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Droht die KI-Apokalypse in der Musik?
Popstars protestieren gegen Künstliche Intelligenz. Wer aber von der Gegenwart nicht reden will, sollte auch von der Zukunft schweigen
Mit dem Bildgenerator Dall-E kann man Bilder kreieren, die kaum mehr von menschengemachten Originalen zu unterscheiden sind. Und dass ChatGPT schon jetzt mit dem einen oder anderen durchschnittlich begabten Romanautor mithalten kann, lässt sich kaum mehr leugnen. Und schon klopft die KI mit Musik-Generatoren wie Sonu AI an die nächste Tür. In Sekundenschnelle lassen sich mit den neuen Programmen jetzt auch Songs in einem beliebigen Genre und mit Lyrics nach Wunsch erstellen, die, würden sie im Radio laufen, kaum mehr auffallen würden. Keine Fähigkeit, keine kreative Denkleistung, die vormals dem Menschen vorbehalten war, scheint mehr sicher. Auch die Kunst bildet da offensichtlich keine Ausnahme.
In der Musikbranche ist das nun offenbar auch den Künstler*innen klar geworden. In einem offenen Brief, der vergangene Woche veröffentlicht wurde, warnten über 200 US-Musiker*innen, darunter Stars und prominente Bands wie Billie Eilish, Katy Perry, Stevie Wonder, Peter Frampton, Smokey Robinson, Pearl Jam und REM, vor den Gefahren der KI, die eine »existenzielle Bedrohung« für ihre Kunst darstelle. Das ist bemerkenswert, denn bislang konnten viele der Unterzeichner sehr gut mit einem Verwertungssystem leben, in dem schon jetzt viele Künstler in ihrer Existenz bedroht sind.
Dass nun also selbst die Großverdiener*innen der Musikbranche vor der neuen Technologie warnen, zeigt, wie ernst diese Entwicklung zu nehmen ist. Schließlich betrifft der Einsatz von KI-Programmen in der Kunst nicht nur die Künstler*innen. Kunst als (Re-)Produzentin von Kultur und gesellschaftliche Reflexionspraxis betrifft uns alle. Es ist vertrackt: Technologie sollte uns einmal von stumpfsinniger Exceltabellen- und Fließbandarbeit befreien und uns Zeit für die schönen Dinge des Lebens schenken. Stattdessen arbeiten wir Menschen einfach weiter wie immer, während DALL·E Bilder malt, Sonu Songs komponiert und ChatGPT Romane schreibt.
Vielleicht wäre es aber hilfreich, dem reflexhaften Unbehagen eine differenziertere Betrachtung entgegenzustellen? Sonst werden Unkenrufe zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung, die von uns Menschen nur noch in selbstauferlegter Ohnmacht mitverfolgt wird. Am Beispiel des Next-Big-Thing in der KI-Kunst, den Musik-Generatoren, lässt sich einmal durchdeklinieren, ob die Zukunft wirklich so düster aussieht wie von vielen befürchtet wird. Denn worin besteht die Sorge? Dass im Radio und den großen Streaming-Playlisten nur noch ein gleichförmiger Einheitsbrei an seelenlosen, nach Schablone produzierten Liedern laufen könnte? In weiten Teilen ist das längst der Fall.
In seinem Essay »Capitalist Realism« beschrieb der Kulturwissenschaftler Mark Fisher, wie im gegenwärtigen Kapitalismus Marktmechanismen dafür sorgen, dass sich kommerzielle Musik immer stärker angleicht und die Musikindustrie finanziell erfolgreiche Konzepte wieder und wieder formelhaft wiederholt, bis sie irgendwann kaum mehr Neuartiges hervorbringt. Eine These, die aktuell durch eine Studie bestätigt wird, für die 12 000 englischsprachige Songs verschiedener Genres untersucht wurden, mit dem Ergebnis, dass die Songtexte von 1980 bis 2020 immer schlichter und ähnlicher geworden sind. Schließlich ist es in einem auf Effizienz und Profit getrimmten Markt immer sinnvoller, ein schon mal erfolgreiches Konzept zu wiederholen, anstatt in Projekte mit ungewisser Rentabilität zu investieren.
Künstliche Intelligenz könnte diesen Prozess sogar noch beschleunigen. Das liegt an ihrer gängigen Funktionsweise: Auf Grundlage riesiger Datensätze berechnet sie, wie wahrscheinlich ein Element auf das andere folgt und generiert aus der entsprechenden Kombination ein Ergebnis. In Sprachmodellen wie ChatGPT generiert die KI also Sätze, indem sie hinter jedes Wort immer wieder das am wahrscheinlichsten darauffolgende setzt. Modelle, deren Datengrundlage wiederum aus Musik besteht, setzen nach demselben Mechanismus einen Ton hinter den anderen, bis daraus schließlich ein ganzer Song entsteht. In einer Zukunft, in der gänzlich durch KI generierte Musik vermarktet wird, würde das bedeuten, neue Musik aus den Gemeinsamkeiten bestehender Musik zu erschaffen. Das Gleiche mit dem Gleichen zu verschmelzen, um daraus das ultimativ Gleiche zu erhalten. Das ist für die Musikindustrie ein durchaus attraktives Szenario, denn die wechselnden Gesichter, die ihre Musik bislang vermarkten und Konsumenten als Projektionsfläche dienten, mussten Labels bislang nicht nur für ihre Optik, sondern auch für ihre Musik bezahlen. Das könnte KI zukünftig ändern.
Was bedeutet das für Musiker*innen selbst? Dafür muss man wissen, dass der KI-fizierung in der letzten Dekade eine weitere Entwicklung vorausging, nämlich die der Digitalisierung der Musikwelt und einer damit einhergehenden enormen Ausdifferenzierung von Musikstilen und Genres. Während es an der Spitze immer gleichförmiger wurde, wurde die Basis immer diverser. Durch gesunkene Kosten und digitale Verbreitungsmöglichkeiten, die nahezu jedem offenstehen, wurden die Einstiegshürden für Musiker*innen niedriger. Gleichzeitig vergüten die großen Streaminganbieter, die diese Entwicklung mitunter möglich gemacht haben, nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Wer nicht zu den obersten Prozent des Musikbusiness gehört, kann von Musik allein heute kaum mehr leben. Für einen Hit, der eine Million Mal angehört wurde, zahlt Spotify knapp 3400 Euro.
Je weiter oben eine Künstlerin in diesem Verteilungsmechanismus steht, desto höher ist auch der Anpassungsdruck. Investiert ein Label eine größere Summe in einen Künstler, soll das Risiko auch möglichst minimal bleiben. Zeit oder Geld für Experimente ist da nicht. Was wird nun aber passieren, wenn der Markt mit generischen, KI-produzierten, Liedern geschwemmt wird? Deren Wert sinkt. Auf der anderen Seite wird Geld, das Labels vorher in aufwendige Produktionen mit teuren Künstlern gesteckt haben, frei. Labels müssten nur noch bekannte Gesichter vermarkten und unbekannte Gesichter zu bekannten machen, während die KI die passende Musik dazu liefert. Zwar werden sich die bisherigen Top-Verdiener*innen im Streaminggeschäft wohl auch weiterhin keine Sorgen um ihre Existenz machen müssen, dieser Blick in die Zukunft erklärt aber, weshalb sich nun auch Musiker*innen wie Nicki Minaj und Katy Perry Gedanken über Verteilungsgerechtigkeit in der Musikindustrie machen. Ihre Verhandlungsposition wird mit einer KI im Nacken, die nahezu identische Songs in Sekundenschnelle quasi umsonst produzieren kann, nicht gerade besser.
Das könnte den Effekt haben, dass durch inflationär nach etablierter Formel produzierter KI-Musik der Innovationsdruck und der Wert von abseits der Mainstream-Formeln produzierten Musik steigt. Wer sich einmal durch Newcomer-Listen gehört hat, der weiß, dass Gleichförmigkeit nicht nur ein Phänomen der Charts ist. Und eine aufstrebende Künstlerin, die in wenigen Sekunden einen radiotauglichen Song im Internet erstellen kann, überlegt sich womöglich zweimal, ob es sich lohnt, noch mal genau das Gleiche selbst zu reproduzieren, oder doch etwas Neues zu versuchen. Aus einem massiven Überangebot gleichförmiger Songs heraus könnten Musiker fernab der ausgetretenen Pfade also wieder an Bedeutung gewinnen. Human-Made könnte zum Alleinstellungsmerkmal werden – und der Underground zur ökologischen Landwirtschaft der Musikindustrie.
Die KI-Apokalypse ist kein Selbstläufer. Die Missstände liegen genauso in der Gegenwart wie in einer möglichen Zukunft. Die KI beschleunigt in gewisser Weise einen Verteilungskampf, in dem ein Großteil der Künstler auch heute schon leer ausgeht. Künstliche Intelligenz gewinnt ihre Bedeutung erst in den gesellschaftlichen Strukturen, in die wir sie einbetten. Sie existiert nicht davon losgelöst. Technik ist für sich genommen nie schädlich oder gut, sondern immer das, was wir daraus machen. Um Kunst und Kultur und denen, die sie machen, einen würdigen Platz in unserer Gesellschaft einzuräumen, müssen wir vielleicht gar nicht auf die große KI-Apokalypse warten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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