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Ist das Archiv von »Linksunten« ein verbotenes Denkmal?
Vor dem Landgericht beginnt der Prozess gegen den Radioredakteur Fabian Kienert
Vor dem Landgericht Karlsruhe hat am Donnerstag der Prozess gegen Fabian Kienert von Radio Dreyeckland aus Freiburg begonnen. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wirft dem Redakteur die Unterstützung der verbotenen Vereinigung »Linksunten Indymedia« vor. Kienert habe in einer Meldung auf der Webseite des Radios auf eine archivierte Kopie der Webseite »linksunten.indymedia« verlinkt. Im Januar 2023 hatte die Staatsanwaltschaft deshalb Hausdurchsuchungen bei Kienert, dem Geschäftsführer des Radios sowie in den Redaktionsräumen veranlasst.
Vom Hoster der Webseite des Radios verlangte die Staatsanwaltschaft die Herausgabe aller IP-Adressen, die in der Vergangenheit auf www.rdl.de zugegriffen hatten. Auch die Anmeldedaten von Betreibern der Seite sollten übergeben werden. Diese Maßnahmen konnten die Anwälte des Radios ebenso wie die angeordnete Beschlagnahme der Redaktions- und Sendetechnik verhindern. Bei Kienert hatte die Polizei jedoch auch Computer und Datenträger beschlagnahmt.
Die in Rede stehende Meldung bezog sich auf die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Betriebs von »Linksunten« bis zum Verbot der Webseite durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im August 2017, das damals nach dem Vereinsgesetz erfolgte. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen die mutmaßlichen Betreiber zudem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (Paragraf 129 StGB) ermittelt. Dieses Verfahren wurde jedoch im Juli 2022 mangels Beweisen eingestellt. Hierüber hatte Kienert mit dem inkriminierten Link berichtet und die Meldung mit seinem Kürzel »FK« versehen. Deshalb wird ihm ein Verstoß gegen das Vereinigungsverbot vorgeworfen, darauf stehen bis zu drei Jahre Gefängnis.
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Nach der Eröffnung des Prozesses hat die Verteidigung des Angeklagten am Donnerstagmorgen ihre Sicht auf die Ermittlungen und das Verfahren dargelegt. Diese seien ein »Tiefpunkt der baden-württembergischen Justiz«, sagte die Rechtsanwältin Angela Furmaniak. Anschließend wurde der Einstellungsbeschluss zu dem 129er-Verfahren verlesen, den Kienert vermeldet hatte und der überhaupt erst zu den Ermittlungen führte.
Dabei bestätigte das Gericht, dass ein AfD-Politiker den Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung mit einer Anzeige ins Rollen gebracht hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte anschließend die Bundesanwaltschaft um Übernahme der Ermittlungen gefragt, diese habe jedoch wegen fehlender Zuständigkeit abgelehnt und erklärt, »Linksunten« sei nicht staatsgefährdend genug. Diese Einschätzung hätten auch Verfassungsschutzämter geteilt.
Die Ermittlungen gegen Kienert leitete der für Staatsschutzsachen zuständige Staatsanwalt Manuel Graulich, der laut Mehmet Güner aus dem Unterstützerkreis für den Redakteur Kienert »seit vielen Jahren durch seinen besonderen Ermittlungseifer gegen Linke auffällt und nun offenbar keine Grenzen mehr kennt«.
Auch der Vorsitzende Richter Axel Heim hält Graulichs Vorgehen für bedenklich. Ein Polizeizeuge hat am Donnerstag ausgesagt, dass bei der Hausdurchsuchung bei Kienert 26 Fotos aus dessen Wohnung angefertigt wurden. Nur neun davon seien ermittlungsrelevant, merkte Heim daraufhin an. Die im Auftrag von Graulich erstellten Bilder hätten dazu dienen sollen, dass die Justiz die den Redakteur als Person einschätzen könne, erklärte der Polizist, und ergänzte: Wer eine saubere Wohnung habe, sei potentiell vertrauenswürdiger.
Der Vorsitzende am Landgericht störte sich auch an der Durchsuchung an sich: Derselbe Polizeizeuge hatte bei seiner Vernehmung am Donnerstag bestätigt, dass sich Kienert bei der Razzia bereits beim Öffnen der Tür als Verfasser der inkriminierten Meldung zu erkennen gab. Damit könnte aber der Grund für die polizeiliche Maßnahme entfallen sein, wie auch Nachfragen des Richters in Richtung des Staatsanwalts Graulich nahelegen.
Der Prozesseröffnung gegen Kienert gingen bereits gerichtliche Auseinandersetzungen voraus. Im Mai 2023 hatte die Staatsschutzkammer des Landgerichts Karlsruhe die Anklage gegen den Redakteur zurückgewiesen. In der zweiten Instanz kassierte das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart den Beschluss im Juni 2023 mit der Begründung, »Linksunten« werde trotz Verbot fortgeführt, das belege das im Internet zu findende Archiv der Plattform. Im August erklärte das Landgericht schließlich die Hausdurchsuchungen beim Geschäftsführer sowie in den Redaktionsräumen des Radios für rechtswidrig – nicht jedoch jene bei Kienert.
Nach dem Richterspruch des OLG nutzte die Staatsanwaltschaft den Beschluss, um erneut die Wohnungen von fünf Verdächtigen durchsuchen zu lassen. Sie waren bereits 2017 als Verdächtige wegen des Betriebs von »Linksunten« gerazzt worden. Die fünf werden verdächtigt, drei Jahre nach dem Verbot von 2017 die Archivkopie ins Netz gestellt zu haben.
Vor dem Karlsruher Landgericht werden aus Sicht des Radios und seiner Unterstützer auch die Pressefreiheit und die Verhältnismäßigkeit verteidigt. So sieht es auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die Kienert vor Gericht beisteht. »Die Verlinkung der Archivseite ist keine Propaganda, sondern gehört zu den Aufgaben der digitalen Presse«, sagt dazu GFF-Anwalt David Werdermann. Auch Reporter ohne Grenzen kritisiert die massiven Eingriffe in die Pressefreiheit.
Jedoch geht es in dem Prozess auch um die Frage, ob das Verbot aus dem Jahr 2017 auch das Archiv von »Linksunten« einschließt und die unbekannten Verantwortlichen überhaupt eine verbotene Vereinigung darstellen, die unterstützt werden kann. Ein neues Gutachten stellt dies infrage. In Auftrag gegeben wurde es vom Landgericht Karlsruhe bei dem Diplom-Informatiker York Yannikos vom Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnologie.
Darin heißt es laut dem Magazin »Legal Tribune Online«, dass jeder und jede Person mit einfachen Programmierkenntnissen die verbotene Webseite in Gänze herunterladen und auf einem anderen Server wieder verfügbar machen kann. Das OLG Stuttgart sieht »Linksunten« jedoch durch das Archiv in Stein gemeißelt: In ihrem Urteil sprachen die Richter von einer »auf Dauerhaftigkeit angelegten Wirkung eines Denkmals« durch den damals verbotenen Verein, dessen Unterstützung also weiterhin verfolgt werden müsse.
Das Verfahren, das nach Ansicht der Verteidigung grundsätzliche Bedeutung für die Pressefreiheit in Deutschland hat, soll bis Anfang Juni dauern. Dazu sind neun Verhandlungstage angesetzt, drei davon gelten als Reservetermine für den Fall einer längeren Beweisaufnahme. Am kommenden Dienstag ist der nächste Verhandlungstag, an dem der Gutachter des Fraunhofer Instituts aussagen soll.
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