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Seenotretter demontieren Ex-Polizisten
Gericht auf Sizilien hört erstmals Belastungszeugen im Iuventa-Verfahren
Die »Iuventa« der Berliner Organisation »Jugend Rettet« war das erste von vielen weiteren Schiffen, das Matteo Salvini ab 2017 an der zivilen Seenotrettung auf dem Mittelmeer gehindert hat – zunächst als EU-Abgeordneter der rechtsextremen Partei Lega Nord, später als Innenminister im Kabinett von Giuseppe Conte und heute als Verkehrsminister in der Rechts-Regierung von Giorgia Meloni. Dennoch ist der Fall der »Iuventa« einzigartig, die Polizei hat dazu rund fünf Jahre ermittelt, seit 2021 befasst sich damit die Justiz.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft verhandelt das Gericht in der sizilianischen Hafenstadt Trapani in einem Vorverfahren wegen »Beihilfe zur illegalen Einwanderung«. Die Anklageschrift mit fast 30 000 Seiten bezieht sich auf drei Rettungsmissionen zwischen September 2016 und Juni 2017. Die aus Deutschland stammende Crew soll mit libyschen Schleusern zusammengearbeitet haben; vier Besatzungsmitglieder wurden angeklagt, ihnen drohen dafür bis zu 20 Jahre Haft.
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Insgesamt betrifft das Verfahren 21 Beschuldigte, darunter Angehörige von Save the Children und Ärzte ohne Grenzen sowie der niederländischen Reederei Vroon, bei der die Nichtregierungsorganisationen ein Schiff gechartert hatten. Alle zusammen hätten ein »Netzwerk für die illegale Einwanderung« gebildet, so der Vorwurf.
Als angeblicher Beweis gegen die Iuventa-Crew dienen Aufnahmen, die ein Reuters-Journalist von einem Beiboot gemacht hat, das ein anderes leeres Flüchtlingsboot im Schlepptau hat – allerdings wurde dieses in Richtung Norden gezogen, wie eine unabhängige Untersuchung nachweisen konnte. Zudem soll die Besatzung der »Iuventa« nicht eingegriffen haben, als Schleuser mit dem Außenbordmotor eines anderen Flüchtlingsbootes in Richtung Libyen verschwanden.
Als weitere Beweismittel hat die Staatsanwaltschaft Abhörprotokolle vorgelegt, die wohl auf eine Wanze auf der Brücke der »Iuventa« zurückgehen. Demnach habe ein Besatzungsmitglied gesagt, Fotos von Schleusern sollten nicht wie gefordert an die Polizei übergeben werden. Der Hauptvorwurf besteht jedoch in der Behauptung, zwei Personen mit dunkler Hautfarbe – angeblich Schleuser – seien mit einem Boot von der »Iuventa« in Richtung Libyen weggefahren. Das wollen die beiden ehemaligen Polizisten Pietro Gallo und Floriana Ballestra beobachtet haben, für die Staatsanwaltschaft sind sie deshalb die Hauptzeugen der Anklage.
Gallo und Ballestra hatten bei der italienischen Sicherheitsfirma IMI Security angeheuert. Diese Firma hat die Berliner Organisation Save the Children anschließend auf ihrem Rettungsschiff »Vos Hestia« mit verschiedenen Dienstleistungen beauftragt. In zwei ihrer Einsätze hatte die »Iuventa« gerettete Geflüchtete an die wesentlich größere »Vos Hestia« übergeben.
Eine Mail mit seinen »Beobachtungen« hat Gallo zunächst an Italiens Militärgeheimdienst geschickt – die blieb allerdings ohne eine Antwort. Daraufhin soll der Ex-Polizist im Büro von Salvini in Mailand angerufen haben. Nach einer halben Stunde rief der Lega-Nord-Politiker zurück, bot ein Treffen an und bat Gallo, weitere Informationen per Whatsapp zu schicken.
Am Samstag hat das Gericht Gallo und Ballestra erstmals vernommen. Die Staatsanwaltschaft sieht die beiden als »vertrauenswürdige Augenzeugen« und begründet dies mit deren Vergangenheit als Polizeibeamte. Im Verfahren kam jedoch heraus, dass Gallo und Ballestra aus dem Polizeidienst entlassen wurden, weil ihnen Lügen, Betrug und Verleumdung vorgeworfen wurden. Mit ihrer Spitzelei für die Behörden und die Lega Nord wollten sie dies offenbar wiedergutmachen: Gallo strebte eine Rückkehr in den Polizeidienst an, während Ballestra auf eine Position in der rechtsextremen Partei Lega Nord hoffte, erklärte die Crew der »Iuventa« am Sonntag.
Die Behörden waren über die Hintergedanken der beiden Zeugen durch weitere Abhörmaßnahmen informiert. Die Staatsanwaltschaft habe sie dennoch als glaubwürdige Zeugen aufgebaut, um in dem Verfahren gegen die insgesamt 21 Angeklagten die zivile Seenotrettung lahmzulegen, sagt der Ex-Kapitän Beigui dazu dem »nd«. Vor Gericht seien die Behauptungen jedoch in sich zusammengefallen. »Man hätte vor Gericht auch ein Kuscheltier hinsetzen können mit einem Zettel um den Hals«, so Beigui.
Tatsächlich konnten im Kreuzverhör verschiedene Lügen demontiert werden: So hatte einer der Zeugen behauptet, der Kapitän der »Vos Hestia« habe ihm verboten von Bord zu gehen um mit Behörden zu sprechen. Jedoch war diese Auflage einer vorsorglichen Quarantäne-Maßnahme geschuldet und betraf sämtliche Besatzungsmitglieder. Auch hatten die Ex-Polizisten erklärt, Gerettete hätten Drogen mit an Bord der »Vos Hestia« gebracht. Bestätigen ließ sich ein solches Päckchen aber nur in einem Fall, dieses enthielt Erde aus Eritrea, die ein Geflüchteter als Erinnerung im Gepäck hatte.
Bis zum 2. März hat das Gericht im Vorverfahren weitere vier Sitzungen mit Abschlussplädoyers aller Parteien angesetzt, dann wird entschieden, ob sich die Angeklagten einem Hauptverfahren stellen müssen.
»Wir sehen einen europaweiten Trend, die Solidarität mit Geflüchteten zu kriminalisieren«, sagt Wolfgang Kaleck, der Generalsekretär des in Berlin ansässigen European Center for Constitutional and Human Rights, zu dem laufenden Verfahren. Das beobachte die international tätige Menschenrechtsorganisation nicht nur in autoritären, sondern zunehmend auch in demokratischen Staaten.
Derweil liegt die »Iuventa« weiterhin im Hafen von Trapani und verrottet, angeblich, um eine mögliche künftige Nutzung des Schiffes für kriminelle Zwecke zu verhindern. Das Gericht in Trapani hatte deshalb zwar eine Verletzung der Sorgfaltspflicht durch die Behörden erkannt und verfügt, das Schiff wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen. Mittlerweile wurde die »Iuventa« aus dem Wasser geholt, weitere Arbeiten stocken aber. Zusammen mit zwölf Nichtregierungsorganisationen hat die Crew deshalb im November eine Strafanzeige wegen Untätigkeit gestellt.
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