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Ostdeutsches Porträt: Annekatrin Hendel – »Die besten aller Tage«
Ein Interview mit der Dokumentarfilmerin zu ihrem Kinofilm über den Fußballklub aus Köpenick
Was war Ihr Anstoß oder Gedanke, diesen Film zu planen und zu machen?
Die Idee, einen Film über den 1. FC Union zu machen, hatte ich schon lange. Aber in meiner Firma war so viel los und ich hatte nicht die richtigen Mitarbeiter, die das mittragen hätten können. Und dann kam unsere Producerin, die länger in Amerika war, Anfang 2021 wieder und fragte: »Warum machen wir eigentlich keinen Film über Union?« Als ob sie es geahnt hatte, obwohl ich gar nicht darüber gesprochen hatte. Dann habe ich Christian Arbeit angerufen und gefragt: »Wie sieht es aus?« Kurze Zeit später haben wir dann zusammengesessen, er kannte meine Filme schon vorher – und dann ging das irgendwie gleich los. Also, es war letztlich ein spontaner Gedanke, aber es ging dann auch alles ganz schnell.
Wie lange hatten Sie die Idee schon?
Das ging schon vor dem Aufstieg los. Weil die Wuhlheide auch meine Heimat ist. Ich komme hier aus dem Wald, aus der Wuhlheide. Mich hat der Verein, vielmehr der Betrieb als solcher interessiert. Und die Frage war, wie in vielen meiner Filme, ob hier noch ein ostdeutscher Geist existiert. Union ist für mich relevantes Beispiel für etwas, wo Ostdeutsche etwas machen, was einen ins Staunen bringt. Es ist ein Phänomen, dieser Underdog, nun der größte ostdeutsche Fußballverein, also relevant und medial sehr präsent. Ich wollte etwas Positives erzählen, weil es oft heißt, die Ostdeutschen sind rechts und sind scheiße. In diesem Superwahljahr umso mehr.
Annekatrin Hendel kennt alles beim Film. 1987 fing sie als Kostüm- und Szenenbildnerin an, Regie, Drehbuch und Produktion, seit 2004 mit einer eigenen Firma, folgten. Viele Ehrungen, darunter zwei Grimme-Preise, auch. Zudem war sie von 2018 bis 2023 im Vorstand der Deutschen Filmakadmie. Beim 1. FC Union fand die 60-jährige Ostberlinerin nun ein Stück Heimat – es entstand ein »Gesellschaftsfilm« über den Fußballklub aus Köpenick, der am 4. April ins Kino kommt.
Das passt zum Filmende: Union kommt in die Champions League. War das für Sie ein glücklicher Zufall? Und wie lange war das Projekt eigentlich geplant?
Es sollte von Anfang an keine Dokumentation nur einer Saison werden. Wir haben ja schon 2021 angefangen und ich wollte auf jeden Fall über eine Sommerpause hinausgehen, weil dort die meiste Arbeit getan wird. Denn es ist ja ein Film über die Arbeit hier, über den Betrieb. Es war also immer klar, dass ich in zwei Spielzeiten drehen will. Aber tatsächlich sollte der Film schon mindestens ein Jahr früher fertig sein. Doch dann gab es den Ausblick auf die Champions League – und bei der Chance, so Großes zu erreichen, habe ich dann einfach nicht aufgehört zu drehen.
Ist es ein Fußballfilm?
In erster Linie ist es ein Gesellschaftsfilm. Aber ich finde auch ein Fußballfilm. Mir war wichtig, dass auch Fußball gezeigt wird. Vielleicht ein bisschen anders als üblich. Es ist dann vor allem ein Film über die Alte Försterei, über den Betrieb im und um das Stadion herum, wo seit über 100 Jahren Fußball gespielt wird – und das nach dem Umbau ja nicht mehr das sein wird, was es heute ist. Damit ist es auch ein Film über eine Ära, die zu Ende geht. Er endet ja auch nicht mit dem Einzug in die Champions League, sondern mit dem Auszug aus dem Forsthaus, der Geschäftsstelle des Vereins.
Unüblich ist auch die Atmosphäre: Es ist ein sehr leiser Film.
Jubel, Trubel, Heiterkeit sieht man ja in jedem Fußballstadion, in jedem Film, in jeder Übertragung, jede Woche auf allen Kanälen. Mich habe andere Dinge interessiert. Von Anfang an stand beispielsweise die Musik fest. Ich wollte, dass Flake sie macht, mit dem ich schon bei meinem Film »Fassbinder« gearbeitet habe. Er hat die Ideen am Computer entwickelt und später auf seinem Klavier eingespielt. Eine ganz feine Sache, einzig und allein ein Klavier, kein Getöse, kein Gedröhne, nichts Aufgeblähtes. Weil Union für mich auch nicht aufgebläht ist, sondern einfach, menschlich, organisch sich entwickelnd. Und mich hat ja auch interessiert, ob es funktioniert, wenn man leise Töne anschlägt, weil der Fußball auch solche Elemente hat, Demut beispielsweise.
Gab es unerwartete Momente, Begebenheiten oder Themen, die Sie dann positiv überrascht haben?
Es gab jeden Tag etwas Überraschendes. Ich hatte ja auch keine Ahnung, bin hierhergekommen und stand wie die Kuh vor dem neuen Tor. Ich wusste wirklich nicht, wie das hier läuft und wie Fußball in dieser Liga organisiert wird. Und wirklich, ich habe ganz, ganz viel gelernt. Die größte Überraschung für mich: wie wichtig Fußball für unsere Gesellschaft ist, ganz besonders live im Stadion. Ich wusste nicht, dass es so ein wichtiger Gemeinschaftsort ist, einer der wenigen Orte, an dem viele verschiedene Blasen angemessenen Raum haben, die sonst niemals miteinander in Berührung kommen. Deshalb bin ich auch sehr froh, dass ich es entdeckt und erlebt habe und dies zeigen kann. Was ich auch nicht wusste, war, dass Ultras die größte Jugendkultur sind. Sie investieren unfassbar viel Zeit und Arbeit. Und so war ich auch sehr glücklich, dass ich dann nach langer Zeit auch mit der Szene drehen durfte. Das ist ein großes Privileg.
Hatten Sie eine Idee, die sich dann nicht realisieren ließ?
Nein, ich wollte ja sehen, was hier los ist. Ich hatte eigentlich nur eine These, und da bin ich nicht enttäuscht, sondern bestätigt worden. Darin, dass Union doch irgendwie ein ostdeutscher Klub ist und ich etwas vorfinde, was ich kenne. Ich gehöre zur letzten Erwachsenengeneration aus dem Osten, Begriffe wie Kollektiv und Solidarität bedeuten mir viel. Ich liebe Arbeitsräume, wo keine Supervisoren und Berater nötig sind, sondern die Entscheidungen miteinander getroffen werden. Dazu gehört auch, dass die Frauen hier in einer großen Freiheit und Selbstverständlichkeit viel Verantwortung übernehmen. Hier haben die Frauen viel zu sagen – ohne dass es eine Quote gibt (lacht). Das kann der Film zeigen.
Im Gegensatz zu Filmen wie »Fassbinder« oder »Familie Brasch« gehören bei Union nicht einzelne Protagonisten, sondern viele Menschen zum Betrieb.
Ich habe schon versucht, Leute zu finden, die exemplarisch für diesen Betrieb stehen. Da sind die Frauen, aber auch Pressechef Christian Arbeit oder Präsident Dirk Zingler. Bei den Fans gibt es beispielsweise zwei Ebenen: Das sind einmal die Ultras, deren Arbeit ich zeige. Und dann gibt es die beiden Fans, die meine »Kommentatoren« sind. Zwei junge Männer, die den Podcast »Taktik und Suff« machen, die über Fußball sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Aber insgesamt habe ich mit viel mehr Leuten gedreht, als jetzt im Film sind. Es gibt eine Viereinhalb-Stunden-Fassung des Films mit mehr Figuren. Schließlich habe ich mich auf sechs Hauptfiguren reduziert, bei denen man gut nachvollziehen kann, warum sie wie agieren und wo ihre Reise in diesem Betrieb jeweils hinführt, wo und wie sich ihre Wege kreuzen, wie Entscheidungen getroffen werden. Das habe ich auch bei »Familie Brasch« gemacht.
Gab es Reaktionen von Kollegen, weil sie einen Fußballfilm machen?
Ein paar Filmkollegen hatte ich zu Sichtungen eingeladen, da gab es einige Diskussionen. Jeder hatte einen anderen Film gesehen. Sehr interessant. Ich bin gespannt, was die Zuschauer sagen, wenn der Film im Kino zu sehen ist. Darauf freue ich mich riesig.
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