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»Wir schleppen im Gesundheitswesen eine alte Last mit«
Beauftragter der Bundesregierung will Mitsprache stärken
Wo sehen Sie konkreten Reformbedarf in der Patientenfürsprache und Patientenbeteiligung, auch angesichts der Krankenhausstrukturreform?
Mein Ziel ist die gesetzliche Verankerung der Patientenfürsprache in jedem Bundesland, mit vergleichbaren Regelungen. Dafür ist die Krankenhausstrukturreform eine gute Gelegenheit, denn in ihrer Umsetzung müssen die Länder ihre Krankenhausgesetze überarbeiten. Woran ich darüber hinaus arbeite, ist die Reform der Patientenbeteiligung. Hier ist das 20-jährige Jubiläum ein guter Anlass und der Koalitionsvertrag gibt uns auch den Auftrag dazu, die Patientenbeteiligung zu stärken.
Was wollen Sie in diesem Jahr zur Verbesserung der Patientenbeteiligung auf den Weg bringen?
Mein vorrangiges Ziel ist es, die Strukturen, in denen die Patientenvertreterinnen und -vertreter arbeiten, zu stärken. Der Gesetzgeber und auch die anderen Akteure der Selbstverwaltung schätzen die Betroffenenkompetenz für die Entscheidungsfindung. Betroffene, zum Teil chronisch kranke Menschen, benötigen aber einen gut zuarbeitenden Apparat, der es ihnen ermöglicht, ihr Wissen in den hochkomplexen Sachfragen einbringen zu können. Hier bedarf es noch großer Anstrengungen.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der medizinischen Versorgung unter der Ampel-Regierung und Bundesgesundheitsminister Lauterbach allgemein ein?
Stefan Schwartze ist Patientenbeauftragter der Bundesregierung. Der gelernte Industriemechaniker trat 1994 der SPD bei, sitzt seit 2009 für die Partei im Bundestag und ist seit 2014 Vorsitzender der SPD Region Ostwestfalen.
Aus Patientenperspektive hat sich die gesundheitliche Versorgung jedenfalls nicht zum Schlechteren entwickelt. Und was mir Respekt abfordert: Kein Minister vor Lauterbach hat sich daran gewagt, die Fehlentwicklungen der DRGs anzugehen. (DRG, Diagnosis Related Group, ist eine diagnosebezogene Fallgruppierung, die Patientenfälle mit ähnlichen Kosten zusammenfasst, die sogenannte Fallpauschale, Anm. d. Red.) Das ist mutig und kostet Zeit und Kraft. Sollte eine nachhaltige Krankenhausstrukturreform gelingen, dann steigen die Qualität der Versorgung, die Patientensicherheit, aber auch die in den Kliniken Tätigen werden aufatmen. Wir bekommen dann wieder ein besseres Verhältnis – gerade in der Pflege – von Krankenpflegekräften zur Bettenanzahl. Worauf ich noch sehr gespannt bin, sind die Gesundheitskioske und die Gesundheitsregionen. Wir haben in Deutschland leider ein großes Ungleichgewicht in der Lebenserwartung, das sozial bedingt ist. Die Bekämpfung dieser gesundheitlichen Ungleichheit ist mir ein Herzensanliegen. Beide Ansätze, insbesondere die Gesundheitskioske, können da helfen.
Aber ist nicht gerade die neoliberale Privatisierung der stationären Gesundheitsversorgung und Pflege einer der Gründe für die großen Unterschiede zum Beispiel bei der sozial bedingten Lebenserwartung, die Sie ansprechen?
Die Zuspitzung in Ihrer Frage teile ich nicht. Wir haben in Deutschland einen gesunden Wettbewerb zwischen Kliniken in kommunaler, frei gemeinnütziger und privater Trägerschaft. Was ich aber teile, ist, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht zur Grundlage von Share-Holder-Value werden sollten.
Inwiefern ist denn das Fallpauschalensystem einer guten medizinischen Versorgung zuträglich, wenn überhaupt?
Die Einführung des Fallpauschalensystems ist in seiner Historie ja in Abgrenzung zur Liegezeit zu bewerten. Hier bedurfte es einer Korrektur. Der gut gemeinte Wechsel hin zu den Fallpauschalen hat sich als falsch erwiesen und muss korrigiert werden. Da geht der Bundesgesundheitsminister einen wichtigen Weg. Grundsätzlich sind dabei die Anreize der unterschiedlichen Finanzierungssysteme und deren Folgen für die Qualität der gesundheitlichen Versorgung, die Patientensicherheit und – ganz wichtig – die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu berücksichtigen.
Wie kann Ihrer Meinung nach ein sozialeres Gesundheitssystem konkret aussehen und finanziert werden?
Wie wir das zurzeit organisieren, ist das schon sehr gut. Aus meiner Sicht als SPD-Politiker ließe sich die Finanzierungsbasis der Sozialversicherungssysteme gut erhöhen, wenn wir weitere Berufsgruppen zur Finanzierung dazunehmen würden. Ein weiterer, aus meiner Sicht durchaus ernsthaft zu prüfender Weg ist die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, der Grenze, bis zu der das Brutto-Einkommen und auch weitere Einkünfte mitherangezogen werden. Dadurch würde Solidarität Wirklichkeit.
Abschließend noch einmal allgemein gefragt: Gibt es eine Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland?
Das ist eine schwierige Diskussion, die ich differenziert beantworten muss. Privatversicherte bekommen statistisch schneller einen Arzttermin. Dafür bekommen sie aber auch Leistungen, die überflüssig und nicht qualitätsgesichert sind. Den Kassenärzten muss zugutegehalten werden, dass, je dringlicher eine gesundheitliche Behandlung ist, die Wartezeiten sich zwischen gesetzlich und privat Versicherten angleichen. Es wäre aber gut, die finanziellen Anreize für eine Behandlung – sei es privat oder gesetzlich versichert – anzugleichen. Die Terminservicestelle unter der Rufnummer 116117 leistet da schon einen guten Beitrag. Trotzdem bleibt: Wir schleppen in unserem Gesundheitswesen eine alte Last mit uns herum, die andere Länder längst abgebaut haben und die für den sozialen Frieden nicht gut ist.
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