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Sechs Jahre Istanbul-Konvention: Was macht der Berliner Senat?
Eine schriftliche Anfrage offenbart Leerstellen in der Umsetzung beim Gewaltschutz
Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Die hässlichste Fratze ist der Femizid, also der Mord an einer Frau – weil sie eine Frau ist. In Deutschland wird alle drei Tage, in Berlin alle drei Wochen, eine Frau aufgrund ihres Geschlechts getötet, Dunkelziffer unbekannt. Die Zahlen zu häuslicher Gewalt sind laut Statistik des Bundeskriminalamts steigend – auch hier: Dunkelziffer unbekannt. Um Frauen vor Gewalt zu schützen, wurde 2018 die Istanbul-Konvention von Deutschland ratifiziert. Doch es mangelt an deren Umsetzung durch den Senat. Das geht aus einer Antwort des Berliner Senats auf eine schriftliche Anfrage der frauenpolitischen Sprecherinnen und Abgeordneten Bahar Haghanipour (Grüne) und Ines Schmidt (Linke) hervor, die »nd« exklusiv vorliegt.
Die IK setzt auf europäischer Ebene einheitliche Schutzstandards für Gewaltprävention, Opferschutz, Strafverfolgung und behördenübergreifende Zusammenarbeit, will damit Gewalt gegen Frauen verhindern und Betroffene unterstützen. Bund, Länder und Kommunen sind verpflichtet, die Konvention umzusetzen.
Haghanipour, Sprecherin für Frauenpolitik ihrer Fraktion sagt »nd«: »Ich habe Sorge, dass die vorgesehenen acht Millionen für den Gleichstellungsetat schön aussehen, aber nicht für die IK ausgegeben werden.« Sie hätte sich gewünscht, dass der Senat vorausschauender plane. Bereits seit Oktober 2023 existiert ein sogenannter Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen. Diesem hätte das Geld konkret zugewiesen werden können. Auch die acht Millionen Euro wurden schon im letzten Jahr beschlossen. Aber laut der Antwort des Senats vom 29. Januar ist das erste Treffen zur »Priorisierung« von Maßnahmen für das erste Quartal 2024 am 23. Februar anberaumt. Ein nächstes Treffen soll erst nach der Sommerpause stattfinden.
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Aus der Senatsantwort geht des Weiteren hervor, dass die Koordinierungsstelle zur Istanbul-Konvention für 2024/25 vakant bleibt. »Das ist für mich nicht nachvollziehbar«, sagt Haghanipour. Denn in der IK ist eine Koordinierungsstelle verpflichtend vorgesehen. »Das Tolle an dieser Konvention ist ja, dass sie verschiedene Ressorts zusammenführt.« Haghanipour verweist auf andere Bundesländer, die multiinstitutionelle Fallkonferenzen bei Hochrisikofällen einrichten. Polizei, Jugendamt und soziale Arbeit bilden dabei einen runden Tisch, um alle Informationen zur Bedrohungslage zu sammeln. »Wir brauchen die Fallkonferenzen für den Schutz vor Femiziden«, sagt sie.
Um Femizide zu verhindern, braucht es vorbeugende Maßnahmen. Niki Drakos ist Teil des Gewaltpräventionsprojekts Frauenkreise in Pankow. Obwohl es das Projekt seit 30 Jahren gebe, würden sie »jedes Jahr um die Finanzierung kämpfen« müssen, wie Drakos »nd« berichtet. Eine vom Jobcenter geförderte Stelle für die Finanzbuchhaltung breche im April weg. Auch finanzielle Mittel für den Inflationsausgleich würden fehlen.
Drakos nennt die Situation zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen in Berlin »eine Katastrophe«. Es fehle an dauerhaften finanziellen Mitteln. »Gewalt gegen Frauen ist vielschichtig: Armut, Aufenthaltstatus, Hürden des Arbeitsrecht sowie mangelnde Kenntnisse über Sprache und Funktionsweise dieses Systems erhöhen das Gewaltpotenzial gegenüber Frauen.« In einem Zusammenschluss namens »femProjektesichern« will Drakos mit anderen feministischen Projekten darauf aufmerksam machen, dass zum Gewaltschutz eben auch Prävention gehört.
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