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Ulrich von Weizsäcker: Globalisierung ging vor Umwelt
Ernst Ulrich von Weizsäcker über Gründe, warum die Klimarahmenkonvention nicht die Wende brachte
Herr von Weizsäcker, an diesem Donnerstag ist es volle 30 Jahre her, dass die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Kraft getreten ist. Ziel: eine gefährliche Störung des Klimasystems zu verhindern. Gibt es da etwas zu feiern?
Eindeutig ja. Die Erhitzung der Erdatmosphäre war seit etwa 1985 wissenschaftlich klar und die Politik musste handeln. Die Klimakonvention setzte damals das richtige Signal. Dass später nicht konsequent danach gehandelt wurde, steht auf einem anderen Blatt.
Die Konvention war zwei Jahre vorher auf dem legendären UN-Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 von 154 Staaten unterzeichnet worden. Sie selbst waren damals dabei. Wie haben Sie dieses Treffen erlebt, das erste große nach dem Ende des Kalten Krieges?
Es war eine Erfahrung, die ungeheuer Mut machte. Der Erdgipfel brachte viele Tausend Menschen aus allen Erdteilen zusammen, und die Regierungsdelegationen fassten Beschlüsse wie die Klimakonvention, von denen man vor dem Ende des Kalten Krieges kaum zu träumen gewagt hatte. Der deutsche CDU-Umweltminister Klaus Töpfer spielte dabei eine wesentliche Rolle.
Ernst Ulrich von Weizsäcker (geb. 1939 in Zürich) gilt als einer der wichtigsten Klimaschutzvordenker in Deutschland. Bis 2018 war er sechs Jahre Ko-Präsident des Club of Rome. Der Biologe und Physiker war Präsident der Universität Kassel, leitete mehrere Institute und wurde 1991 Gründungspräsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. 1998 bis 2005 war er SPD-Bundestagsabgeordneter. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter »Faktor vier«. Sein aktueller Titel ist »So reicht das nicht. Außenpolitik, neue Ökonomie, neue Aufklärung: Was wir in der Klimakrise jetzt wirklich brauchen.«
Wie konnte es dazu kommen, dass diese Aufbruchstimmung von Rio sich so schnell atomisierte?
Das ist die wichtigste Frage. Ein Signal war: Zwei Jahre nach dem Erdgipfel, 1994, wurde in Marrakesch die Welthandelsorganisation gegründet. Nach dem Ende des Kalten Krieges begann die Globalisierung. Die wurde von den Staaten der Welt als viel wichtiger angesehen als die Umwelt- und Klimafrage. Sowohl die mächtig gewordenen Finanzmärkte – Wall Street, London, Singapur – als auch die Entwicklungsländer wollten möglichst keinerlei ökologische Bremsen beim globalen Handel. Wir haben das im Bundestag, wo ich 1999 bis 2002 Leiter der Enquete-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft« war, detailliert herausgearbeitet. Gewinner waren meist die Weltmärkte, und Verliererin war die Umwelt.
Kann man sagen: Nicht Rio, sondern Marrakesch bestimmte dann in der Welt, wo es lang ging?
Nun ja, in Bertolt Brechts Dreigroschenoper heißt es ja: »Erst kommt das Fressen, dann die Moral.«
Immerhin kam dann 1997 noch das Kyoto-Protokoll zustande, das die Industriestaaten zur CO2-Reduktion verpflichtet. Und 2015 der Pariser Klimavertrag, der für alle Länder gilt und das 1,5- bis 2-Grad-Limit für die Erderwärmung fixierte. Warum brachte das die Wende nicht?
Kyoto war ein Glücksfall. Es setzte sich trotz aller Widerstände die Erkenntnis durch, dass die Industriestaaten als historische Hauptverschmutzer des Weltklimas mit dem CO2-Einsparen vorangehen müssen. Die USA waren durch den damaligen Vizepräsidenten Al Gore vertreten, einen überzeugenden Freund des Klimaschutzes, und Angela Merkel war dort als deutsche Umweltministerin dabei. Ich nahm damals als Leiter des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie teil, und ich war glücklich. Paris brachte dann – nach langer Verzögerung, aber immerhin – den Vertrag, der alle Staaten bindet.
Doch inzwischen ist die 1,5-Grad-Grenze bereits überschritten, zumindest vorübergehend, und bald wird das dauerhaft so sein. Sehen Sie noch die Chance, dass wenigstens die 2 Grad halten?
Ja, es ist möglich. Hier hat Deutschland eine entscheidende positive Wende bewirkt durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer war im Jahr 2000 der Erfinder. Er wusste, dass von da an die Kilowattstunde Solarstrom nicht mehr einen Euro kosten würde, sondern Jahr für Jahr immer billiger wird. Jetzt kostet die Solar-Kilowattstunde nur noch etwa vier Eurocent und in Nordafrika sowie Nahost nur noch einen Eurocent. Sie ist also viel billiger als Kohle, Öl und Erdgas. Es kann der Tag kommen, wo die Länder der Welt aus rein ökonomischen Gründen nur noch Strom aus erneuerbaren Energien beziehen.
Trotzdem müsste es schneller gehen ...
Drei Probleme stehen im Weg: Die Ölländer wollen weiter vom Ölverkauf leben, die Industrie will die Wende zur Klimaneutralität nicht allzu schnell verkraften, auch in Deutschland nicht, und acht Milliarden Menschen sind etwas zu viele für unseren kleinen Planeten.
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Deutschland war in den 2000er Jahren Vorreiter beim Klimaschutz, vor allem durch die Förderung der Wind- und Solarenergie. Könnte unser Land hier wieder anknüpfen?
Durchaus. Die Ampel-Bundesregierung hat beim Ausbau der erneuerbaren Energien schon viel erreicht, aber bei den Sorgenkindern Verkehr und Gebäude wollen die Betroffenen leider sehr ungern mitmachen.
Die jüngsten Daten zeigen einen starken CO2-Rückgang in der Bundesrepublik im Jahr 2023, Folge allerdings auch einer schwachen Wirtschaft. Ein Wachstumsstopp ist aber wohl doch keine Lösung?
Wachstumsstopp ist extrem unpopulär. Wir müssen dafür sorgen, dass das Richtige wie die Erneuerbaren wächst und das Falsche wie der Ressourcen-Raubbau schrumpft. Kreislaufwirtschaft als Leitlinie klingt schon besser. Das Prinzip Wegwerfgesellschaft war lange Zeit für die Hersteller sehr lukrativ, muss aber aufhören.
Was also sollte sich die Bundesregierung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode noch konkret vornehmen?
Die Ampel-Parteien müssen besser kooperieren und sich an ihren Koalitionsvertrag erinnern. Da stehen viele gute Dinge drin, zum Beispiel die Einführung eines Klimageldes. Auch für sie alle gilt die Weltklimakonvention.
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