Berliner Schulen: Gewalt liegt im System

Strukturelle soziale Ungleichheit fördert gewalttätige Auseinandersetzungen an Schulen

  • Luise Krüpe
  • Lesedauer: 4 Min.

»Dass sich die Gewalt insgesamt verschärft haben soll, deckt sich nicht mit meinen Erfahrungen«, erzählt Gökhan Akgün, der in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Vorstand des Personalrates der allgemeinbildenden Schulen in Friedrichshain-Kreuzberg ist, gegenüber dem »nd«. Akgün widerspricht damit einer am vergangenen Montag vorgestellten Statistik der Berliner Polizei.

Nach dieser ist die Zahl der erfassten Gewalttaten an Berliner Schulen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Es liegen allerdings weder endgültige Zahlen für 2023 vor noch sind diese mit denen der Jahre zuvor aufgrund der Corona-Pandemie gut vergleichbar. Wie viele Polizeieinsätze an den Berliner Schulen begründet waren, geht aus den Statistiken ebenfalls nicht hervor.

Die Schule sei ein Spiegel der Gesellschaft, meint Akgün weiter. »Eine Welt, in der Krieg und politische Spannungen auf der Tagesordnung stehen, hat natürlich Auswirkungen auf Schüler*innen. Gewalt ist ein Resultat von Spannungen und diese entstehen vor allem durch soziale Ungleichheiten.« Ein zentraler Grund, warum Bildungsinstitutionen nicht nachhaltig auf die jungen Menschen eingehen können, liege am altbekannten Mangel an Ressourcen: »Der Bedarf an Erzieher*innen überschreitet sogar den an Lehrkräften«, so Akgün.

»Bildungsinstitutionen reproduzieren immer auch soziale Hierarchien, was bei vielen jungen Menschen zu einem Gefühl von Machtlosigkeit führt«, erzählt Akgün weiter. Es gebe keine Kapazität, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, um über ihre Ängste zu reden: »Wenn dafür kein Raum ist, staut sich alles auf und das fördert natürlich Frust, der in Gewalt enden kann.« Gerade in Zeiten eines Krieges, in dem viele Kinder in Berlin durch familiären Bezug zu Palästina wahrscheinlich mindestens einen geliebten Menschen verloren haben, sei dieser Raum essenziell.

Neben den unzureichenden Ressourcen, um Begegnungsmöglichkeiten in Schulen zu schaffen, gebe es auch keine ausreichenden Kooperationen mit sozialen Trägern für mehr niedrigschwellige Sport-, Kunst-, Kultur- und Therapieangebote, um jungen Menschen ein Ventil für Emotionen und Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, so Akgün.

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Zwar gibt es das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket, welches Zugang zu ebensolchen Angeboten verbessern soll. Eine empirische Erhebung vom paritätischen Wohlfahrtsverband zeigt aber, dass es im Bundesdurchschnitt nur bei 18 Prozent der dafür berechtigten Kinder ankommt. Das liege nach Akgün daran, dass es keine gute Strategie gibt, die Eltern über ihren Anspruch darauf aufzuklären und beim hohen bürokratischen Aufwand ausreichend zu unterstützen.

Dabei ist eine Unterstützung für mehr soziale Teilhabe mehr als notwendig, denn schon in der Grundschule merke man, dass sich prekäre Ressourcen der Familien und auffälliges Verhalten der Kinder oft gegenseitig bedingen, beschreibt Annika Schlögl ihre Eindrücke aus ihrem Berufsalltag als Lehrerin einer Grundschule in Marzahn. Auch Gewalt, die junge Menschen zu Hause selbst erfahren – was in ihrer Grundschule keinen Einzelfall darstelle –, kann mit aggressivem Verhalten von Kindern zusammenhängen.

Der Umgang mit Gewalt an Schulen ist hauptsächlich symbolisch. Zwar wird »Gewaltprävention« im seit dem Schuljahr 2022/2023 gültigen Lehrplan B für Berliner Gymnasien aufgeführt. »Die Politik agiert im Bildungsbereich aber hauptsächlich reaktiv statt präventiv« meint Fred, der Workshops an Berliner Schulen mit leitet, um queerfeindliche Gewalt zu reduzieren. Die Schulen müssen feste Strukturen schaffen, um für alle möglichen Diskriminierungen zu sensibilisieren, damit Gewalt vorgebeugt werden kann, meint er.

Durch Forderungen des Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre zu senken sowie die Notwendigkeit nach Wachschutz an Schulen zu betonen, wie es Kai Wegner nach einer Schlägerei an einer Berliner Schule im letzten Jahr für richtig hielt, wird den jungen Menschen abgesprochen, selbst auch Opfer sein zu können: Opfer eines diskriminierenden Systems, das junge Menschen im Stich lässt und unfähig ist, ihnen einen sicheren Raum zum Lernen zu schaffen. Sie tauchen hauptsächlich als Täter in einer Statistik auf, deren Validität anzuzweifeln ist.

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