen Problemen

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 3 Min.

Das neue Jahr hat gerade erst angefangen, schon rollt wieder eine Infektionswelle durch die Hauptstadt. Egal ob Behörden, Arztpraxen, Schulen oder Kitas – überall herrscht ein hoher Krankenstand.

Dass mehr Leute als früher krank sind, lässt sich an den Zahlen der Krankschreibungen ablesen: Berliner*innen meldeten sich 2023 so häufig krank wie seit 25 Jahren nicht mehr. Laut DAK stieg der Krankenstand im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozentpunkte auf 5,6 Prozent und erzielte damit einen Rekordwert seit Beginn der Analysen. Durchschnittlich waren täglich von 1000 Beschäftigen 56 krankgeschrieben.

Den größten Anteil der Ausfallursachen machten mit 22,2 Prozent laut DAK Atemwegserkrankungen wie Erkältungen, Bronchitis, Grippe und Covid aus. »Hier gab es einen merklichen Anstieg von rund 13 Prozent«, so die Krankenkasse.

»Die Grippe- und Coronawellen wurden durch die Weihnachtspause unterbrochen, aber jetzt geht es wieder hoch«, sagt Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Dass die Infektionszahlen besonders im Ballungsraum steigen, überrasche ihn nicht: Ob im öffentlichen Nahverkehr, in der Schule oder auch am Arbeitsplatz, überall kämen viele Menschen auf engem Raum zusammen. »Was Berlin tun kann, ist übersichtlich. Wir sehen keine Bereitschaft, wieder Infektionsschutz-Regeln einzuführen«, gibt Schulze zu. Es käme also vor allem auf die »Eigenverantwortung der Leute« an.

Für wichtig hält er kontinuierliches Impfen. »Die Impfbereitschaft ist zu niedrig und das Prozedere der Impfung zu kompliziert«, kritisiert er. Seiner Meinung nach kämen Grippe- und Covid-Impfungen nicht nur den Hochrisikogruppen sondern auch jüngeren Menschen mit nur kleinem Risiko zugute. So sinke die Ansteckungsgefahr und Langzeitfolgen wie Long Covid würden nachweislich minimiert. Zudem empfiehlt er das Tragen von Masken im Nahverkehr und anderen Ballungsräumen. »Aber die rechten Kampagnen gegen das Maskentragen haben viel kaputtgemacht.«

An dritter Stelle der Ausfallursachen stehen psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Hier verzeichnet die DAK einen Anstieg der Krankschreibungen um acht Prozent, von 312 auf 337 Fehltage je 100 Beschäftigte.

Uwe Brohl-Zubert vom Berliner Bündnis für psychische Gesundheit ist alarmiert. Zwar zeige die Zunahme der Krankmeldungen, dass psychische Probleme erheblich weniger stigmatisiert seien als noch vor 20 Jahren. Zugleich entsprächen die Zahlen aber einer Welt, die uns psychisch mehr und mehr belaste. »Unsere Leben sind mittlerweile wahnsinnig komplex«, so der Referent für Soziale Psychiatrie im Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin. Der Selbstoptimierungsdruck sorge zusammen mit gesellschaftlichen Krisen und existenziellen Sorgen etwa wegen steigender Preise für enormen Stress. Menschen in Großstädten seien damit noch einmal mehr konfrontiert.

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Um psychische Erkrankungen durch die Arbeit selbst zu vermeiden, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg bessere Prävention. Gefährdungsbeurteilungen sollten ernst genommen werden, um krankmachenden Arbeitsbelastungen vorzubeugen.

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