Union Busting gibt es gar nicht

Nur drei Verfahren führte die Berliner Staatsanwaltschaft 2023 wegen Behinderung von Betriebsräten

Abschreckende Wirkung: Etwa die Hälfte der Betriebsräte wird bei der Arbeit gestört.
Abschreckende Wirkung: Etwa die Hälfte der Betriebsräte wird bei der Arbeit gestört.

Union Busting ist in aller Munde – ob bei Lieferando oder Tesla. In den Gerichtssälen der Hauptstadt sind arbeitgeberseitige Einschränkungen von Betriebsratsarbeit oder die Störung von Betriebsratsgründungen jedoch weiterhin kein Thema. Die Strafverfolgung von Verstößen gegen Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) verweilt auf einem sehr niedrigen Stand. Die Staatsanwaltschaft führte 2023 lediglich drei Verfahren mit diesem Delikt, davon eines gegen unbekannt. Das teilt die Senatsjustizverwaltung auf nd-Anfrage mit.

Die Zahlen seien »auf geringem Niveau volatil und nicht einheitlich zu bewerten«, antwortet die Justizverwaltung auf die Frage, wie sich das Ermittlungsaufkommen 2023 verändert habe. Anscheinend hat sich im Vergleich zu den Vorjahren also wenig verändert. Zu Beginn des vergangenen Jahres hatte die damalige rot-grün-rote Regierungskoalition unter Verweis auf sich in den Medien häufende »Berichte über Fälle der Behinderung der betrieblichen Interessenvertretung« beschlossen, innerhalb der Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Straftaten gegen die betriebliche Mitbestimmung aufkommende Fälle an dafür besonders geschulte Staatsanwält*innen zuzuweisen.

Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD, die im Februar das Regierungsgeschäft übernommen hatten, wurde der »Aufbau einer spezialisierten Arbeitseinheit in der Berliner Staatsanwaltschaft gegen betriebsverfassungsrechtliche Straftaten« vereinbart. Den aktuellen Zahlen zufolge scheint diese Maßnahme bisher wirkungslos zu bleiben.

Justizverwaltung und Generalstaatsanwaltschaft Berlin sprechen unisono von besonders geschulten zuständigen Staatsanwält*innen. Der abteilungsleitende Oberstaatsanwalt erklärte »nd« im August 2023, dass es mit Blick auf Paragraf 119 BetrVG keine »zusätzlichen Ressourcen, Schulungen oder Personal« gegeben habe. Er sah dafür auch keine Veranlassung, eben aufgrund des geringen Anteils von derlei Fällen gemessen am gesamten Fallvolumen in seiner Abteilung 243.

Doch spiegelt das, was auf dem Tisch des Staatsanwalts landet, wirklich die Realität in den Betrieben wider? Nicht alle der tatsächlichen Rechtsverstöße werden angezeigt. Wie groß die Diskrepanz ist, lässt sich allerdings schwer bemessen. Bei einer 2021 erfolgten Befragung der Hans-Böckler-Stiftung von knapp 3000 Betriebsratsmitgliedern gab nur die Hälfte der Befragten an, nie in ihrer Arbeit behindert zu werden.

Daniel Weidmann ist Rechtsanwalt und betreut fast ausschließlich Betriebsräte. Er habe mehrmals Strafantrag mit Bezug auf Paragraf 119 BetrVG gestellt. »Die Verfahren wurden immer mit der Begründung ›mangelndes öffentliches Interesse‹ eingestellt. Erst bleiben die Anträge lange liegen, und dann werden die Verfahren eingestellt.« Der Linke-Abgeordnete Damiano Valgolio sieht darin einen möglichen Grund für das geringe Anzeigenaufkommen. »Von den Gewerkschaften bekomme ich mit, dass viele gar nicht erst einen Strafantrag stellen, weil dort die Annahme herrscht, dass das Verfahren ohnehin eingestellt wird«, sagt Valgolio, der als Anwalt für Arbeitsrecht wie Weidmann zur Kanzlei dka gehört und für die IG Metall Rechtsberatung anbietet.

Valgolio zufolge sei der Paragraf 119 genau an der Schnittstelle zwischen Straf- und Arbeitsrecht angesiedelt. Formal sei die Staatsanwaltschaft zuständig, »allerdings kann eigentlich nur ein*e Arbeitsrechtler*in die Umstände und Auswirkungen beurteilen, da Strafrechtler*innen für gewöhnlich nicht viel mit der betrieblichen Welt zu tun haben«. Daher sei eine spezielle Bildung der Staatsanwält*innen so wichtig. Das liege im Gestaltungsrahmen der Landespolitik. Schwarz-Rot sei diesen Punkt bisher nicht angegangen.

Die eigentliche Gesetzgebung der Betriebsverfassung liegt in der Hand des Bundes. Das Arbeitsministerium hatte vor über zwei Jahren angekündigt, den Verstoß gegen Paragraf 119 BetrVG zum Offizialdelikt zu erklären. Dann müssten Staatsanwaltschaften auch Ermittlungen aufnehmen, wenn sie über Presse oder Whistleblower Kenntnisse erlangen. Bisher dürfen sie ein Verfahren nur einleiten, wenn eine Organisation wie eine Gewerkschaft oder ein Betriebsrat selbst einen Strafantrag stellt.

Doch es ist bei der Ankündigung geblieben. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft schätzt ein, dass sich das Fallaufkommen nicht signifikant erhöhe. Es sei darüber hinaus zweifelhaft, dass Ermittlungen ohne oder gegen den Willen der Beteiligten in deren Sinne und dem Rechtsfrieden zuträglich seien. Dem Denunziantentum würde die Tür geöffnet, und »ohne die Beteiligung der Betroffenen würden die Anzeigen ohnehin fruchtlos verlaufen«.

Linke-Abgeordneter Valgolio, Sprecher für Arbeit und Wirtschaft seiner Fraktion, schätzt die Frage nach dem Offizialdelikt nicht als entscheidend ein. Er hält es für ein größeres Problem, dass das Prinzip der Erfolgsstrafbarkeit gelte, also die absichtliche und erfolgreiche Behinderung von Betriebsräten nachgewiesen werden müsse. »Stattdessen wäre die sogenannte Tätigkeits- oder Versuchsstrafbarkeit angebracht, wonach entweder die tatsächliche Handlung, egal ob erfolgreich oder bewusst, oder aber schon der Versuch strafbar wäre«, sagt Valgolio.

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Weidmann regt an, über eine Anpassung des Strafrahmens nachzudenken: von leichten bis schweren Verstößen wie bei Körperverletzung. Würde dann noch das Strafniveau erheblich erhöht werden, dann würde »den Staatsanwaltschaften auch eine gewisse Priorität der Sachverhalte« vermittelt. Die Höchststrafe liegt zurzeit bei einem Jahr Haft. Der Anwalt kommt am Ende noch mal auf die betriebliche Perspektive zurück: »Die Gewerkschaften selbst schrecken mitunter vorm Strafantrag zurück, weil sie die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen nicht verunmöglichen wollen.« Bei Betriebsräten sei das aufgrund der alltäglichen Zusammenarbeit noch evidenter.

»Am Ende ist aber auch nicht jedes Problem der Gewerkschaften mit dem Strafrecht zu lösen«, schließt Valgolio. »Das sollte nur in besonderen Fällen angewendet werden.« Bei der Erschließung neuer Betriebe gebe es oft hohe Hürden, aber der Staatsanwalt helfe meistens nicht weiter, sondern hartnäckige Organisierung. Dennoch: »De facto gibt es keine strafrechtliche Handhabe gegen Union Busting, in den letzten Jahren hat die Staatsanwaltschaft in Berlin keine einzige Anklage erhoben.« Eine Verfahrenseinstellung könne die Situation im Betrieb aber noch verschlimmern, weil sie vom Arbeitgeber als Freibrief verstanden werde, sagt Valgolio.

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