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Digitaler Aktivismus als Ersatzbefriedigung
Veronika Kracher über das Verhältnis von radikaler Linke und Online-Aktivismus
Ich habe ja ein recht ambivalentes Verhältnis zum Internet, gerade als Feministin. Mir ist vollkommen klar, dass junge Menschen über das Internet, und da vor allem über soziale Medien, politisiert werden. Und feministische Meme-Seiten oder Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung erreichen definitiv auch mehr Leute als trockene Theorie oder anstrengende Plena.
Wie die Soziologin Zeynep Zufekci in ihrem Buch »Twitter and Tear Gas«, in dem sie über das Verhältnis von Internet und sozialen Protesten geschrieben hat, kann Internet-Aktivismus die Organisation im Bündnis oder die Bildungsarbeit im Lesekreis zwar ergänzen – und zwar vor allem in Aspekten wie Mobilisierung und Vernetzung. Ersetzten kann das Internet die konkrete, politische Arbeit aber nicht. Ich würde sogar sagen: Digitaler Aktivismus fungiert häufig als Ersatzbefriedigung der eigenen Ohnmacht innerhalb der Verhältnisse – und kann deshalb sogar dem Aktivismus vor Ort entgegenstehen.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Es macht alleine schon einen großen Unterschied, wie Diskussionen unter emanzipatorisch denken Menschen auf sozialen Medien ablaufen und wie sie im Vergleich dazu auf dem Plenum oder am Tresen des Autonomen Zentrums aussehen. In digitalen Räumen ist es sehr viel einfacher, das Gegenüber falsch zu verstehen. Desweiteren geben soziale Medien gesellschaftliche Verhältnisse oftmals verkürzt wieder, was zu Missverstehen bis hin zu gefährlichem Halbwissen führen kann.
Kolumnen von Veronika Kracher:
Hass auf Streamerin Shurjoka: Ein lukratives Geschäft
Pedo Culture: Die Angst vor der selbstbestimmten Frau
Genderverbote als Ausdruck eines rechten Kulturkampfes
Das Interesse an politischen Themen müsste also in einem analogen Rahmen aufgefangen und weitergeführt werden. Nur werden die Räume, in denen konkrete Organisation stattfinden kann, in den letzten Jahren konsequent durch kapitalistisch-autoritäre Stadtpolitik vernichtet. Auch dies ist einer der Gründe, wieso viele, gerade jüngere oder auf dem Land lebende Linke auf das Internet als Ort des Austausches ausweichen müssen. Auch Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten sind analoge Räume leider oft verwehrt. Und wir als radikale Linke müssen uns ein paar ernsthafte Gedanken um Barrierefreiheit machen.
Online-Aktivismus ist häufig einfache, schnelle Selbstbestätigung, aber letztendlich auch immer Entfremdung von politischer Arbeit. Gerade die ehemals als Twitter bekannte Plattform X, deren Algorithmus auch vor der Übernahme von Elon Musk nicht auf wohlwollenden Austausch, sondern auf schnelle Hot Takes ausgelegt war, ist bestens dazu geeignet, missgünstige Lesarten zu fördern. Werden User*innen mit den eigenen Widersprüchen konfrontiert, ist es einfacher, die andere Person schnell zu blocken oder einen höhnischen Kommentar abzusetzen, anstatt sich tatsächlich mit diesen Widersprüchen kritisch auseinander zu setzen.
Praktische Arbeit ist anstrengend. Aber: Der konkrete Austausch ist sehr viel effektiver darin, sich selbst zu reflektieren, da ich dem Menschen, von dem die Irritation ausgeht, direkt gegenübersitze. Ich muss meine eigenen Projektionen hinterfragen und kann im Austausch mit anderen komplexe Themen ausdiskutieren, voneinander lernen. Politische und intellektuelle Auseinandersetzung mit anderen Menschen vermittelt im besten Falle Empathie, Kritikfähigkeit, Geduld und theoretisches Wissen – und bleibt auch viel nachhaltiger im Gedächtnis als eine Kommentarspalten-Diskussion.
Bei Demonstrationen, Streiks, Vorträgen oder auch nur der Soli-Party kann die physische Erfahrung von Zusammenkommen mit anderen Menschen, die für das Gleiche einstehen wie ich, eine ausgesprochen heilsame Erfahrung sein. Es zeigt: Du bist nicht alleine. Politische Hoffnung wird nicht über Instagram-Slides vermittelt, sondern über die konkrete Erfahrung von Solidarität. Und die haben wir in diesen bitteren Zeiten nötig.
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