Bahn frei für neue Gaskraftwerke

Wasserstofffähige Anlagen sollen laut Ampel trotz Energiewende das Stromssystem stabilisieren

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon vor drei Wochen beim politischen Jahresauftakt der Erneuerbaren-Branche in Berlin war zu ahnen, wie die künftige Kraftwerksstrategie der Ampel ausfallen wird. Auf die Frage, welche Kraftwerke in Deutschland künftig vorgehalten werden müssen, plädierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für eine »No-Regret-Entscheidung«, also eine, die man später in keinem Fall bereut, weil sie mögliche Alternativen nicht verbaut. Diese Idee taucht nun auch in der Vereinbarung Habecks mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD und Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf. Um eine »No-Regret-Menge« an Kraftwerken schnell zur Verfügung zu haben, werde mit der Kraftwerksstrategie ein Neubau mit beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren angereizt, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung vom Montag.

Konkret sollen neue Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 10 000 Megawatt kurzfristig in vier Tranchen zu je 2500 Megawatt ausgeschrieben werden – zunächst als Erdgasanlagen. Diese sollen dann zwischen 2035 und 2040 auf Wasserstoff als Brennstoff umsteigen. Die Gesamtleistung der »H2-ready«-Kraftwerke entspricht etwa der von sieben modernen Atomkraftwerken.

Im ursprünglichen Vorschlag aus dem Hause Habeck waren weitere »H2-ready«-Kraftwerke im Umfang von 5000 Megawatt im Gespräch sowie welche von 8800 Megawatt, die mit grünem Wasserstoff oder dessen Abkömmlingen wie Ammoniak befeuert werden sollten. Dies ist laut der Einigung gestrichen. Die Koalition einigte sich praktisch auf eine Light-Strategie.

Das hat am Ende handfeste wirtschaftliche Gründe. Die neuen Gaskraftwerke sollen nur laufen, wenn Wind und Sonne nicht genügend Strom liefern und so auch die berüchtigte »Dunkelflaute« überbrücken, heißt es in einer jetzt veröffentlichen Analyse des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research im Auftrag der Umweltstiftung WWF. Laut der Untersuchung werden diese H2-Gaskraftwerke 2030, wenn Erneuerbare mindestens 80 Prozent des Strommixes ausmachen sollen, nur so viel Strom liefern müssen, wie sie in 70 sogenannten Volllaststunden schaffen würden. Im Jahr 2040 würde dieser Zeitraum weniger als 870 Stunden betragen, umgerechnet rund 36 Tage. In einem klimaneutralen Stromsystem produziere ein Wasserstoffkraftwerk vor allem im Herbst und Winter, während es von April bis Juni stillstehe, stellen die Aurora-Experten nüchtern fest. Zum Vergleich: Ein fossiles Erdgaskraftwerk erreicht derzeit um die 3500 Volllaststunden im Jahr.

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Habecks ursprünglicher Plan lief tatsächlich aufs Geldverbrennen hinaus: mit fast 24 000 Megawatt von neuen Kraftwerken, die noch gar nicht entwickelt sind, einen teuren Brennstoff brauchen und dennoch mehr oder weniger in der Landschaft herumstehen. Nicht ohne Grund ging die Energiewirtschaft zuletzt mit einer Forderung von 60 Milliarden Euro hausieren, die für Bau und Betrieb der Anlagen schon bis 2030 fehlen könnten. Bau und Förderung sollen nach der jetzigen Kraftwerksstrategie »nur«um die 16 Milliarden Euro für die nächsten rund 20 Jahre kosten. Laut der Koalition soll das Geld aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen.

Indes sieht die Koalition mit dem Zubau der 10 000 Megawatt noch keine sichere Versorgung erreicht. Spätestens 2028 soll ein marktbasierter, technologieneutraler Kapazitätsmechanismus am Strommarkt eingerichtet sein. Eine politische Einigung darüber will die Ampel bis zum Sommer erzielen.

Einen solchen Kapazitätsmarkt hatten bisher alle Bundesregierungen abgelehnt. Er würde bedeuten, dass sich Stromerzeuger aller Art und Größe in einer Auktion darum bewerben, über einen bestimmten Zeitraum zusätzliche Energie zu liefern, um Engpässe abzudecken. Denkbar ist zum Beispiel, dass sich ein Windpark mit einem großen Speicher zusammentut oder mit einem großen Stromkunden, der seinen Bedarf immer dann absenkt, wenn Flaute herrscht. Der Kombinationsmöglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt.

Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Technologien werde dazu führen, dass die Erzeugungsleistung dann von den kostengünstigsten Anlagen bereitgestellt wird, loben die Aurora-Analysten das Konzept. Bewerben könnten sich dann auch Kohle-, Öl, Gas- und Wasserstoffkraftwerke. Wegen des Klimaschutzes müssten allerdings alte fossile Kraftwerke mittels strenger Emissionsvorgaben ausgeschlossen werden.

In den Augen der Koalition jedenfalls verhindern die 10 000 Megawatt nicht den Aufbau des Kapazitätsmarktes. Für die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung birgt die Einigung auf den Bau neuer Erdgaskraftwerke allerdings die Gefahr, dass zunächst teure fossile Überkapazitäten entstehen. »Fossiles Erdgas ist ein Auslaufmodell, der Umstieg auf Wasserstoff bisher technisch nicht erprobt und damit unsicher«, kritisiert sie die Entscheidung. »Zudem ist fraglich, ob überhaupt die notwendigen Wasserstoffmengen in dem Zeitraum zur Verfügung stehen werden.« Wichtiger seien dezentrale Lösungen für mehr Flexibilität inklusive des Ausbaus der Verteilnetze, ein digitales Energie- und Lastmanagement sowie der Ausbau von Speichern.

Die Einigung der Koalitionsspitzen führe in die »fossile Sackgasse«, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. »Der Fokus liegt auf dem Neubau klimaschädlicher Gaskraftwerke mit unklarer Umrüstoption auf teuren Wasserstoff, der wohl nicht einmal grün sein muss.«

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