Spreewald: Postzustellung per Kahn im Wandel des Klimas

In Lübbenau wird die Kahnzustellung als postalische Tradition saisonal eröffnet. Das Wasser wird knapp

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Sonne scheint auf das gelbe Boot der einzigen kahnfahrenden Postbotin Deutschlands. An diesem Donnerstagmorgen sind mehr als zehn Reporter*innen gekommen, um Andrea Bunar bei der Arbeit zu begleiten. Wie in einem Spreewälder Märchen fährt sie über das ruhige Lehder Fließ zwischen Tulpen und Kirschblüten zum Pressetermin. Das Geräusch einer Kameradrohne eines Journalisten holt das Märchen auf den Boden des 21. Jahrhunderts zurück. Zur Saisoneröffnung spricht Botin Bunar über ihre Arbeit und die Deutsche Post informiert über eine besondere Form der Kommunikationsübertragung. Ein regionaler Wissenschaftler klärt das »nd« über die Wasserknappheit der Region auf.

Postalische Tradition im Sorbenland

Die Zustellung per Kahn in Lübbenau-Lehde in der Lausitz (Oberspreewald) ist schon 127 Jahre alt. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Lehder Bewohner*innen (heutzutage sind es 65 Haushalte) erlöst: Bis 1897 konnten sie Briefe nur am Sonntag in der Kirche abholen, erst dann führte die Post die Zustellung per Kahn ein. Der Zeitpunkt der Einführung fällt zusammen mit Industrialisierung und Landflucht: »Wer früher unter sich blieb, war plötzlich mobil und wollte den Kontakt zur Heimat aufrechterhalten«, erzählt die Pressesprecherin der Deutschen Post, Anke Blenn, dem »nd«. Knapp ein Jahrhundert fuhren hölzerne Kähne der Deutschen Post über die feinen Spreearme. 1983 wurde auf Aluminium umgestellt. Das sei weniger korrosionsanfällig, erklärt eine Pressemitteillung der Deutschen Post.

»Man kann es sich wie sportliches Fahrradfahren vorstellen«, erklärt Anne, die an diesem Donnerstag einen zwei Tonnen schweren Kahn voller Reporter*innen mit Ton- und Videotechnik sicher über die Spree führt. Dafür hat sie sich in sorbische Festtagstracht geschmissen. »Meine Mutter hat mir heute Morgen fast eine halbe Stunde beim Anziehen geholfen«, erzählt Anne. Die aus mehreren Röcken und Spitzen bestehende Kleidung ist in zweierlei Hinsicht das Gegenteil von »fast fashion«: Sie wird in der Regel über Generationen weitergegeben (wie auch in Annes Fall) und muss mit mehreren Nadeln festgesteckt werden. »Das dauert«, lacht Anne.

Viele Menschen, die noch Sorbisch sprechen, kenne sie nicht mehr, sagt die Lübbenauerin Anne im Gespräch mit »nd«. Die slawische Sprache gilt als gefährdet, laut der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung liegt der Anteil der Sorben und Wenden unter einem Prozent. »Es ist natürlich schwierig, Kinder zu überzeugen, nach der Schule noch Sorbisch zu lernen, wenn es nur ein paar für sie unbekannte Menschen gibt, die es sprechen«, sagt die Lehramtsstudentin.

Arbeitsalltag einer Postbotin im Kahn

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Nicht in sorbischer Tracht, sondern in regulärer Arbeitsmontur eröffnet Andrea Bunar an diesem Donnerstag die 13. Saison der Postzustellung per Kahn. Jährlich von April bis Oktober legt sie insgesamt rund 1100 Kilometer auf dem Wasser zurück. »Pro Tag sind es zirka acht Kilometer«, antwortet sie mehr als einmal auf Nachfrage der Presse. Über 600 Briefe und Postkarten sowie etwa 80 Pakete pro Woche liefert die 53-Jährige an knapp 100 Lehder*innen auf dem Wasserweg. Im Winter muss Bunar über Brücken und zugefrorene Fließe gehen, das ist nicht nur glatt, sondern dauert auch seine Zeit.

An diesem Donnerstag trägt Bunar mit ihrem neun Meter langen Kahn die Post für die Presse morgens aus. Normalerweise ist es umgekehrt – am Vormittag fährt sie in Lübbenau Post mit dem Auto aus, am Nachmittag per Boot. Wenn sie mal krank ist, hat sie nur eine Vertretung. Trotz Jobs in der Logistik kommt Bunar bei der Arbeit auch zur Ruhe. Das liege vor allem am Wasser, wie sie fragenden Journalist*innen ohne Ungeduld mehrfach erzählt. Bunar ist nicht nur Postbotin, sondern auch Poststelle. Kunden können ihr Briefe und Pakete mitgeben und Marken für die Frankierung kaufen. Mit reiner Muskelkraft bewegt die Botin »bis zu 31,5 Kilogramm« schwere Pakete, wie die Deutsche Post in behördentypischer Genauigkeit informiert. Einen Motor darf das Boot nicht haben, denn der Spreewald ist Unesco-Biosphärenreservat.

Angenehm aus der Zeit gefallen wirkt ein Besuch im Spreewald an Andrea Bunars Arbeitsplatz. Ein Ort, an dem auch die Feuerwehr und Müllabfuhr mit dem Kahn kommt, wie Roland Salowsky, Betriebsleiter der Deutschen Post aus Cottbus, »nd« erzählt. Ein Hund grüßt die Botin bei der Arbeit freudig, als sie ein Paket vom Kahn lädt, während er die sich auf zwei weiteren Kähnen befindenden fotoschießenden Reporter*innen anbellt.

Auf dem Lehder Fließ wird die Postfrau stets von der filmenden Drohne eines Journalisten verfolgt, hin und wieder hallt ein Signal der Datenübertragung für die abgescannten Pakete durch die Ruhe. Es gibt aber auch Trubel in den Kanälen. Einige Paddler*innen, die die Kähne kreuzen, und augenscheinlich viele Tourist*innen sind unterwegs, die an angrenzenden Cafés rasten oder das Freilandmuseum Lehde besuchen.

»Es hat sich über die 13 Jahre schon viel im Dorf verändert«, erzählt Bunar »nd«. Nicht nur seien es mehr Tourist*innen geworden, sondern auch mehr Pakete, sagt sie. Auch eine Veränderung in der Natur nehme sie wahr. »Letztes Jahr bin ich bei Schneeglöckchen in die Saison gestartet, dieses Jahr fallen zum Saisonstart schon die ersten Kirschblütenblätter.« Im Sommer hat Bunar einen »extrem niedrigen« Wasserstand beobachtet. Sie berichtet von einem Tag der Saison 2023, an dem es so gewittert habe, dass es sich für sie »lebensbedrohlich« angefühlt habe. »Ich musste mich im Café ›Venedig‹ schützen«, erzählt Bunar.

Wasser in der Spree/Klimawandel

Eine Handbreit Wasser wünscht man Seefahrenden unterm Kiel. Dass dies im Spreewalder Sommer immer schwieriger wird, veranschaulicht eine Studie für das Umweltbundesamt (UBA) von Juni 2023. Mit dem Braunkohleabbau in der Lausitz wurde der Spree künstlich Wasser zugeführt. Denn für das Abbaggern der Kohle musste Grundwasser abgepumpt werden. Dieses fehlt nun Jahr für Jahr mehr bis zum geplanten vollständigen Braunkohleausstieg 2038. Der Klimawandel verschärfe die Situation, da er durch Dürren und Extremwetter die Wasserkreisläufe beeinflusst, erklärt die Studie.

»Wenn man keine Stabilisierungsmaßnahmen durchführen kann oder will, könnte es in 20 Jahren vielleicht so aussehen, wie es vor dem Bergbau häufig der Fall war – dann aber fast jährlich wiederkehrend«, erzählt Ingolf Arnold »nd«. Er ist Fachingenieur für Grundwasser und Vorsitzender des Fördervereins Wasser-Cluster-Lausitz, der sich 2016 gegründet hat, »um den mit dem Strukturwandel einhergehenden Transformationsprozess in der Lausitz im Bereich Wasserwirtschaft zu unterstützen«.
Arnold zeigt »nd« Fotos von 1920 aus Dubkow-Mühle, unweit von Lehde, sowie aus Burg im Südspreewald von 1936. Das Foto von 1936 zeigt Kahnfahrende bei so einem niedrigen Wasserstand, dass Menschen neben dem Boot nur bis zum Knöchel bedeckt im Wasser stehen können. Das Foto von 1920 in der Nähe von Lehde, wo Andrea Bunar ihre Pakete austrägt, lässt erahnen, dass Treppenstufen, die heutzutage unter Wasser stehen, vor 100 Jahren freilagen.

»Rund 50 Prozent der Trinkwasserversorgung Berlins« hängen laut Arnold an der Spree. Nun sei ein »anderes Instrument« nötig, um im Zuge des Braunkohleausstiegs die Spree über trockene Zeiten zu bringen. Der Fachingenieur für Grundwasser spricht von Talsperren, dem Abpumpen von Wasser aus der Elbe oder dem Cottbuser Ostsee, einem künstlich angelegten See mit »ausreichend Speicherkapazitäten«, um die Wasserknappheit in der Region anzugehen. »Man sollte schon mal Postkutschen statt eines Postkahns reservieren«, sagt Arnold angesichts des Wassermangels in der Lausitz.

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