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Julian Nagelsmann will mit dem DFB bis zur EM »durchziehen«
Mutig und entschlossen: Der Bundestrainer und sein neu formiertes Nationalteam
So manch einer in der bereits ausverkauften Arena im Frankfurter Stadtwald wird sich an diesem Dienstag vielleicht die Augen reiben. In so auffälligen Trikots wie gegen die Niederlande hat eine deutsche Nationalmannschaft noch nie Fußball gespielt. Die pink-lilafarbene Version, eigentlich vom (Noch-)Ausrüster Adidas als Auswärtsvariante entworfen, feiert gegen »Oranje« eine viel diskutierte Premiere.
Julian Nagelsmann, der früher schon mal einen roten Mantel beim Stadionbesuch trug, hat damit das geringste Problem: »Ich finde es gut, dass es nicht immer das Gleiche ist«, sagt der Bundestrainer. »Mir gefallen mutige Entscheidungen.« Und mag im nächsten Klassiker das Jersey auch anders aussehen, erhält die beim 2:0 in Lyon gegen Frankreich endlich mal durchweg überzeugende Nationalelf ansonsten ja kein völlig neues Gewand. »Es ist nicht geplant, dass wir sechs-, siebenmal ändern«, versprach Nagelsmann. »Wir werden die Idee durchziehen.« Der 36-Jährige hat schließlich klare Rollenverteilungen mit einem festen Stamm vorgenommen. Daran wird auch nicht mit Rücksicht auf den Bundesliga-Klassiker am kommenden Sonnabend zwischen Bayern München und Borussia Dortmund gerüttelt. Aber die beiden früheren Hauptzulieferer stellten in Lyon ohnehin nur noch zwei Spieler für die Anfangsformation.
Geglückte Radikalkur
Das von mehr als zehn Millionen Fernsehzuschauern bestaunte Länderspiel gegen Frankreich hat erste Hinweise geliefert, wohin der Weg unter Nagelsmann im besten Falle führen kann. Endlich gingen seine Schachzüge auf. »Es war schön anzuschauen«, flötete der Fußballlehrer selbst, ohne sich gleich zu kräftig auf die Schulter zu klopfen. Seine Radikalkur mit veränderten Hierarchien könnte sich als richtig erweisen. Die erste Elf vereint noch immer so viel Talent, um jeder Topnation die Stirn zu bieten. Auch der »Elftal«, die gerade erst Schottland, Deutschlands ersten Gruppengegner bei der EM, mit 4:0 in die Schranken verwiesen hat.
Nagelsmann hatte einst zugestimmt, dass sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) kurz vor Ostern zwei hochkarätige Vergleichsmöglichkeiten aus befreundeten Verbänden sucht. Vor Herausforderungen hat er sich noch nie gefürchtet. Nicht als Kind, das in Landsberg am Lech in der Natur fast alles ausprobierte. Nicht als Jugendlicher, der auf Mountainbike oder Ski die waghalsigsten Abfahrten unternahm. Nicht als Erwachsener, der mit 28 Jahren in Hoffenheim bis heute der jüngste Bundesligatrainer der Geschichte ist. Experimentierfreude, vielleicht sogar auch Sprunghaftigkeit gehören irgendwie zu ihm.
Auch der eine oder andere Irrtum gehört dazu bei entscheidungsfreudigen Charakteren, die nicht ewig darüber grübeln, ob sie dies oder das wirklich tun sollten, um dann doch immer in den alten Mustern zu verharren. Nagelsmann betritt gerne neue Pfade. Sonst hätte er nach seiner Entlassung in München vor einem Jahr nicht rasch zugesagt, als ihn Sportdirektor Rudi Völler und Geschäftsführer Andreas Rettig zum Gespräch trafen und fragten, ob er nicht bis zur Heim-EM die DFB-Auswahl übernehmen würde.
DFB will schnell verlängern
Zunächst schien klar, dass dieses Projekt bis zum Sommer befristet ist. Doch die Dynamik in diesem Geschäft ist eine andere. DFB-Präsident Bernd Neuendorf machte öffentlich, dass mit Nagelsmann »die Chemie stimmt«. Doch bedingungslos kann der Verband nicht verlängern, sollte sein Aushängeschild mal wieder in einer Vorrunde scheitern. Nun hat aber auch Neuendorf-Intimus Rettig in der Talkrunde »Doppelpass« bestätigt, dass der Verband sowohl Völler als auch Nagelsmann behalten möchte: »Wir sind mit beiden hochzufrieden und sehr daran interessiert, mit beiden zu verlängern.« Einfacher dürfte die Einigung mit dem Sportdirektor sein, den es mit 63 Jahren nicht noch mal woanders hinzieht. Nagelsmann stehen hingegen international noch viele Türen offen, nachdem er hierzulande von Hoffenheim über Leipzig nach München weitergezogen war. Ob der DFB nur eine weitere Durchgangsstation abgibt, scheint offen.
Nagelsmann stört sich im Grunde daran, als Nationalcoach im Vergleich zum Vereinstrainer so wenig Gestaltungsmöglichkeiten für die tägliche Arbeit auf dem Trainingsplatz zu besitzen. »Die Umstellung ist riesig. Das sind sehr unterschiedliche Berufe«, verriet er jüngst bei einer Fan-Pressekonferenz. Dennoch ist es nicht ohne Reiz, bis zur Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko weiterzumachen. Nur möchte Nagelsmann vor der Europameisterschaft darüber Bescheid wissen. Etwas flapsig plauderte er bei der Nominierung des Nationalmannschaftskaders aus, dass es für alle Menschen seines Alters ratsam sei, »sich um seine Zukunft zu kümmern«. Wenn ein Vertragsangebot komme, wo er sich sehe, werde er halt vor der EM unterschreiben. Damit hatte er seinen aktuellen Arbeitgeber – ob gewollt oder nicht – unter Zugzwang gesetzt.
Seitdem vergeht keine Pressekonferenz ohne Vertragsfrage. Nagelsmann könnte schmallippig reagieren, aber das entspricht nicht seinem Charakter. Im Rahmen des Frankreich-Spiels sagte er, dass es ihm angeblich nicht um »finanzielle Dinge« gehe. Es sei »nichts ausgeschlossen«, aber auch »nichts selbstverständlich«. Wenn er ein Angebot vorliegen habe, »muss ich schauen, was drin steht und die Idee des Arbeitgebers ist – erst einmal will ich eine maximal gute EM spielen, das ist mein Hauptfokus«.
Die Testspiele jetzt gegen die Niederlande und dann Anfang Juni noch gegen die Ukraine und Griechenland sollten auch kein Reinfall werden. Am besten kommen sie so gut beim Publikum an wie das neue DFB-Trikot, das sich nach Herstellerangaben so gut verkauft wie bislang kein anderes Ersatzjersey zuvor.
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