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Das ist der Tiefseeblues
Wie cool ist diese Uncoolness? »Drohgebärde« von Ahabs Linkes Bein
Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau
Das Meer ist blau – blau wie der Blues. Eine Musikrichtung, die man erst mal nicht mit der Seefahrt assoziiert, genauso wenig wie Country (da steckt das Land ja schon im Namen), Folk oder Jazz. Aber so wie jeder Fluss irgendwann ins Meer mündet, so wird bei der Berliner Band Ahabs Linkes Bein aus diesen Festlandmusiken ein Klang-Ozean. Sie machen dafür eine ganz obskure Schublade auf: »Maritime Folk Rock«. Uuuh, klingt das uncool! Noch dazu sieht die Band aus wie ein Streichquartett, das einen auf wild macht: einigermaßen junge Männer in Westen und Hemden (zwei Hemdknöpfe offen), alle bärtig, zwei mit langen Haaren. Das kann uncool finden, wer mag; eine solche Indifferenz gegenüber dem Zeitgeist der Berliner Boheme ist durchaus beeindruckend.
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Und hinter dem Adjektiv »maritim« verbirgt sich keine altbackene Seefahrerromantik, vielmehr ist die Musik selber wie das Meer – genregrenzenlos wogt sie hin und her. Mal wird man von den Klang-Wellen elektrischer Gitarren überrollt (Nennt man das dann »Maritime Desert Rock«?), mal taucht man ein in Songs wie still wabernde Seetanggärten, wo sich die filigranen Tentakel von Quallen ausbreiten.
»Rock« ist das hier wirklich nur im entfernten Sinne, denn hier wird nicht entlang eines vorhersehbaren Viervierteltaktes zum altbewährten Schema von Strophe – Refrain – Strophe wahlweise dionysische Lust oder Destruktivität zelebriert.
Die Band borgt sich vom Jazz die rhythmische und strukturelle Freiheit, sodass sie stellenweise so klingt wie die stillen Parts von John Coltranes »A Love Supreme«. Dann wieder stampft sie gewollt primitiv zu Banjoklängen umher oder spielt einen morbiden Samba – eine Contradictio in adiecto! Und stimmlich wird hier auch einiges geboten: vom sinnlich-leichten Tremolo des Jazzsängers zum schmerzerfüllten Aufschrei des Bluesman, von der melancholischen Intellektualität des Chançonniers zur hemdsärmeligen Rotzigkeit des Countrysängers.
Die Vielfältigkeit der Musik findet sich auch in den Texten. Während im abgründigen »Zweifel« ein Druck herrscht, als wäre man 20 000 Meilen unter dem Meer, wird bei »Fick das System« lustvoll Druck abgelassen. Dieser augenzwinkernde Partykracher thematisiert den Widerspruch zwischen revolutionärer Ungeduld und der vorherrschenden Erschöpfung: »Fick das System, aber bitte nur an freien Tagen/ Ansonsten hab’ ich dafür keine Zeit«.
Da sieht man: Ahabs Linkes Bein sind zwar überhaupt nicht zeitgeistig, aber sehr zeitgemäß. Sie liefern die hoffnungsvolle Drohgebärde für die, die kein Land sehen, aber sich mithilfe der Sterne orientieren können.
Es ist übrigens nicht bekannt, welches Bein Kapitän Ahab fehlte und welches heil war. Schrödingers Holzbein: Solange man es nicht weiß, könnte es das linke oder das rechte sein. Aber eigentlich ist das auch egal, denn: »Wenn alle, die ich kenne, krank sind, was ist dann noch gesund?«
Ahabs Linkes Bein: »Drohgebärde« (erhältlich über Bandcamp)
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