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Radsport in Ruanda: Vom Taxifahrer zum Profi

In Ruanda findet 2025 die erste Straßenrad-WM in Afrika statt. Ein Besuch bei der Tour du Rwanda

  • Tom Mustroph, Kigali
  • Lesedauer: 7 Min.
Auf acht Etappen ging es im Februar insgesamt 719 Kilometer durch Ruanda.
Auf acht Etappen ging es im Februar insgesamt 719 Kilometer durch Ruanda.

Ruanda ist ein verblüffendes Radsportland. Zwar findet man in den Ergebnislisten des Profisports kaum einen Fahrer aus Ruanda auf den vorderen Rängen. Die Straßen aber sind voll von Menschen, die täglich auf dem Rad sitzen und dabei oft gewaltige Lasten transportieren. Im nächsten Jahr kommen die Weltmeisterschaften ins Land, die ersten globalen Titelkämpfe auf der Straße in Afrika überhaupt. Wichtige Wettkämpfe auszurichten, ist Teil einer Investitionsstrategie. Über den Sport hofft die staatliche Entwicklungsagentur Rwanda Development Board (RDB) für Touristen attraktiver zu werden.

»Visit Rwanda« steht auf dem gelben Trikot der Tour du Rwanda. Das ist die Landesrundfahrt, die vom 18. bis 25. Februar nun schon zum 16. Mal ausgetragen wurde. Profiteams aus Europa waren am Start, der Sieger Joseph Blackmore stammt aus Großbritannien und ist beim Rennstall Israel Premier Tech unter Vertrag. Einige Tage zuvor hatte schon sein Teamkollege, der israelische Meister Itamar Einhorn, das Gelbe Trikot getragen.

Das Trikotsponsoring ist Teil einer Werbekampagne des Rwanda Development Board. »Seit wir 2018 die Zusammenarbeit mit dem FC Arsenal begonnen haben, konnten wir die Touristenzahlen aus Großbritannien um 30 Prozent erhöhen«, berichtet das RDB. Mittlerweile sind weitere Fußballklubs die Werbeträger, Paris St.-Germain etwa und seit vergangenem Jahr auch Bayern München. Man hoffe auf ähnliche Effekte in Frankreich und Deutschland, erklärt die Entwicklungsagentur gegenüber »nd«.

Zahlen zum Werbeeffekt bei der Tour du Rwanda waren nicht zu erhalten. Aber ein sehr berührender symbolischer Effekt war nicht zu übersehen. Radprofi Itamar Einhorn spielte auf den Zusammenhang zwischen dem Genozid in Ruanda und dem Holocaust an, der zur Entstehung des Staates Israel führte: »Es gibt eine ganz spezielle Verbindung zwischen unseren beiden Ländern. Ich hoffe auf eine bessere Welt und dass diese Kriege enden und alle damit einverstanden sind, miteinander zu leben.« Die Profis und Mitarbeiter des israelischen Rennstalls besuchten auch Genozid-Gedenkstätten in Ruanda. »Wir kommen seit einigen Jahren immer wieder hierher. Wir bauen zudem das Trainingszentrum »Field of Dreams« für Mädchen hier auf. In der Vergangenheit haben wir oft über den Holocaust und das Leid gesprochen, das unsere beiden Länder verbindet. In diesem Jahr ist es aber so, dass die Gedenkstätten hier die Erinnerung an die Attacken vom 7. Oktober und all die Hamas-Gräueltaten wieder bei uns wachrufen«, erzählt Tsadok Yecheskeli, Betreuer bei Israel Premier Tech, »nd«.

Und so überwölbte auch während eines Empfangs in der Radsportschule »Field of Dreams« südlich der Hauptstadt Kigali für kurze Momente der Schmerz über die vielen Toten auf drei Kontinenten den Radsport. Schnell setzte sich aber auch wieder die Freude der Kinder durch, die auf dem neu gebauten Pump Track, einem mit künstlichen Hügeln versehenen Mountainbike-Parcours, ein Rennen fuhren. Auch Chris Froome, vierfacher Sieger der Tour de France, versuchte sich in dieser Disziplin. Der kenianisch-britische Profi nahm auch an einem Rennen der Frauen und Mädchen der Radsportschule teil.

Bei beiden Events machte Froome einen besseren Eindruck als später beim eigentlichen Rennen, der Tour du Rwanda. Da verlor er schon beim Mannschaftszeitfahren zum Auftakt das Hinterrrad seiner Kollegen. »Wir sind etwas zu schnell angegangen«, erklärte Teamkollege Einhorn »nd«. Und auch bei seinem Ausreißversuch auf der Königsetappe wurde er schnell wieder eingefangen, lange bevor das Peloton den eigentlichen Höhepunkt erreichte, die »Mauer von Kigali« – ein bis zu 20 Prozent steiler Anstieg, der auf den Gipfel führt, der der Hauptstadt auch den Namen gab.

Der Mont Kigali wird zur Strecke des WM-Straßenrennens 2025 gehören. »Der Anstieg ist richtig brutal. Man steigt unten ein, hat erst ein steileres Stück, dann wird es noch mal flacher, dann wieder steiler. Der letzte Kilometer ist richtig hart«, beschreibt Bike-Aid-Profi Vinzent Dorn seine Erfahrungen. »Da werden auch bei der WM einige zurückfallen und nur die Allerstärksten drüberkommen. Es ist ein superselektiver Berg.«

Auch einheimische Fahrer, die den Anstieg vom täglichen Training kennen, warnen davor. »Es wird einer der schwersten WM-Kurse in den letzten Jahren«, meint Eric Manizabayo. Der 26-Jährige hat die letzten beiden WM-Straßenrennen mitgemacht, in Glasgow und im australischen Wollongong, ist dabei aber jeweils nicht bis ins Ziel gekommen. Auf den Mont Kigali 2025 freut er sich jedoch: »Es ist gut, wenn es steil nach oben geht.« Bei der jetzigen Mont-Kigali-Etappe kam er als Zehnter ins Ziel. Kein schlechtes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Manizabayo vor ein paar Jahren noch Geld als Fahrradtaxifahrer verdiente und an regelmäßiges Training nicht zu denken war.

Fahrradtaxifahrer ist ein ernsthafter Beruf in Ruanda. Hunderte vor allem junger Burschen warten an Straßenecken mit ihren bunt bemalten Rädern darauf, dass Fahrgäste auf dem gepolsterten Sitz hinten Platz nehmen. 100 Ruanda-Francs, etwa sieben Cent, kostet ein Kilometer Fahrt. Die Jungs müssen also lange fahren, um den Preis für ihr Rad, etwa 100 Dollar für ein gebrauchtes Exemplar, aufzubringen. Aber auch kleines Geld ist Geld. Und außer Personen befördern die Fahrer auch Sachen: große Säcke mit Brennholz, Berge von Bananen, Türen, Dachlatten, Rohre oder ein lebendiges Hausschwein. »Es handelt sich um einen riesigen Talente-Pool«, schwärmt David Louvet. Der Franzose ist seit letztem Jahr Nationalcoach in Ruanda. »Wenn wir zu einer Trainingsfahrt aufbrechen, sind wir ganz schnell von vielen Fahrradtaxifahrern umringt. Obwohl sie auf sehr schweren Rädern mit nur einem Gang fahren, können viele mit uns mithalten. Man kann sie einfach nicht abhängen«, erzählt er lachend.

Eine Menge Fahrer sind auf diese Art zum Rennsport gekommen, seit im Jahr 2007 der US-Amerikaner Jock Boyer seine erste Radsportschule in Ruanda gegründet hat. Boyer, einst erster Tour-de-France-Teilnehmer aus den USA, ist inzwischen nach Benin weitergezogen – für ein nächstes afrikanisches Radsportabenteuer. Die von ihm aufgebaute Infrastruktur, das Trainingszentrum von Team Africa Rising in den Bergen im Norden des Landes, wird aber weiterhin vom Nationalteam und auch kleineren Radsportklubs genutzt. Selbst der französische Profirennstall Total Energies hielt hier im Januar ein mehrwöchiges Trainingslager ab. »Wir werden sicher wiederkommen. Die Bedingungen sind gut. Man kann in der Höhe trainieren, die Straßen sind in gutem Zustand. Die Zeitdifferenz beträgt nur eine Stunde, sodass der Körper sich nicht großartig umstellen muss. Vor allem im europäischen Winter ist der Standort ideal«, erklärt Lylian Lebreton, sportlicher Leiter des Rennstalls, »nd«.

Lebreton sieht Ruanda wegen der allgemein guten Bedingungen sogar als künftige Alternative für die klassischen Trainingscamps in Nordspanien. Auch Ruandas Nationalcoach Louvet hält gerade den von majestätischen Vulkanen geprägten Norden des Landes für prädestiniert, der neue Teide zu werden. Das ist der Vulkan auf den Kanarischen Inseln, zu dem seit Jahrzehnten die Radprofis pilgern, zum Höhentrainingslager in Vorbereitung der großen Rundfahrten. Die vielen neuen roten Blutkörperchen, zu deren Produktion sie ihre Körper in der Höhe anregen, könnten sie auch in Ruanda bilden, meint Louvet. Genau kann er die Effekte noch nicht abschätzen. Denn Geräte, um den Wert von VO2max zu bestimmen, die Sauerstoffaufnahmefähigkeit des Blutes, hat er vom Verband noch nicht erhalten.

Ruandas Radsportverband hofft darauf, dass mit immer mehr Profiteams und deren Trainern, die das Land als Trainingsgelände entdecken, auch immer mehr Expertise und damit auch besseres Material ankommt. »Wir sehen die WM als Motor an, damit sich auch im lokalen Radsport etwas entwickelt«, sagt Verbandspräsident Samson Ndayishimiye zu »nd«. Die Tour du Rwanda empfand er als gute Generalprobe für die Welttitelkämpfe im kommenden Jahr. Pannen gab es tatsächlich keine. Die Unterstützung durch Institutionen im Land ist groß. Die Polizei besorgt die Absperrungen, Straßenabschnitte werden schnell mit neuem Belag bedeckt, sollte dies notwendig sein. Alle Anstrengungen sind darauf gerichtet, ein guter Gastgeber zu sein. Und das RDB schnürt schon eifrig an Paketen für WM-Besucher, um sie neben dem Sportereignis auch in die Nationalparks mit Gorillas, Elefanten, Zebras und Nashörnern zu locken.

Die Aufforderung »Visit Rwanda« würde freilich noch an Attraktivität gewinnen, wenn im Land demokratischere Zustände herrschten, ein Präsidentschaftskandidat mal nicht mehr mit über 90 Prozent die Wahlen gewänne und Kritiker nicht fürchten müssten, ins Gefängnis gesperrt oder im Ausland mit Killerkommandos verfolgt zu werden. Human Rights Watch hat in der 2023 herausgegebenen Broschüre »Join us or Die« die eklatantesten und abschreckendsten Beispiele zusammengetragen. Abseits vom Radsport bleibt noch eine Menge zu tun für den WM-Gastgeber.

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