»Keiner schaut mehr nach Iran«

Die Journalistin und Aktivistin Daniela Sepehri über die anhaltende Repression des Mullah-Regimes, staatliche Terrorunterstützung und das Exil

  • Interview: Jayrôme C. Robinet
  • Lesedauer: 9 Min.
Die Islamische Revolutionsgarde des Iran verfolgt Oppositionelle im In- und Ausland und unterstützt Terrorgruppen weltweit.
Die Islamische Revolutionsgarde des Iran verfolgt Oppositionelle im In- und Ausland und unterstützt Terrorgruppen weltweit.

Frau Sepehri, die zum Tode verurteilten Gefangenen im Ghezel-Hesar-Gefängnis im Iran haben gerade eine Protestkampagne angekündigt: Jeden Dienstag treten sie in den Hungerstreik. Bereits Ende Januar haben Sie sich aus Solidarität mit den Frauen im Evin-Gefängnis deren Hungerstreik angeschlossen. Auch dieser Hungerstreik dauerte nur einen Tag. Manche sagen, das untergrabe seine Glaubwürdigkeit.

Ein, zwei Tage Hungerstreik mit bestimmten politischen Forderungen, das ist in iranischen Gefängnissen üblich. Hier ist es ein Protest gegen die Hinrichtungen. Im Ghezel-Hesar-Gefängnis gibt es etwa 2000 zum Tode Verurteilte, auch wenn man keine genaue Zahl nennen kann. Dem Hungerstreik im Frauentrakt von Evin, wo 61 Frauen inhaftiert sind, haben sich viele Gefangene und Angehörige angeschlossen, auch international, in Deutschland etwa, oder in den USA.

Narges Mohammadi war im November 2023 zwei Tage lang im Hungerstreik, sie forderte, ohne Kopftuch ins Krankenhaus gebracht zu werden. Sie hatte Erfolg.

Ja, nach zwei Tagen ist das Regime eingeknickt. Dem Regime ist es egal, ob Narges Mohammadi isst oder nicht. Natürlich ist es nicht gut, wenn einem ein Gefangener wegstirbt, und gerade bei Narges wissen sie, dass die ganze Weltöffentlichkeit auf die Barrikaden gehen würde. Das Regime hatte keine andere Wahl, als ihrer Forderung nachzugeben. Und deshalb ist es manchmal egal, ob jemand einen Tag oder eine Woche im Hungerstreik ist.

Interview
Daniela Sepehri Pressebild 2023


Credit: Nassim Rad

Daniela Sepehri ist Aktivistin und Journalistin, zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit gehören die Themen Migration und Iran.

Hat der Hungerstreik etwas bewirkt?

Es war der Versuch, Aufmerksamkeit zu bekommen für das Thema Hinrichtungen. Im Moment werden jeden Tag drei Menschen hingerichtet und die Welt schaut weg. Also haben wir uns angeschlossen.

Neben Ihnen auch die Publizistin Mina Khani und die Menschenrechtsaktivistin Mariam Claren als Initiatorinnen des Patenschaftsprogramms für politisch Inhaftierte im Iran, an dem sich 440 Abgeordnete aus dem Bundestag, den Landtagen und dem Europäischen Parlament beteiligen …

Nicht weil wir glauben, wenn wir mal einen Tag nichts essen, dass das Regime denkt »Ach, die 25-jährige Daniela aus Paderborn, die hat Hunger. Wir hören jetzt mit dem Hinrichten auf.« Auch nicht, weil die Bundesregierung denkt: »Oh nee, also die sollen sich nicht in Gefahr bringen, wir tun jetzt was.« Die Bundesregierung hat immer wieder gezeigt, dass ihr die Exil-Iraner*innen nicht wichtig genug sind.

Die Schriftstellervereinigung PEN Berlin unterstützt eine LGBT-Aktivistin, die anderthalb Jahre im Todestrakt saß und jetzt in Sicherheit in Deutschland ist, auch weil die Bundesregierung sich bilateral für sie einsetzte.

Ja, der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann hat sich auch dafür eingesetzt. Das ist wichtig. Aber gerade im Dezember ist der Abschiebestopp in den Iran ausgelaufen. Ich kenne ein Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen, das in den Iran abgeschoben werden soll. Konvertierte Christen. Es könnte also lebensgefährlich für sie werden. Auch im Bundesinnenministerium und bei Nancy Faeser ist der Ernst der Lage noch nicht angekommen. Der Kommandeur der Revolutionsgarde hat uns in der Diaspora mehrfach öffentlich gedroht, man müsse sich »um die Proteste im Ausland kümmern«. Es ist die Rede von den bösen »Vaterlandsverrätern«. Das sind Drohungen, die muss man ernst nehmen.
Es ist ja nicht so, dass wir in Deutschland keine Geschichte mit dem iranischen Geheimdienst hätten. Das Mykonos-Attentat in den 90er Jahren, vier kurdische Oppositionelle wurden hier in Berlin vom Iran getötet. Und das war nicht der einzige Anschlag. Es war geplant, dass Assadollah Assadi, den Belgien im Rahmen eines Gefangenenaustausches in den Iran zurückgeschickt hatte und der heute dort als Nationalheld gefeiert wird, 2018 als Diplomat mit seinem Bombenmaterial in der Tasche im Linienflugzeug einfliegt und in Paris eine Oppositionsversammlung in die Luft sprengt. Wir holen die Terroristen über Diplomaten ins Land, geben ihnen Diplomatenstatus, und dann sagen wir, »die bösen Flüchtlinge sind alle Straftäter«. Wir wissen, dass das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) das Spionagezentrum der Islamischen Republik Iran und eine Drehscheibe des Terrors in unserem Land ist. Auch der Bundestag hat es zuletzt im November 2022 in seinem Iran-Antrag so benannt. Es gab nach dem 7. Oktober 2023 zu Recht eine Razzia beim IZH. Ich bin morgens mit der Nachricht aufgewacht und habe gedacht, »ja, endlich haben sie es kapiert«. Dann schaue ich mir die Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums an. Da sind wir mit keinem Wort drin. Das einzige Mal, wo Iran drin steht, ist am Ende, dass das IZH von der Islamischen Republik Iran gesteuert wird. Das heißt, der Ausgangspunkt war der Islamismus und der Antisemitismus, der vom IZH ausgeht. Es ist gut, dass sie das jetzt endlich erkannt haben. Aber der Schutz der Exil-Iraner*innen hat überhaupt keine Rolle gespielt.

Auch die Forderung, die Islamische Revolutionsgarde des Iran (IRGC) auf die Terrorliste der EU zu setzen, wurde nicht erfüllt. Außenministerin Baerbock hält dies zwar für politisch sinnvoll, sagt aber, dass die rechtlichen Grundlagen dafür nicht gegeben seien. Das Auswärtige Amt beruft sich dabei auf ein Gutachten des juristischen Dienstes des Europäischen Rates. Dieses geheime Gutachten wurde der taz zugespielt. Aus dem Bericht der Zeitung geht hervor, dass dies nicht stimme: Die IRGC könne sehr wohl auf die Terrorliste der EU gesetzt werden. Warum glauben Sie, steht sie dennoch bis heute nicht auf dieser Liste?

Entweder haben Baerbock und das Auswärtige Amt dieses juristische Gutachten nicht verstanden. Oder sie haben bewusst gelogen. Und ich weiß nicht, was ich schlimmer fände.

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Man könnte meinen, dass es im Auswärtigen Amt Juristen gibt, die so etwas verstehen.

Ich lasse ihnen trotzdem die benefits of the doubts.

Und wenn sie bewusst lügen?

Dann, weil die Revolutionsgarde auf die Terrorliste zu setzen bedeuten würde, in jeder Hinsicht mit dem Regime zu brechen. Und das wollen sie nicht. Die Islamische Republik Iran hat sich als guter Partner für Deutschland erwiesen. Das muss man auch ganz offen sagen. Es gibt immer noch dieses naive Bild, dass, wenn man zu dem Atomabkommen zurückkehren würde, man den Bau einer Atombombe verhindern würde. Aber das Atomabkommen, so wie es ist, verzögert den Bau nur um ein, zwei Jahre. Und die wollen diesem Regime eben nicht die Pistole auf die Brust setzen, sondern lassen sich lieber erpressen, weil sie auch falsch beraten sind. Im Auswärtigen Amt gibt es diese naive Vorstellung, dass sie alles wissen und gut beraten sind. Und jede Analyse, die von ihrer abweicht, grundsätzlich falsch ist. Denn wenn sie richtig wäre, dann wüssten sie es ja, weil sie ja bestens beraten sind. Und es gibt viele sogenannte Iran-Experten, die in den Medien, aber auch im Auswärtigen Amt und im Bundestag, in der Bundesregierung und überhaupt immer wieder flüstern: »Ja, mit den Mullahs haben wir Stabilität im Nahen Osten.« Oder »Ohne die Mullahs hätten wir ein zweites Syrien oder ein zweites Afghanistan.« Das ist erstens sehr offensiv gegenüber der Freiheitsbewegung in Syrien und in Afghanistan, das so herunterzuspielen. Und zweitens sind die Mullahs doch die Instanz, die gerade im Nahen Osten für Destabilisierung sorgt.

Der Historiker Michael Wolffsohn sagt, der Iran sei der »eigentliche Regisseur« des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober.

Die Hamas wird von der Islamischen Republik Iran ideologisch, finanziell und militärisch unterstützt und aufgebaut. Genauso wie die Huthis im Jemen und die Hisbollah im Libanon. All diesen Terror könnte es ohne den Iran nur schwer geben.

Schon vor dem 7. Oktober wurden im Iran Menschen hingerichtet, weil sie angeblich mit dem israelischen Geheimdienst Mossad zusammenarbeiten. Hat das seit dem Angriff der Hamas auf Israel zugenommen?

Ja, und das hat sich noch einmal verschärft, seit Ende Dezember der iranische General Sejed-Rasi Mussawi in Syrien getötet wurde, bei einem mutmaßlichen Luftangriff Israels. Der Iran hat daraufhin Vergeltung geschworen. Aber da er militärisch nicht an Israel rankommt, muss die eigene Bevölkerung darunter leiden. Vor allem die Kurd*innen, die beschuldigt werden, Agenten des Mossad zu sein, was sie natürlich nie beweisen können, außer mittels durch Folter erzwungener Geständnisse. Nach dem 7. Oktober haben die Hinrichtungen auch noch zugenommen, weil das Regime genau weiß, dass jetzt keiner mehr nach Iran schaut.

Das Mullah-Regime greift auch in Deutschland direkt in die freie Presse ein. So versucht es, den Redaktionsleiter des deutschsprachigen Online-Magazins Iran Journal, Farhad Payar, zum Schweigen zu bringen, indem es seine Nichte zu drei Jahren Haft verurteilt hat und dies unter anderem mit der journalistischen Tätigkeit ihres Onkels in Deutschland begründet.

Ja, das ist ein direkter Angriff auf die freie Presse in Deutschland. Toomaj Salehi (Rapper und politischer Gefangener, Anm. d. Red.) sagt: »Verbrechen sind nur im toten Winkel unsichtbar«, und wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Medien diese toten Winkel schaffen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns solidarisch zeigen mit Journalisten wie Farhad Payar. Das ist ein Risiko, das wir alle als Exil-Iraner*innen eingehen, dass unsere Angehörigen in Gefahr gebracht werden. Aber ich würde mich so weit aus dem Fenster lehnen und sagen: Die meisten Redaktionen in Deutschland haben dieses Problem nicht, dass sie Angehörige im Iran haben. Und da ist es ihre Pflicht, darüber zu berichten, was im Iran an Menschenrechtsverbrechen passiert.

Womit sich die Linken hier schwertun: Kann man für eine Intervention der Bundesregierung und gleichzeitig gegen Imperialismus sein?

Wenn Antiimperialismus im Umkehrschluss bedeutet, das Mullah-Regime machen zu lassen, dann hat man weder Antiimperialismus noch Antifaschismus, noch Linkssein verstanden. Ich bin generell von linken Leuten in Deutschland sehr enttäuscht, die zum Teil viel zu spät angefangen haben, sich für den Iran zu interessieren oder das bis heute nicht tun. Eben mit der Begründung, dass sie für Antiimperialismus stehen und deshalb lieber nichts machen. Ihr lasst eure linken Genossinnen und Genossen im Iran im Stich. Die sitzen in Gefängnissen, die Arbeiter*innen, für die ihr doch so einsteht, die streiken wie verrückt. Die Gewerkschaften werden verfolgt. Es gibt eine starke linke Bewegung und ihr lasst sie im Stich, weil ihr sagt: »Antiimperialismus«. Das ist kein Antiimperialismus, das ist Bequemlichkeit.

Jayrôme C. Robinet leitet die Geschäftsstelle des PEN Berlin.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.