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Brandenburg: Die Linke stottert nicht mehr

Linkspartei kürt Fraktionschef Walter zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Heute ist Linksfraktionschef Sebastian Walter einer der besten Redner im Landtag von Brandenburg. Doch als Kind stotterte er bis zum Alter von 14 Jahren und ist dafür in der Schule gehänselt worden. »Ich konnte keine drei Sätze geradeaus sprechen«, gesteht der 33-Jährige. »Ich weiß, wie es ist, keine Stimme zu haben.« Jetzt wolle er eine Stimme für die sein, die keine haben.

Schon bei der Landtagswahl 2019 war Sebastian Walter Spitzenkandidat seiner Partei. Jetzt ist er es wieder. Eine Vertreterversammlung wählt ihn am Samstag im Ahorn-Seehotel Templin auf Platz eins der Landesliste für die Landtagswahl am 22. September. Walter erhält 90 Stimmen bei zwölf Gegenstimmen und vier Enthaltungen. Auf den Plätzen zwei bis sechs folgen die Landtagsabgeordneten Kathrin Dannenberg (90 Stimmen), Isabelle Vandré (62), Thomas Domres (89), Andrea Johlige (53) und Ronny Kretschmer (66) sowie auf Platz acht der Abgeordnete Andreas Büttner (55 Stimmen).

Die übrigen drei von aktuell zehn Abgeordneten der Linksfraktion hören auf und bewerben sich nicht um ihre Nominierung. Nuthetals Bürgermeisterin Ute Hustig scheitert beim Versuch, Platz drei oder Platz fünf zu erhalten. Auch Anja Kreisel, Kreisvorsitzende in Frankfurt (Oder), Verkehrsexperte Fritz R. Viertel und Patricia Usée von der Linksjugend bemühen sich vergeblich um vordere Listenplätze.

Neu in der Fraktion wäre ab Herbst allenfalls die erst 24 Jahre alte Krankenpflegerin Yasmin Kirsten aus Cottbus. Sie bekommt den Listenplatz sieben. Mehr als acht Mandate scheinen im Moment nicht drin zu sein. Denn in den Umfragen rangiert Brandenburgs Linke bei nur lediglich sechs Prozent – nach 10,7 Prozent bei der Landtagswahl vor fünf Jahren. Der Abgeordnete Büttner allerdings wurde im Vorfeld wiederholt gefragt, warum er sich mit dem unsicheren Listenplatz acht zufriedengebe und das ärgerte ihn. Die Partei sollte sich mit sechs Prozent nicht abfinden. »Diese Selbstverzwergung muss aufhören«, ruft Büttner. Auch mindestens die Genossen auf Platz neun und zehn sollten noch ins Parlament einziehen, meint Büttner und weist auf das Motto der Versammlung: »... weil es möglich ist.«

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»Sechs Prozent sind dicht am Abgrund«, warnt Templins Bürgermeister Detlef Tabbert (Linke). Ihn stört die Fokussierung auf Großstädte. Für das, was Bundesparteichefin Janine Wissler zu den ländlichen Regionen sage, dafür könne man sich manchmal nur noch entschuldigen, bedauert der Bürgermeister. Ihn empört es, wenn auf Kosten der Asylbewerber Politik gemacht wird. Dennoch müsse man auch kritisch hinterfragen: »Wie viele Menschen können wir menschenwürdig aufnehmen?« Tabbert bemängelt, in Deutschland seien nur 21 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge berufstätig, statt 58 Prozent in den Niederlanden. Man müsste sie »fordern und fördern«.

Hingegen schimpft Spitzenkandidat Walter, die Debatte über eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge sei »totaler Schwachsinn«. Denn oft werden Geflüchtete daran gehindert, eine Arbeit aufzunehmen. In den Umfragen liegt die AfD in Brandenburg mit bis zu 32 Prozent weit vor allen anderen Parteien. Walter sagt aber: »Es ist möglich, die AfD zu stoppen!« Man bekämpfe diese Partei allerdings nicht, indem man ihren Forderungen entgegenkomme. Man müsse ihr mit einer anderen Sozialpolitik den Boden unter den Füßen wegziehen. »Es geht in diesem Jahr um nicht weniger als die Verteidigung der Demokratie«, betont Walter. Er will sich nicht später von seinem noch kleinen Sohn fragen lassen: »Warum habt ihr damals nichts getan?« Bei Sozialprotesten sollen die Sozialisten nicht »klugscheißern«, sondern sich beteiligen, fordert der Politiker.

Ähnlich äußert sich der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi, der als Gast nach Templin kommt. »Wir haben im Osten der AfD Freiräume gelassen«, beklagt er. Zu den Bauernprotesten erklärt Gysi: »Wieder einmal hat sich meine Partei zu spät geäußert.« Wieder einmal seien Proteste von Rechten instrumentalisiert worden. »Aber das ist ja nicht neu. Deswegen darf man auf Proteste nicht verzichten.«

Zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das zeitgleich einen Parteitag in Berlin abhält, bemerkt Gysi ironisch: »Ich bin ja schon eitel. Dennoch hätte ich mich nie getraut, unserer Partei meinen Namen zu geben.« In Brandenburg will BSW mit zunächst nur 14 Mitgliedern starten, wie Wagenknechts Landesbeauftragter Stefan Roth ankündigte. Gysi weist auf die Rechtslage hin: »Die handverlesene Aufnahme von Mitgliedern verstößt gegen das Parteiengesetz.«

Da die innerparteilichen Streitigkeiten nicht aufgehört haben, nachdem Wagenknecht und ihre Getreuen gegangen sind, erinnert Gysi an die alte Weisheit »Einigkeit macht stark«. Den Frieden hält er für das zentrale Thema. In der Ukraine müssten die Waffen schweigen, und Israel sei es nicht erlaubt, »ein Kriegsverbrechen mit einem anderen Kriegsverbrechen zu bekämpfen«.

Linksfraktionschef Walter sagt: »Wir brauchen keine 100 Milliarden Euro für Panzer und Raketen, wir brauchen keine Rüstungsindustrie in Brandenburg.« Dem 33-Jährigen ist es egal, ob ihn Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) für regierungsfähig halte, ob CDU-Landeschef Jan Redmann mit ihm reden wolle, ob die Grünen finden, dass er überzogen formuliere. Dass Walter »einen Nazi einen Nazi nennt«, findet die Linke-Landeschefin Katharina Slanina gut. Sie möchte nicht irgendwann allein wegen ihres Namens verfolgt werden, der einen tschechischen Ursprung hat.

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