Dresdner Verwaltung: Mit dem Hintern zum Volke

Kritik der Linken an Kofinanzierung des Semperopernballs durch die Stadt

  • Michael Bartsch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.

Opernbälle müssen etwas Feudales haben, wenn der Geldadel gehobene Langeweile pflegt – im royalistischen Dresden vielleicht noch etwas mehr als anderswo. Am Freitag ist es nach drei Jahren Corona-Pause in der Semperoper wieder soweit. Milliarden Zuschauer im gesamten Universum können enthusiasmiert die Liveübertragung verfolgen. Fußvolk, das den Mindesteintritt von 595 Euro für einen schlechten Sitzplatz nicht aufbringt, darf draußen vor der Tür auf dem Theaterplatz vor der Videowand träumen und ab zehn mittanzen. Show und Feuerwerk gibt es gratis dazu.

Doch der Linke-Stadtrat Tilo Wirtz stört mit notorischer Meckerei die volksnahe Idylle. Nicht genug, dass der 1967 geborene Bauingenieur seine persönliche Abneigung gegen das »stockreaktionäre Ereignis« öffentlich macht und nicht mal eine Karte geschenkt haben will. Die Bevölkerung sei nur Komparserie für das Schaulaufen der Mächtigen, der Ball »völlig aus der Zeit gefallen«, schimpft er. Und findet, das Event hätte in diesen Krisenzeiten abgesagt werden müssen.

Als Stadtrat stört ihn noch konkreter die öffentliche Mitfinanzierung einer formal von einem privaten Verein getragenen Veranstaltung, freilich in den Räumen eines Staatstheaters unter Mitwirkung der berühmten Sächsischen Staatskapelle. Zum ersten Mal schießt Dresden 200 000 Euro zu, darin enthalten 120 000 Euro Fördermittel des Freistaates Sachsen. Begründet wird das laut Erkundigung der »Dresdner Neuesten Nachrichten« mit dem »positiven Effekt des Semperopernballs auf den hiesigen Tourismus im besucherarmen Februar«.

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Einen positiven Effekt hatte der letzte Ball vor der »Corona-Pause« vor allem für Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) und seine elfköpfige Entourage. Im vorigen November antwortete die Stadt auf eine diesbezügliche Anfrage des Linke-Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, André Schollbach. Demnach zahlte die Stadtkasse der Gruppe um Hilbert die Teilnahmekosten in Höhe von insgesamt 35 930 Euro am VIP-Tisch. »Herr Hilbert hat an einem einzigen Abend das durchschnittliche Jahresgehalt eines sächsischen Arbeitnehmers verfeiert«, kommentierte Schollbach im Herbst.

Tilo Wirtz stört noch etwas anderes, von dem er einräumt, er komme damit »18 Jahre zu spät«. Der Semperopernball knüpft seit seiner Wiedereinführung 2006 bruchlos an die Traditionen bis 1939 an. Statt eines Hinweises auf die Nazizeit ist auf der Website des ausrichtenden Vereins lediglich von der »erfolgreichen Neuauflage« des Balls nach 67 Jahren zu lesen.

Wirtz hat in den Zeitungsarchiven gestöbert und begeisterte Schilderungen entdeckt: Huldigungen an Reichsstatthalter und Gauleiter Martin Mutschmann, die Darbietungen des Musikzuges des III. SS-Totenkopf-Sturmbanns oder die Teilnahme des später verurteilten Kriegsverbrechers Wilhelm List am Ball. Die Freifläche vor der Oper hieß damals Adolf-Hitler-Platz.

Verdrängte Dresdner Stadtgeschichte ist ein Lieblingsthema des Linke-Stadtrats. So hat er ein lange beschwiegenes Kapitel in der Geschichte des 1913 eröffneten und erst 1992 nach dem Abzug der Roten Armee wiederbelebten Festspielhauses in Dresden-Hellerau publik gemacht: In der Nazizeit beherbergte es eine berüchtigte Polizeischule.

Andere peinliche Kapitel des Semperopernballs sind jüngeren Datums. Dessen Auferstehung 2006 ist eng verbunden mit dem Namen Hans-Joachim Frey. Der Mann ist Spezialist für Unterhaltungsevents, war ab 1997 Leiter des Künstlerischen Betriebsbüros der Semperoper und deren Operndirektor.

Als Ballchef hat Frey mehrere Fehlentscheidungen bei der Verleihung des St.-Georg-Ordens des Ballvereins zu verantworten. 2009 wurde er Wladimir Putin verliehen, 2020 dem Präsidenten Ägyptens, Abdel Fatah El-Sisi, der sich 2013 an die Macht putschte. Vom Verein wurde der Autokrat als »Hoffnungsträger und Mutmacher eines ganzen Kontinents« sowie als »Brückenbauer und Friedenstifter« gepriesen. Nach Absagen von Prominenten, die auf dem Ball auftreten sollten, beziehungsweise Forderungen, die Entscheidung zurückzunehmen, wurde die Preisverleihung noch vor dem Ball wieder abgesagt.

Erst 2022 nach dem russischen Überfall auf die Ukraine setzte der Ballverein dem Treiben von Frey ein Ende, nachdem der bekannt hatte, auf der Seite Russlands zu stehen. Putin bedankte sich 2023 für so viel Treue und verlieh der Ex-Opern-Eminenz den »Orden der Freundschaft«.

Die Linke-Stadtratsfraktion erfragt nun in einem weiteren Antrag, wie viel die Steuerzahler für das bescheidene Amüsement ihrer Stadtspitze beim bevorstehenden Ball blechen müssen. Sogar Tilo Wirtz billigt ihr das zu, aber: »privat ja, aber nicht sächsisch-monarchisch!«

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