Geschlechter in der Steinzeit: Ungerechte Verteilung des Mangels

Größenunterschiede zwischen Männern und Frauen in der Jungsteinzeitwaren sozial bedingt

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 4 Min.

Menschen schießen innerhalb ihrer genetischen Möglichkeiten in die Höhe, sobald die Ernährungsgrundlage gesichert ist, so die weitläufige Auffassung der Wissenschaft. Als die Archäologin Eva Rosenstock vor einigen Jahren im Rahmen eines Forschungsprogramms der Freien Universität Berlin Körperlängen der Menschen in Europa und Vorderasien zwischen 10 000 und 1000 v. u. Z. dokumentierte, ergab sich allerdings kein klares Bild zum Zusammenhang von Ernährung und Körpergröße.

Gemeinsam mit dem Archäogenetiker Iain Mathieson von der University of Pennsylvania stieß Rosenstock das transdisziplinäre Forschungsprojekt »Present Pasts« an. Dafür wählten sie die Bauerngruppe aus, die sich, von Vorderasien kommend, zwischen 8000 und 6000 v. u. Z. in Mittel- und Südeuropa ausgebreitet hatte. Die genetischen Unterschiede waren sehr gering, da sie aus einem gemeinsamen Ursprungsgebiet stammten und die Gruppen lediglich verschiedene Wanderwege entlang der Mittelmeerküste bzw. der Donau zurücklegten. Insgesamt wurden die Skelette von 266 Individuen aus dem Balkanraum und von den Mittelmeerküsten analysiert und 1282 aus Mitteleuropa. Der Unterschied in der Anzahl ist darin begründet, dass die Kultur der Linearbandkeramik, zu der die Individuen gehörten, sehr gut erforscht ist. Eva Rosenstock wies jedoch selbst darauf hin, dass der quantitative Unterschied auch zu Verzerrungen führen könne.

Frauen im Norden deutlich kleiner

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Untersucht wurden die Skelette zunächst nach der Geschlechterverteilung, die entweder über die DNA oder über die Skelettmorphologie ermittelt wurde. Der Gesundheits- und Ernährungszustand wurde über die stabilen Stickstoff- und Kohlenstoffisotope in den Skeletten bestimmt. Diese Indikatoren lassen Rückschlüsse auf Stressphasen durch Mangelernährung oder Krankheiten zu. Über die Analyse der DNA konnten die beteiligten Archäogenetiker den sogenannten polygenetischen Score ermitteln, der für jedes Individuum eine Vorhersage über die zu erwartende Größe unter optimalen Bedingungen treffen sollte.

Verglichen wurde das theoretische Wachstumspotenzial mit den Skelettmessungen. Hier zeigte sich ein Muster, das die Forschergruppe überraschte: Waren die Geschlechterunterschiede bei den Bauerngruppen auf dem Balkan und entlang der Mittelmeerküsten nur gering, so waren die Männer der nördlichen Gruppen deutlich größer als die Frauen, obwohl die Nahrung in allen Fällen die gleiche war.

Eine Erklärung liegt in den neuen Umweltbedingungen. Die Lebensbedingungen im Mittelmeerraum und auf dem Balkan waren denen in der alten Heimat Vorderasien sehr ähnlich; anders sah es nördlich der Alpen aus. Die Ergebnisse veranlassten die Forschergruppe, die Siedler nochmals in zwei Gruppen einzuteilen, um die ermittelten Ergebnisse geografisch deutlich zu machen. Die Grenze zwischen der Nord- und Südgruppe wurde entlang der Linie Luxemburg–Frankfurt–Bayreuth gezogen. Die Bedingungen für den Feldbau waren nördlich dieser Linie deutlich schlechter als südlich davon, aber für beide Gruppen galt, dass die Bauern ihre Kulturpflanzen erst an die raueren Bedingungen Mitteleuropas anpassen mussten. Die Getreidesorten und Gartenpflanzen stammten aus dem klimatisch milderen Mittelmeerraum. Missernten und Hunger waren häufig.

Nur soziologisch erklärbar

Die Hungerperioden beeinflussten die Geschlechter jedoch unterschiedlich. Wenn alle das Gleiche aßen, sich dem gleichen Klima anpassen mussten, warum waren Frauen dann deutlich kleiner als Männer? Dies kann nach Auffassung der Forscher nicht archäologisch, sondern nur soziologisch erklärt werden. Deshalb verweist die Forschergruppe auf die Theorie des sozio-ökonomisch-politisch-emotionalen Umfelds. Diese beschreibt, dass nicht nur Genetik und Ernährung die Körperstatur bestimmen.

Die Forscher schlussfolgern, dass die häufigen Mangelzeiten die Bauerngruppen veranlassten, Jungen und Männern mehr Nahrung und Fürsorge zuzuteilen. Sie erhielten mehr und besseres Essen für ihre Rolle als Ernährer der Familie. Das Roden und Bebauen neuer Felder war körperliche Schwerstarbeit, denn der Pflug war noch lange nicht erfunden. Zudem verließen die jungen Mädchen frühzeitig ihre Familien und heirateten in andere Gruppen ein. Ökonomisch gesehen waren sie also ein Verlust für die Gemeinschaft. Darüber hinaus bekamen sie schon in der Pubertät Kinder und stillten, was an ihren physischen Ressourcen zehrte. Die Forscher betonen jedoch, dass diese Theorie weiterer Untersuchungen, etwa an Kinderskeletten, bedarf.

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