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Canan Taş boxt sich im Eiltempo zu Olympia
Vor vier Jahren betrat Canan Taş erstmals einen Boxring. Jetzt hat die Cottbuserin die Chance auf Paris
Das Datum hat sich eingebrannt bei Canan Taş. Am 2. September 2019 besuchte sie erstmals für eine Box-Trainingseinheit die Sporthalle in der Cottbuser Gartenstraße. Ein Tag, der ihr Leben verändern sollte – hin zu einer Leistungssportkarriere. »Hätte man mich damals gefragt: ›Boxt du 2024 bei Olympia in Paris?‹, hätte ich natürlich geantwortet: ›Ich glaube nicht.‹ Aber jetzt ist es nicht mehr unmöglich«, erzählt die 28-Jährige mit einem sympathischen und gleichzeitig immer noch ungläubigen Lächeln. Denn etwas mehr als vier Jahre nach ihrer ersten Übungsstunde beim Cottbuser Boxverein 2010 e. V. ist Canan Taş die deutsche Nummer eins im Federgewicht (bis 57 Kilogramm) und soll den Deutschen Boxsport-Verband (DBV) Anfang März bei der ersten Qualifikation für das olympische Boxturnier von Paris im italienischen Busto Arsizio vertreten.
Taş’ Geschichte gehört derzeit wohl zu den spannendsten im deutschen Sport. Vater Ahmet ist türkischstämmig, Mutter Katarzyna kommt aus Polen. 1995 in Cottbus geboren und aufgewachsen, legt ihre Tochter später an der Theodor-Fontane-Schule das Abitur ab. Es folgt eine kaufmännische Ausbildung in Hannover und Leipzig. Sportlich macht die junge Frau beim Taekwondo erste Bekanntschaft mit Kampfsport. 2019 kehrt Taş dann in die Lausitz zurück und entscheidet an einem lauen Sommerabend nach einem Gespräch mit ihrer Mutter: »Ich gehe mal zum Boxen.« Vater Ahmet, der aus Köln stammt, früher selbst Boxer war und in Junioren-Zeiten ebenfalls in der DBV-Auswahl stand, kennt die richtigen Leute in Cottbus und organisiert die erste Trainingsstunde.
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»Irgendwie bin ich mit Boxsport aufgewachsen. Angst hat nie eine Rolle gespielt – und ich hatte immer die komplette Unterstützung meiner Familie«, erinnert sich Canan Taş an ihre Anfänge. Mitte November 2019 steigt sie im Cottbuser Glad-House zu ihrem ersten Kampf in den Ring. Und gewinnt. »Ich habe mich nie unter Druck gesetzt. Das Wichtigste war immer, Spaß zu haben. Eins kam dann zum anderen. Ich bin da sehr unbedarft rangegangen, wurde so mitgezogen und bin drangeblieben«, erinnert sie sich heute. Nach einem weiteren starken Kampf im Corona-Sommer 2021 bei der Cottbuser Box-Night erhält sie das Angebot, an den Olympiastützpunkt in Frankfurt (Oder) zu wechseln.
»Canan ist mir damals beim Sparring mit ihrer Courage sehr aufgefallen«, erinnert sich Bundestrainer René Benirschke, der die Boxerin seit zweieinhalb Jahren am dortigen Bundesstützpunkt des DBV betreut. Körperlich, technisch und taktisch habe sich die Spät-Berufene seitdem enorm weiterentwickelt, vor allem punktet die Cottbuserin in den Kämpfen aber durch ihre überragende Mentalität. »Canan ist und wird keine filigrane Boxerin mehr. Sie ist definitiv eine Kämpferin. Ihre Einstellung stimmt. Sie mag es einfach, an ihre Grenzen zu gehen, und ist beispielhaft für einen erfolgreichen Quereinstieg in das Boxen«, sagt Benirschke über Taş. Steffen »Kuno« Rehn, ihr erster Trainer und Förderer in Cottbus, bringt es noch direkter auf den Punkt: »Canan hat einfach ein Boxer-Herz.«
Seit Ende 2021 hat Taş einen offiziellen Status als Kaderathletin und kann sich damit vollends auf den Sport konzentrieren. Als Angehörige der Sportfördergruppe der Brandenburger Feuerwehr verdient sie genug zum Leben und macht neben dem Sport als Brandmeister-Anwärterin an der Landesschule und Technischen Einrichtung für Brand- und Katastrophenschutz (LSTE) in Eisenhüttenstadt auch noch eine Ausbildung.
Seit der Aufnahme in den Kader geht es auch sportlich Schritt für Schritt nach oben. Nach ersten internationalen Einsätzen wird sie im Dezember 2022 erstmals deutsche Meisterin im Federgewicht. Und nach gerade einmal 25 Kämpfen winkt nun die Chance, sich einen Startplatz für Paris 2024 zu erkämpfen. »Manchmal denke ich: Wow! Die letzten Jahre waren wie eine ICE-Fahrt – von 0 auf 300«, schaut Canan Taş staunend in den Rückspiegel.
Bei nur knapp mehr als zwei Dutzend Kämpfen fehlt der 28-Jährigen vor allem Kampf- und Ringerfahrung, die macht sie aber mit ihrer Willenskraft wett, meint sie. »Mein Biss ist ziemlich groß – ich war schon immer eine Kämpferin. Und vielleicht bin ich mental ein Stück weiter als andere, weil ich ein bisschen mehr Lebenserfahrung habe«, sagt Taş über sich selbst.
Bundestrainer René Benirschke glaubt, dass sein Schützling es trotz der boxerisch limitierten Mittel weit bringen kann. »Canan boxt aus einer stabilen und sehr geschlossenen Deckung. Es ist nicht so einfach, sie zu treffen, und am Ende macht sie auch viel über ihre Kondition«, sagt Benirschke. Zuletzt überzeugte sie bei den Weltcup-Wettbewerben in Köln und Sheffield und brachte von dort jeweils Bronze-Medaillen mit zurück in ihr WG-Zimmer in Cottbus. »Die letzten Kämpfe haben gezeigt: Ich kann mit der Weltspitze mithalten«, sagt Taş.
Was einst aus einer Laune in einer Turnhalle in Cottbus begann, könnte jetzt in Rekordzeit auf die olympische Bühne führen. »Das Thema ist natürlich auch für mich immer interessanter und immer größer geworden«, sagt sie. In Busto Arsizio werden zwei Tickets in ihrer Gewichtsklasse für Paris 2024 vergeben. »Ich denke, es ist erst mal wichtig, dass Canan ein gutes Turnier boxt und die Kampfrichter sie wahrnehmen. Canan war noch nie auf so einem großen Turnier. Es ist wichtig, dort Erfahrung zu sammeln«, sagt Bundestrainer Benirschke. Daher schätzt er die Chance auf ein Olympiaticket beim zweiten Qualifikationsturnier Anfang Mai in Bangkok als noch größer ein.
So oder so: Canan Taş möchte ihre Chance nutzen. »Natürlich sind die Olympischen Spiele für mich ein kleiner Traum, den ich gern erleben möchte. Und solange die Chance nicht vorbei ist, schließe ich mit dem Thema nicht ab.« Statt Gartenstraße könnte es dann im Sommer möglicherweise Stadion Roland Garros heißen – im berühmten Pariser Tennis-Tempel werden auch die olympischen Boxkämpfe ausgetragen.
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