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»Es störte der Schrecken auf seinen Bildern«
Die Akademie der Künste hat neuerdings ein Otto-Dix-Archiv – ein Gespräch mit Archivdirektor Werner Heegewaldt
Vor 100 Jahren wurde das Gemälde »Der Schützengraben« von Otto Dix hier am Pariser Platz das erste Mal in Berlin gezeigt, sagten Sie in Ihrer Eröffnungsrede des neuen Dix-Archivs. Überforderte solch detaillierte Innenansicht der Kriegsschrecken damals die Betrachter?
Aufgrund der eigenen Kriegserfahrungen war es im Jahre 1924 für viele von Otto Dix’ Zeitgenossen traumatisch, in diesen Spiegel zu blicken. Aber man kämpfte auch um politische Positionen. Wenn Dix bekannte: »Ich wollte die zerstörte Erde, die Leichen, die Wunden zeigen«, dann störte das natürlich das Selbstverständnis von Frontkämpferbünden wie dem »Stahlhelm«, die mit Heldenpathos über den Schrecken des Krieges hinweggingen. Auch bei diesem Thema stellte sich die Frage: Was darf und was vermag Kunst? Der Kunstkritiker Julius Meier-Graefe, der den Impressionismus im wilhelminischen Deutschland maßgeblich mit durchgesetzt hatte, empfahl, »das Monstrum« wieder abzuhängen, es sei nicht nur »schlecht«, sondern auch »infam gemalt, mit einer penetranten Freude am Detail«. Max Liebermann dagegen verteidigte den »Schützengraben«, er sah darin die »Personifizierung des Krieges ohne Pathos und bengalisches Feuerwerk«.
An diesem Bild des Krieges schieden sich dann auch weiterhin die Geister – es wurde 1937 als Beispiel für »gemalte Wehrsabotage« in der NS-Ausstellung »Entartete Kunst« gezeigt, wo zahlreiche Dix-Werke vertreten waren –, seit 1940 gilt es als verschollen. Es gibt nur noch Schwarz-Weiß-Fotografien davon, darunter eine von dem bekannten Fotografen Hugo Erfurth, die Dix zu Dokumentationszwecken in Auftrag gegeben hatte und die sich in seinem Nachlass in der Akademie befindet.
Otto Dix zählte 1933 zu den ersten Mitgliedern, die aus der vom NS-Regime gleichgeschalteten Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen wurden. In diese war er 1931 nicht von den überwiegend konservativen Mitgliedern gewählt, sondern durch ministeriellen Beschluss berufen worden, was auch einiges über die Weimarer Republik sagt. Aber zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, den Dix zurückgezogen am Bodensee überlebt hatte, wurde er in die Kunstakademien von Ost- und Westdeutschland aufgenommen. Das war nicht gerade der Regelfall für die 50er Jahre.
Nein, es war der Versuch der Wiedergutmachung an einem, dessen Bilder so schonungslos den Schrecken des Krieges gezeigt hatten und der ohne großen Widerstand der Mitglieder zum Austritt genötigt worden war. Insofern ein Bekenntnis in Ost und West gleichermaßen zum Humanismus bei Dix und seiner Akademiegeschichte. Aber dennoch blieb er in beiden deutschen Staaten ein Außenseiter, auch weil sein Spätwerk mehr und mehr christlich geprägt ist. Im Westen beherrschte die abstrakte Kunst die Szene, mit der Dix, der selbst mit so vielen Stilen experimentiert hatte, aber doch immer dem Realismus verbunden blieb, nichts anfangen konnte. Im Osten störte sich die Kulturpolitik an den vielen Details des Schreckens auf Dix’ Bildern. Das hielt man für »spätbürgerlich« und dekadent. Für Dix war die Mitgliedschaft in beiden Akademien die Möglichkeit, seine künstlerische Unabhängigkeit zu bewahren. Dabei spielte bei der Ost-Akademie seine Verbundenheit mit Dresden eine wichtige Rolle. Dort besaß er immer noch sein Atelier, wo auch die »Sieben Todsünden« überdauert hatten. Das Atelier hatte erstaunlicherweise die Bombenangriffe überstanden; die Druckerei für seine Grafiken war ebenfalls in Dresden, und seine Geliebte Käthe König lebte dort.
Diese war Aktmodell der Kunstakademie gewesen und zugleich Gerichtsdienerin. Man sagt, sie habe, als die Gestapo Dix nach dem Münchner Attentat auf Hitler 1939 verhaftete, im Gericht belastendes Material gegen ihn verschwinden lassen, sodass man ihn wieder entlassen musste. Das weiß man aber nicht im Detail, auch ist dieser Briefwechsel noch bis 2040 gesperrt. Womit wir bei der Frage nach dem Archiv sind. Ein Großteil des schriftlichen Dix-Nachlasses liegt im Germanischen Museum in Nürnberg – und der Schweizer Archivteil nun in der AdK. Wie kam es dazu, und woraus besteht dieses Material?
Es sind 145 Archivkästen, 16 laufende Meter – das ist erstaunlich viel bei jemandem, der eigentlich eher wenig mitteilsam war, was persönliche Dinge betrifft. Wir haben dieses Material, das uns von der Otto-Dix-Stiftung aus der Schweiz übergeben wurde, über ein Jahr lang aufgearbeitet und nun für die Forschung und interessierte Besucher zugänglich gemacht. Die Archivalien lassen sich online in unserer Archivdatenbank recherchieren und in unserem Lesesaal einsehen. Es sind zum einen »Lebensdokumente«, etwa 300 Briefe, Notizbücher, Ausweise, Erinnerungsstücke und andere biografische Dokumente. Auch der Malkoffer von Dix, mit einer Zeichnung auf der Innenseite. Sie zeigt eine Madonna mit Strahlenkranz von 1942, gleichsam die Schutzgöttin seiner Malutensilien. Eine der seltenen Selbsterklärungen seiner Kunst, etwas, was er sonst strikt vermied, findet sich auch darunter, der Text »Über meine Malweise«. Das ist ein Vortrag, den er an einer Malschule gehalten hat.
Zum anderen ist da die »Werkdokumentation« – 4000 Karteikarten mit Fotos seiner Bilder. Dix wollte sein gesamtes Schaffen dokumentiert sehen – er hatte durch die NS-Zeit und den Krieg ja einen nicht geringen Teil seines Werkes eingebüßt, darunter seine Nietzsche-Büste, die verloren ist, auch das große Wandgemälde »Orpheus und die Tiere« für einen Chemnitzer Industriellen, das bei einem Bombenangriff verbrannte. Von den im Zuge der NS-Kampagne gegen die »Entartete Kunst« aus den Museen entfernten Werken, von denen viele verschwunden geblieben sind, nicht zu reden. Darum war es ihm so wichtig, dass von allem, was er geschaffen hatte, Fotos archiviert wurden, samt der dazugehörigen Daten wie Abmessungen oder Käufernamen, was für die Forschung heute von großem Wert ist.
Warum sind diese doch eher nüchternen Daten so wichtig für das Verständnis von Kunst?
Natürlich kann man die Bilder auch ganz unmittelbar sehen und intuitiv verstehen. Aber durch die genaue Kontextualisierung in der Zeitsituation, in der sie entstanden sind und erstmals rezipiert wurden, gewinnt man einen anderen Zugang. Das scheint mir wichtig.
Mit dem Otto-Dix-Archiv hütet die Akademie der Künste nun zusammen mit den Archiven von George Grosz, John Heartfield oder Wieland Herzfelde einen beachtlichen Schatz im Umkreis der Dada-Kunst. Was war der verblüffendste Fund, den Sie im Dix-Nachlass machten?
Ein Musterbuch für Tätowierer, ein skurriler Fund, bei dem wir uns fragten, warum sich Dix ausgerechnet für Anker und durchstochene Herzen interessierte. Dann fanden wir heraus, wofür er die Vorlagen verwendet hatte. Es war eine Inspirationsquelle für das Bild »Suleika, das tätowierte Wunder« von 1920. Wenn man sucht, dann stellen sich plötzlich unerwartete Zusammenhänge her, die einen besser verstehen lassen, was man vor Augen hat.
Das klingt, als ob Archivarbeit, wie man bei Umberto Eco in »Der Name der Rose« lesen kann, immer noch eine Art gefährliche Expedition ist.
Gefährlich vielleicht nicht, aber es ist eine Expedition ins Unbekannte, eine detektivische Arbeit, bei der man sich von alten Dokumenten Geschichten erzählen lässt. Man setzt aus vielen Details ein Puzzle zusammen. Zum Beispiel gibt es ein Doppelporträt von Otto Dix und seiner Frau Martha, ein Gemälde, das verschollen ist. Man wusste nicht einmal, wie groß es war. Nun haben wir im Archiv ein Foto gefunden, auf dem das Gemälde neben einem Türrahmen zu sehen ist. Dadurch konnten wir die Maße rekonstruieren. Sicherlich ein Detail, aber daraus setzt sich akribische Forschung zusammen.
Die Akademie der Künste in Berlin hat jetzt ein Otto-Dix-Archiv, das vergangene Woche eröffnet wurde. Es enthält unter anderem biografische Fotos und Dokumente des Malers (1891–1969), der Mitglied der Akademie war, und wurde ihr von der Otto-Dix-Stiftung überlassen. Werner Heegewaldt, Jahrgang 1962, ist seit 2016 Archivdirektor der Akademie der Künste, Historiker und wissenschaftliche Archivar.
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