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Mehr Lohn statt weniger Bürgergeld
Brandenburgs Linke erinnert SPD, CDU und Grüne an die im Koalitionsvertrag 2019 in Aussicht gestellte Tariftreueklausel
Nur 47 Prozent der Beschäftigten in Brandenburg erhalten Tariflöhne. Allen anderen entgehen pro Jahr und Kopf im Schnitt 4600 Euro brutto. Insgesamt 2,2 Milliarden Euro im Jahr hätten die Brandenburger mehr in der Tasche, wenn alle nach Tarif bezahlt würden. Für die Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung sowie die Pflege- und die Unfallversicherung stünden 1,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Außerdem würde das Land Brandenburg allein bei der Einkommenssteuer 929 Millionen Euro mehr einnehmen. Das rechnete Linksfraktionschef Sebastian Walter am Freitag im Landtag vor. Er riet Finanzministerin Katrin Lange (SPD), sich auszumalen, wie viele Schulen und Kitas dafür gebaut und wie viele Polizisten dafür eingestellt werden könnten.
Mit solchen Argumenten versuchte der Oppositionspolitiker, die anderen Parteien für seine Vorschläge zu erwärmen. Am 15. November tritt eine neue EU-Richtlinie in Kraft. Dann müssen Mitgliedstaaten mit einer Tarifquote unterhalb von 80 Prozent einen Aktionsplan für eine höhere Tarifbindung erarbeiten. Nach dem Willen der Linken sollte Brandenburg einen solchen Plan schon bis Mai aufstellen. Dieser sollte vorsehen, dass zeitnah Tarifverträge zur Bedingung für öffentliche Aufträge gemacht werden. Auch sollten Firmen nur noch dann Fördermittel vom Land erhalten, wenn sie sich konsequent an die Tarifverträge halten. Noch vor der Landtagswahl am 22. September sollte der Vergabemindestlohn von 13 Euro auf 14 Euro erhöht werden. Das bedeutet: Wer seinen Beschäftigten nicht wenigstens so viel bezahlt, erhält in Brandenburg keine Aufträge vom Staat.
Das alles forderte die Linksfraktion in einem Antrag, über den der Landtag am Freitag debattierte und entschied. »Arbeitsplätze, von denen die Menschen nicht leben können, die müssen endlich der Vergangenheit angehören, die brauchen wir nicht«, warb Walter um Zustimmung.
Doch stattdessen musste er sich Bedenken über Bedenken anhören. Kleine Handwerksbetriebe könnten Tariflöhne in der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Lage »nicht wuppen«, meinte der CDU-Abgeordnete Frank Bommert. Im ostbrandenburgischen Letschin beispielsweise stünden sie in Konkurrenz zu polnischen Handwerkern, die für weniger Geld arbeiten. Philip Zeschmann (AfD) warnte, dass bei noch höherer Kostenbelastung Firmen pleite und Arbeitsplätze verloren gehen würden. Linksfraktionschef Walter diagnostizierte daraufhin einmal mehr: »Die AfD ist nicht die Partei des kleinen Mannes.«
In ihrem Koalitionsvertrag von 2019 hatten SPD, CDU und Grüne vereinbart, die Einführung einer Tariftreueklausel zu prüfen. Doch Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) prüft und prüft und prüft – und gab am Freitag ärgerlich zu Protokoll, er lasse sich nicht treiben. Sorgfältig sei zu überlegen, ob eine solche Klausel nicht zu bürokratisch sei und ob man damit nicht kleine Firmen faktisch von öffentlichen Aufträgen ausschließen würde.
Dass es bisher keine Einigung über eine Tariftreueklausel gibt, »enttäuscht« den SPD-Abgeordneten Sebastian Rüter nach eigenem Bekunden. Doch ein Aktionsplan bis Mai sei »unrealistisch«. Das denkt Sebastian Walter nicht. Man könnte ja eins zu eins die vorbildliche Regelung aus dem Nachbarland Berlin übernehmen, sagte er.
Keine Ausflüchte machte Clemens Rostock (Grüne). Ganz im Gegenteil. Er verteidigte die Vorschläge der Linken als »Gewinn für einen Großteil der Bevölkerung«. Die Argumente dagegen seien von vor 20 Jahren und durch die Erfahrungen mit Mindestlöhnen widerlegt. »Die wirtschaftliche Lage ist unerheblich. Höhere Löhne stärken die Wirtschaft.« Diese kurbeln die Binnennachfrage an. »Das ist Volkswirtschaft. Das muss man einfach mal verstehen.« Clemens Rostock ist Volkswirt. So wie er im Landtag redete, müssten die Grünen dem Antrag der Linken zustimmen. Das taten sie aber nicht, sondern stimmten geschlossen dagegen, so wie die anderen Fraktionen auch. Nur aus Koalitionsdisziplin, die ein Ausscheren verbietet, wenn sich SPD, CDU und Grüne über eine Sache nicht einig werden? »Im Grunde ja«, bestätigte Rostock dem »nd« auf Nachfrage.
»Das haben sie versprochen, dafür wurden sie gewählt«, erinnerte Linksfraktionschef Walter die SPD an den Landtagswahlkampf im Jahr 2019. Er befürchtet, dass die SPD dieses Jahr im Wahlkampf wieder Tariflöhne verheißt und nachher doch nichts dafür tut. Dabei wären höhere Löhne eine Möglichkeit, den von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) gewünschten Abstand zum Bürgergeld herzustellen, damit sich Arbeiten lohne. Woidke hatte zuletzt laut darüber nachgedacht, ob man nicht deshalb das Bürgergeld kürzen oder künftige Erhöhungen aussetzen sollte.
Stattdessen müssten die Löhne steigen, finden Sebastian Walter und Clemens Rostock. Von den 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern in Deutschland seien übrigens 1,5 Millionen Kinder, 700 000 pflegen Angehörige und eine Million arbeite zu Niedriglöhnen und benötige deshalb eine Aufstockung. »Das sind keine faulen Menschen«, betonte Walter.
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