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Uefa-Direktorin Nadine Keßler: »Kommerzielle Fortschritte nötig«

Die 36-Jährige erklärt, warum die EM-Qualifikation der Frauen ein neues Format bekommen hat

  • Interview: Frank Hellmann
  • Lesedauer: 8 Min.
Volles Wembleystadion: Englands Frauen bejubeln den 2:1-Siegtreffer im EM-Finale 2022 gegen Deutschland.
Volles Wembleystadion: Englands Frauen bejubeln den 2:1-Siegtreffer im EM-Finale 2022 gegen Deutschland.

Sie nennen sich bei der Europäischen Fußball-Union (Uefa) nicht mehr Abteilungsleiterin Frauenfußball, sondern Direktorin. Hat die Uefa erkannt, wie wichtig der Frauenfußball ist?

Den Titel trage ich seit ungefähr zwei Jahren. Tatsächlich sind wir nach der Frauen-EM in England von einer Abteilung zu einer Division geworden und dadurch im Board der Direktoren vertreten, was eine schöne Anerkennung für die Entwicklung des Frauenfußballs der vergangenen Jahre war.

Auf Grundlage der Nations League wird nun die EM-Qualifikation seit Freitag erstmals in einem Ligen-System ausgespielt. Warum das neue Format?

Der größte Kritikpunkt an der Qualifikation war ja immer, dass es sportlich zu wenig Wettbewerb gab. Daran mussten wir arbeiten. Wir konnten in der Nations League die Zahl der Spiele, die mit drei und mehr Toren Differenz entschieden wurden, bereits um 65 Prozent reduzieren. Zuschauerzahlen und Einschaltquoten haben sich mehr als verdoppelt. Die Verbände halten weiterhin die TV- und Sponsorenrechte. Für das neue Format gab es ein einhelliges Votum von den großen bis zu den kleinen Nationen. Nations League und EM-Qualifikation sind jetzt ein Wettbewerbszyklus mit zwei Phasen und neuen Elementen.

Deutschland spielt in einer Gruppe mit Österreich, Island und Polen, aber in einer anderen Gruppe treffen mit England, Schweden und Frankreich drei der Top Five der Weltrangliste aufeinander. Ist das eine glückliche Konstellation?

Ich kann mich an das Raunen im Raum bei der Auslosung noch gut erinnern. (lacht) Natürlich ist das eine Hammer-Gruppe, die aber dann doch auch besonderes Interesse weckt. Aus der A-Liga qualifizieren sich jeweils der Gruppenerste und -zweite direkt für die EM – wer Dritter oder Vierter wird, kommt ja noch in die Playoffs und spielt mit den Besten der Ligen B und C um die restlichen sieben Plätze. Wer in der Top Ten der Welt ist, sollte sich also trotzdem auf diesem Wege noch durchsetzen können.

Interview
London, England, 15 January 2024: Nadine Kessler, UEFA Head of W...

Nadine Keßler ist als Spielerin eine Legende: Mit Potsdam und Wolfsburg wurde die Frau aus Rheinland-Pfalz viermal Deutsche Meisterin und gewann dreimal die Champions League. 2014 wurde sie zu Europas Fußballerin und zur Fifa-Weltfußballerin des Jahres gewählt. 2009 war Keßler für die saarländische SPD Mitglied der 13. Bundesversammlung. Seit 2016 ist sie bei der Uefa tätig, seit 2022 als Frauenfußball-Direktorin.

Warum der Termindruck? Jetzt der erste Doppelspieltag im April, der zweite dann Ende Mai, Anfang Juni und der dritte bereits Mitte Juli.

Das beschriebene neue Format umfasst 18 Spieltage. Wir haben also keine andere Wahl, als jedes Fenster im internationalen Rahmenterminkalender mit Pflichtspielen der Uefa zu nutzen. Das war jedem vorher bewusst.

Frankreich, Spanien und Deutschland treten aber auch noch im Sommer bei den Olympischen Spielen an. Deren Spielerinnen rauben Sie die Sommerpause.

Wann und wo eine Sommerpause stattfindet, ist in jedem Land individuell zu definieren und hängt auch davon ab, wie nationale Ligen terminiert sind. Der Rahmenterminkalender der Fifa legt ja nur fest, wann die Nationalmannschaften antreten. Die meisten Länder haben nach dem 16. Juli eine längere Sommerpause – außer jene drei, die zu den Olympischen Spielen gehen. Natürlich sind die letzten Jahre extrem hart verlaufen, weil wir von 2021 bis 2025 – auch wegen Verschiebungen durch Corona – fünf Finalturniere in Folge spielen. Das strapaziert alle.

Lena Oberdorf hat bereits bei der WM 2023 geklagt, die Lust auf den Fußball zu verlieren …

Natürlich ist das sportliche Niveau in allen Wettbewerben gestiegen, und es wird den Spielerinnen dadurch auch mehr abverlangt. Eigentlich gibt es nicht wesentlich viel mehr Partien als zu meiner Zeit, aber sie sind herausfordernder geworden. Deshalb kommt der individuellen Belastungssteuerung, den Absprachen zwischen Vereinen und Verbänden sowie den Strukturen rund um die Mannschaft eine größere Bedeutung zu.

Wie ist es mit dem Wachstum zu vereinbaren, dass Nähe und Bodenständigkeit im Fußball der Frauen nicht verloren gehen?

Ich hoffe, dass wir uns wirtschaftlich gesünder aufstellen können, ohne diese Werte zu verlieren. Trotzdem müssen wir größere kommerzielle Fortschritte machen. In Europa sind fünf, sechs Ligen professioneller aufgestellt, dennoch sind viele Spielerinnen nicht Vollzeit als Fußballerin beschäftigt. Das ist aber ein Ziel, dem wir uns verpflichtet sehen.

Die Frauen-EM 2025 in der Schweiz hat Konkurrenz durch die erste Klub-WM der Männer in den USA mit 32 Teams, die teilweise parallel läuft. Führt das nicht zu Interessenskonflikten?

Wir bemühen uns in Gesprächen mit der Fifa gerade extrem darum, dass die großen Turniere der Frauen eben nicht mehr im August gespielt werden, um den Ligen genügend Platz zu lassen. Klar ist das schade, da die Klub-WM der Männer ein großer Wettbewerb ist, aber wir hoffen trotzdem darauf, die Sichtbarkeit für die Frauen erhalten zu können. Die Turniere werden in unterschiedlichen Zeitzonen stattfinden, daher versuchen wir, Überschneidungen so weit wie möglich zu vermeiden. Aber zur Gänze wird es nicht mehr möglich sein.

Welche Erwartungen hat die Uefa mit der Frauen-EM in der Schweiz?

Wir wollen bei den Zuschauerzahlen, beim Transport, bei der Organisation und den Bedingungen für Fans und Teams wieder neue Maßstäbe setzen. Das Budget wird sich gegenüber der letzten EM ungefähr noch einmal verdoppeln. Wir werden zwar kein Stadion wie Wembley haben, aber mit 720 000 Tickets mehr Karten als in England anbieten können. Wir wollen mit einem großen Turnier die Welt überraschen! Es ist ja auch für die Schweiz eine Riesensache. Wann hat es ein solches Event dort zuletzt gegeben? Selbst bei der Männer-EM 2008 gab es nicht so viele Tickets.

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Vor der WM 2023 hat die drohende schwarze Mattscheibe in den europäischen Kernmärkten für viel Aufregung gesorgt. Wie sieht es jetzt bei den TV-Verträgen aus?

Gut. Wir werden in mehr als 200 Ländern auf der Welt mit dieser EM vertreten sein und sind in guten Gesprächen. Da wird kein schwarzes Loch entstehen, so viel kann ich sagen.

Wird die EM 2025 die letzte mit 16 Teams sein?

Wir hinterfragen in allen Wettbewerben laufend, ob es das passende Format ist, haben im Moment aber keine Planungen, 2029 mit mehr Mannschaften zu spielen. Das Letzte, was wir wollen, ist ein Finalturnier, bei dem die Leistungsdichte nicht mehr passt. Und wir haben ja erst zur EM 2017 in den Niederlanden auf 16 Teilnehmer angehoben.

Die Champions League der Frauen wird ab 2025 genau wie bei den Männern in einem Liga-System ausgespielt, in dem dann 18 statt 16 Teams mitspielen. Aus England, Spanien, Deutschland oder Frankreich wird am aktuellen Format beklagt, dass sich deren Klubs derzeit bereits in der Qualifikation eliminieren. In dieser Saison blieb auch der VfL Wolfsburg an der Hürde hängen. Verstehen Sie die Kritik?

Das ist nicht ganz korrekt. Wir haben innerhalb der letzten fünf Jahre zweimal das Champions-League-Format optimiert, führen nun bald einen zweiten Wettbewerb ein und ermöglichen damit insgesamt bis zu 91 Klubs, ab 2025/26 Erfahrungen auf europäischer Ebene zu sammeln, damit der Klubfußball in der Spitze und Breite besser wird. Auch die Eintrittsliste zur Champions League wird angepasst.

Wie?

Neun statt vier Topteams bekommen direkten Zugang zur Ligaphase. Ebenso startet der drittplatzierte Klub von den besten drei Verbänden – zu denen Deutschland nach aktueller Rangliste gehört – neuerdings in der zweiten Qualifikationsrunde. Für Deutschland heißt das ganz konkret, dass der Meister und Vizemeister keine Qualifikation mehr spielen müssen und dass das drittplatzierte Team nur eine Runde von der künftigen Ligaphase entfernt ist. Daher bekommen Klubs aus den Topligen eine optimierte Position im Vergleich zu heute, aber am Ende des Tages müssen sie sich auch dann durchsetzen, wenn mal etwas früher ein stärkerer Gegner kommt. Ein großer Name allein, der oft durch die Historie des Männerfußballs bestärkt wird, reicht nicht aus, um sich zu qualifizieren.

Axel Hellmann von Eintracht Frankfurt hat jüngst gesagt, dass die Champions League der Frauen kein Geld bringt. Wann ändert sich das?

Ich kenne das Budget von Eintracht Frankfurt nicht im Detail. Was ich sagen kann: Bis heute sind die Uefa-Ausschüttungen in der Champions League die mit Abstand höchsten Beträge, die es bei den Frauen in Klubwettbewerben gibt. Jeder Klub hat in der Gruppenphase 400 000 Euro sicher, dem Gewinner winken 1,4 Millionen Euro. Und damit solche Zahlungen an die Klubs überhaupt möglich sind, investiert die Uefa beziehungsweise macht damit ein deutliches Defizit. Diese Beträge müssen und sollen sich natürlich in Zukunft noch steigern. Die Sponsoren- und Medienrechte für die Vereinswettbewerbe ab 2025 sind neu ausgeschrieben worden: Wir erhoffen uns da natürlich ein positives Zeichen vom Markt.

Zum Ende der WM 2023 war zu hören, der DFB wolle Sie als Geschäftsführerin Sport verpflichten. Sie sind damals in Sydney beim Fifa-Kongress den Nachfragen aus dem Wege gegangen. Wie konkret war der Flirt mit dem DFB?

Es haben damals Gespräche stattgefunden; das kann ich sagen. Es gab Interesse, das stimmt auch. Aber ich denke, dass jeder mit der heutigen Konstellation prima leben kann. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Arbeitgeber; und der DFB hat auch eine sehr gute Lösung (Andreas Rettig, Anm. d. Red.) gefunden.

Ihr Privatleben hat sich verändert: Sie haben im Januar 2023 geheiratet und Sie sind auch Mutter geworden.

Ja, wir haben einen kleinen Jungen bekommen, und ich bin dadurch noch effizienter, noch deutscher geworden. (lacht) Im Ernst: Natürlich verändert sich das Leben dadurch zum Positiven und man priorisiert Dinge noch einmal anders. Manchmal ist der Perspektivwechsel ganz hilfreich, den diese Veränderung mit sich bringt. Ich bringe Familie und Beruf bisher gut unter einen Hut. Vielleicht bin ich in meinem Job sogar lockerer geworden, weil ich über diese Veränderung sehr glücklich bin.

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