»Ernährung im Wandel«: Wie weiter nach dem Bürgerrat?

Keine politische Beeinflussung, teils kontroverse Diskussionen: Ein Teilnehmer verteidigt den Bürgerrat gegen den Vorwurf, er sei zu links gewesen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Berichterstattung und die Vorwürfe, die in den vergangenen Wochen gegen den Bürgerrat »Ernährung im Wandel« erhoben wurden, regen Simon Hofmann auf. »Ziemlicher Mist« sei die Behauptung, der vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat sei zu links und die Moderation hätte die Teilnehmenden politisch zu beeinflussen versucht. Ein Ex-Mitglied hatte diese Vorwürfe verbreitet – das jedoch schon kurz nach Beginn des Rates ausgeschieden war. »Er kann gar nicht beurteilen, wie die anderen ticken«, sagt Hofmann zu »nd«, der am Bürgerrat teilnahm, bis dieser Anfang Januar seine Empfehlungen an die Politik vorstellte.

Seiner Einschätzung nach haben die 160 Teilnehmenden, die nach einer komplexen mehrstufigen Zufallsauslosung so ausgewählt wurden, dass sie hinsichtlich Wohnort, Alter, Geschlecht, Ausbildung und Essgewohnheiten repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind, auch das politische Spektrum abgebildet. Er selbst wolle jedenfalls »weder in die linke noch in die rechte Ecke gestellt werden«, esse gerne Fleisch und habe sich bis zu Beginn des Bürgerrates nicht besonders für Ernährung interessiert. Entgegen mancher Vorurteile waren im Rat nur zwölf Prozent Vegetarier*innen und Veganer*innen vertreten.

Die Themen, die in den Online- und Präsenzsitzungen des Rates diskutiert wurden, legten die Teilnehmer*innen selbst fest. Die Inputs von Expert*innen seien sehr informativ, die Gruppenarbeiten transparent gewesen, berichtet Hofmann. Es habe zum Beispiel ein digitales Notizbuch gegeben, über das alle einsehen konnten, was in anderen Gruppen besprochen wurde.

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Besonders interessant fand der 27-jährige Erlanger den Vortrag eines Psychologen über die »Ernährungsumgebung«, also zum Beispiel die Prägung der Ernährung durch die eigene Familie. Nachdenklich gemacht habe ihn die Exkursion in einen Supermarkt, bei der die Teilnehmenden Lebensmittel kaufen sollten, mit denen ein Abendessen für vier Personen zubereitet werden kann – für maximal neun Euro. So wenig steht einer Familie zur Verfügung, die von Bürgergeld leben muss. Die erste Empfehlung des Bürgerrates lautet nun, dass zumindest alle Kinder in der Schule ein kostenfreies Mittagessen bekommen sollten.

Er selbst habe sich intensiver mit dem Thema Lebensmittelkontrollen beschäftigt, das es ebenfalls ins Gutachten des Bürgerrates geschafft hat: Dort wird »mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz der Ergebnisse für die Öffentlichkeit« empfohlen. Hofmann ist stolz darauf, dass »im Gutachten Gedanken von mir drinstehen«. Das zeige: »Wenn man sich engagiert, kann man auch was bewirken.«

Spannend sei es bei der Frage nach einer Zuckersteuer geworden. Kein anderes Thema wurde im Bürgerrat so hitzig diskutiert. Letztendlich gab es sowohl eine Empfehlung für als auch eine gegen eine »Herstellerabgabe von allen zuckerhaltigen Getränken sowie Getränken mit Süßungsmittel«, die jedoch beide von mehr als der Hälfte der Teilnehmenden abgelehnt wurden. Hofmann sei zwar für die Zuckersteuer, erkennt das Ergebnis aber als demokratisch an – und sicher nicht von der Moderation beeinflusst.

Insgesamt ist Hofmann mit dem Prozess sehr zufrieden. Kritisch sieht er jedoch, dass wegen des Bahnstreiks nicht alle Mitglieder rechtzeitig zur Abstimmung der insgesamt neun Empfehlungen kamen und es für sie keine Möglichkeit mehr gegeben habe, ihre Stimme abzugeben. Was ihn wiederum freut: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) habe ihm gesagt, dass zwei oder drei Empfehlungen sicherlich umgesetzt würden. Und wenn es nur eine Sache wäre, »ist das schon ein Erfolg«, meint Hofmann.

Kritischer gesehen wird das in einer Onlineveranstaltung des Vereins Klimamitbestimmung, der sich für Bürger*innenräte einsetzt und bereits einige Projekte begleitet hat. »Wie mit den Empfehlungen umgegangen wird, ist die Gretchenfrage der Bürgerräte«, erklärt Simon Wehden von dem Verein. Ende Februar werde das Bürgergutachten dem Bundestag übergeben und nach einer ersten Aussprache an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft weitergeleitet. Der sei nicht öffentlich und wie es dann weitergehe, nicht transparent.

Wichtig sei, dass sich alle Parteien zu allen Empfehlungen positionieren – und nicht nur zu denen, die ohnehin ihrer Linie entsprechen – und es auch noch weiteren Austausch mit den Teilnehmenden gibt. Das müsse bei zukünftigen Bürgerräten schon mit der Einsetzung geregelt werden. »Ansonsten sehen wir das Risiko, dass Bürgerräte als Scheinbeteiligung abgetan werden und das den Frust der Bevölkerung gegenüber der Politik nur weiter fördert«, sagt Wehden.

Von einer ähnlichen Erfahrung in Österreich kann Georg Tappeiner von Pulswerk berichten. Das Ökologie-Beratungsunternehmen hat dort den ersten Bürgerrat zum Thema Klima mit koordiniert. Auch hier sei nie geklärt worden, was mit den Empfehlungen des Rates passieren soll, und die konservative Regierungspartei ÖVP habe das Instrument ohnehin vehement abgelehnt – durchgesetzt wurde es durch ein Volksbegehren im Jahr 2020. Auf die Vorschläge sei dann teilweise sehr konkret, zum Teil aber auch nur oberflächlich reagiert worden, so Tappeiner. Und an der Umsetzung hapert es.

Positiv sei jedoch, dass die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven durch einen Stakeholder-Beirat sichergestellt wurde, in dem Verbände aus Bereichen wie Umwelt, Wirtschaft, Gewerkschaft und Landwirtschaft vertreten waren. Außerdem gab es eine Online-Umfrage, über die alle Österreicher*innen Ideen einbringen konnten. »Ich würde das in dieser Form wahrscheinlich nicht mehr machen, weil diese Lawine an Rückmeldungen fast nicht verarbeitbar war«, berichtet Tappeiner. Doch offenbar konnte der Rat einige Bürger*innen inspirieren: So wurde nach dessen Ende der Verein Klimarat gegründet, der sich weiter für Klimamaßnahmen einsetzt.

Beim deutschen Bürgerrat Ernährung geht es am 20. Februar mit der Übergabe des Bürgergutachtens an den Bundestag weiter – und dann ist die Politik gefragt.

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