FC Bayern im »Horrorfilm«: Der lange Weg in die große Krise

Nach dem 2:3 in Bochum droht den Münchner Fußballern die erste titellose Saison seit zwölf Jahren

  • Maik Rosner, München
  • Lesedauer: 5 Min.
Fassungslos in Bochum: Solch eine Saison hat auch das Münchner Urgestein Thomas Müller noch nicht erlebt.
Fassungslos in Bochum: Solch eine Saison hat auch das Münchner Urgestein Thomas Müller noch nicht erlebt.

Am Montag musste es allen, die es mit dem FC Bayern halten, beim Aufwachen noch immer vorkommen wie Leon Goretzka. »Es fühlt sich an wie ein Horrorfilm, der nicht aufhört«, hatte der Mittelfeldspieler nach der 2:3-Niederlage beim VfL Bochum am Sonntag gesagt. Es war die dritte Niederlage in acht Tagen, nach dem 0:3 beim Tabellenführer Bayer Leverkusen und dem 0:1 bei Lazio Rom im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League.

Sehr viel spricht nun für die erste titellose Saison seit zwölf Jahren. Unmittelbare Konsequenzen schloss Jan-Christian Dreesen aus. Trainer Thomas Tuchel werde am Samstag gegen Leipzig »selbstverständlich« auf der Bank sitzen, sagte der CEO. Auch wenn sie sich beim FC Bayern vorgenommen haben, es vorerst mit einer Wagenburg zu versuchen, läuft im Hintergrund längst die Fehleranalyse. Denn die Mängelliste ist so lang, dass sie ein neuer Trainer kaum allein beseitigen könnte. Mit dieser Liste könnte man jene 75 Meter auslegen, über die sich Bochums Konter vorm 1:1 erstreckte. Am Ende dieser Fehlerkette traf zum Ausgleich jener Takuma Asano, der gegen Torwart Manuel Neuer bei der WM 2022 schon Japans Siegtreffer erzielt und damit das Aus der DFB-Elf nach der Gruppenphase eingeleitet hatte.

Auch das passt ins große Bild. Die früh hochgelobte Generation der Jahrgänge 1995/96, von Joshua Kimmich über Goretzka und Leroy Sané bis Serge Gnabry, konnte und kann die Erwartungen nicht erfüllen. In Bochum geriet Kimmich aus Frust über seine Auswechselung mit Tuchels Assistent Zsolt Löw aneinander – ein Ausdruck des angespannten Binnenklimas.

Am Ende der übergeordneten Fehlerkette auf allen Ebenen steht die vielleicht größte Krise des FC Bayern seit fast zwei Dekaden, seit der Saison 2006/07, als die Münchner die Champions-League-Teilnahme verpasst hatten. Das derzeitige Mosaik des Misslingens setzt sich zusammen aus wiederkehrenden individuellen, aber auch mannschaftstaktischen Fehlern.

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Zu tun hat die allgemeine Verunsicherung wohl auch mit Tuchels Teamführung. Sämtlichen infrage kommenden Sechsern, ob Kimmich, Goretzka, Konrad Laimer, Raphaël Guerreiro oder dem Talent Aleksandar Pavlović, sprach der Trainer im Sommer das gewünschte Profil einer »holding six« ab. Auch Verteidiger Matthijs de Ligt und Thomas Müller seien von Tuchel »demontiert« worden, sagen Kritiker. Offensichtlich ist, dass den meisten Spielern das Selbstvertrauen fehlt. Als »zu verkopft« bezeichnete Müller die Herangehensweise zuletzt. Auch Kimmich beklagte, es gebe kaum »Spielfreude, Kreativität, Leichtigkeit, Freiheit«.

Andererseits lassen sich im Spiel nach vorn kaum Automatismen erkennen. Vieles wirkt zufällig und ideenlos. Gewinnen die Offensivspieler ihre Duelle nicht, kommen die Bälle gar nicht erst zum Abnehmer, zu Mittelstürmer Harry Kane. Die Angriffe versiegen oder münden gar in Konter. Und wie das gesamte Team wirkt auch die Abwehrreihe keineswegs wie eine Einheit, sondern eher wie eine zusammengewürfelte Ansammlung von individuell agierenden Verteidigern. Es fehlt ein Kommandogeber und damit ein Bindeglied zwischen Torwart und Mittelfeld.

Auch die Verletzungsmisere muss als Grund für die vielen Münchner Probleme genannt werden. Tuchel musste aber auch deshalb gerade in der Defensive immer wieder improvisieren, weil der Kader mit einer Unwucht konstruiert wurde. Nur drei Innenverteidiger zählten im ersten Halbjahr zur Belegschaft und nur ein echter Rechtsverteidiger, nachdem Benjamin Pavard und Josip Stanišić im vergangenen Sommer abgegeben worden waren, Letzterer an Leverkusen. Für den Verein erzielte er gegen die Bayern jüngst das 1:0. Sein überforderter Gegenspieler war dabei Sacha Boey auf der ungewohnten Position des Linksverteidigers.

Der überteuert wirkende Kauf des Rechtsverteidigers Boey für 30 Millionen Euro war einer der Nottransfers des Winters. Ausgeliehen wurden zudem Verteidiger Eric Dier und Offensivspieler Bryan Zaragoza, der ursprünglich erst im Sommer kommen sollte. Kritiker sagen, die Bayern hätten sich im vergangenen Sommer so sehr darauf konzentriert, mit dem Rekordeinkauf Kane den Fehler des Sommers 2022 zu korrigieren, als kein Nachfolger für Robert Lewandowski geholt worden war, dass die restliche Kaderarchitektur litt.

Vielleicht muss man auf der Suche nach den Gründen für Bayerns Krise deutlich weiter zurückschauen. Bis zur plötzlichen Entlassung von Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann im März 2023, die gegen den Willen vieler Spieler erfolgte. Oder vielleicht sogar bis ins Jahr 2017, als Hasan Salihamidzic Sportdirektor wurde und drei Jahre später die Beförderung zum Sportvorstand erhielt. 2019 hatte der frühere Bayern-Profi den damaligen Rekordtransfer von Lucas Hernández für 80 Millionen Euro getätigt. Dessen Jahresgehalt von 24 Millionen Euro sorgte dafür, dass die Kollegen fortan auch deutlich mehr Lohn forderten. Mit dem Transfer von Hernández »wurde die Geldvernichtungsmaschine angeworfen«, befand das Magazin »Kicker«.

Und nun? Im Sommer steht wohl der nächste teure Umbruch bevor, im Kader und im Trainerstab. Zuvor wird Max Eberl als neuer Sportvorstand erwartet. Seine Einstellung soll auf der Aufsichtsratssitzung am 26. Februar beschlossen werden. Wie alle Akteure in Vereins- und AG-Führung bekommt Eberl seinen Job auf Wunsch von Ehrenpräsident Uli Hoeneß.

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