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Die Renaissance des deutschen Fußballs
Mit drei Halbfinalisten feiert die oft gescholtene Bundesliga kurz vor der Heim-EM unerwartete Erfolge
Die Tränen in irischen Pubs sind verbürgt. Wenn sich in den Ausgehvierteln von Dublin junge Leute aus aller Herren Länder in einem der vielen Pubs treffen, flimmert meist die Premier League über die Fernseher. Der englische Fußball ist ein weltverbindendes Phänomen, und gerade hier war die Hoffnung riesig, bald den FC Liverpool leibhaftig zu erleben. Doch das Europa-League-Finale am 22. Mai in Dublin haben die »Reds« endgültig verspielt; die Tickets für die gebuchten Fährfahrten vieler Anhänger aus dem Nordwesten Englands hinüber nach Irland verfallen. Stattdessen heißen jetzt Bayer Leverkusen, Olympique Marseille, AS Rom und Atalanta Bergamo die Anwärter, deren Gefolgschaft eher nicht mit dem Schiff kommen wird.
Dass die Engländer ein Europapokal-Endspiel vor ihrer Haustür verpassen, hat manch einen in Dublin entsetzt. Genauso irritiert wirkt aber auch London. Um das Champions-League-Finale am 1. Juni in Wembley macht die heimische Liga mit den höchsten Budgets der Welt schließlich auch einen Bogen. Arsenal und Manchester City strichen als letzte Repräsentanten die Segel. »Die größte Show der Welt tritt in Europa nicht mehr auf«, schrieb die Tageszeitung »Independent«. »Das war eine Alptraum-Woche für die Premier League«, hielt der »Mirror« fest. Einzig Aston Villa ist noch dabei – in der drittklassigen Conference League.
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Nach Italiens Serie A haben die deutschen Europapokalstarter in der Uefa-Fünfjahreswertung zudem die zweitmeisten Punkte gesammelt. Erst dahinter folgen England und Spanien. Neben Italien wird damit sehr wahrscheinlich also die Bundesliga mit einem fünften Startplatz für die auf 36 Teilnehmer aufgeblähte Königsklasse belohnt. Die Ausrufezeichen aus einer oft gescholtenen Liga, die mit Robert Lewandowski und Erling Haaland vor zwei Jahren ihre attraktivsten Zugpferde verlor, sind wichtig, um die Auslandsvermarktung anzukurbeln.
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass wieder Bayern München und Borussia Dortmund an die Finaltür von London klopfen. So stimmungsvoll und gehaltvoll das berühmte »German Final 2013« auch war: Eine Wiederauflage hatte in jener flirrenden Nacht insbesondere Jürgen Klopp für unmöglich gehalten. Der damalige Dortmunder Trainer lächelte mit locker gebundener Krawatte auf der Pressekonferenz nach der Niederlage gequält und merkte fast lakonisch an, er habe gehört, dass 2015 das Finale in Berlin stattfinde: »Vielleicht ist das ein guter Ort, um zurückzukommen.«
Es kam ganz anders: Im Herbst 2015 heuerte Kultfigur Klopp an der Anfield Road an. Dass aktuelle Liverpooler Aus ist mit dem Kardinalproblem auf der Insel verknüpft: der Terminhatz ohne Winterpause. »Uns ist dann ein bisschen das Benzin ausgegangen. Die Jungs haben ein paar Kilometer auf dem Tacho«, konstatierte Klopp. Sein einstiger Musterschüler Mats Hummels konnte sich eine süffisante Spitze nicht verkneifen: »Liebe Bauern, das war eine ziemlich gute Ernte«, schrieb der Abwehrspieler von Borussia Dortmund und setzte eine Deutschland-Fahne hinter seinen Eintrag. England verspottet die Bundesliga ja gerne als »Farmers League«.
Nun wird hierzulande niemand »Bye, bye, Premier League!« rufen, dafür vereinen deren Klubs schlicht zu viel Qualität, aber das Signal ist vor der Heim-EM (14. Juni bis 14. Juli) nicht zu unterschätzen. Auch für die deutsche Nationalelf, die mit dieser Wechselwirkung gute Erfahrungen gemacht hat. Der WM-Triumph 2014 der Generation um Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger war eng mit dem Erweckungserlebnis vom Champions-League-Finale 2013 verknüpft.
Nun kann der Profiteur Julian Nagelsmann heißen, der im März mit der Nationalmannschaft gegen Frankreich und die Niederlande eine ähnliche Auferstehung feierte, deren Ursachen ebenso schwer zu ergründen sind. Wenn Leon Goretzka, Julian Brandt oder Mats Hummels auch in den Halbfinalspielen wieder Leistungsträger in München und Dortmund sind, kann der Bundestrainer das eigentlich nicht unberücksichtigt lassen. Dabei hatte er sie gerade aussortiert. Schaffen es beide Klubs wirklich auf den heiligen Rasen im Wembley, wird das Trainingscamp der DFB-Auswahl Ende Mai im Thüringer Land aber in jedem Fall empfindlich gestört, denn dann fehlen Stammkräfte wie Jamal Musiala, Joshua Kimmich, Manuel Neuer und Niclas Füllkrug.
Im Zusammenhang mit dem nach Fanprotesten letztlich abgeschmetterten Investoreneinstieg in die Deutsche Fußball-Liga (DFL) war von den Befürwortern gerne argumentiert worden, die internationale Wettbewerbsfähigkeit gehe ohne den Milliardendeal verloren. Investitionsbedarf besteht zwar weiterhin, aber kluge Kaderpolitik, intelligentes Scouting, schlaue Trainer, willensstarke Spieler und ein leidenschaftliches Publikum können finanzielle Nachteile ausgleichen, wie sich in dieser Woche zeigte. Dortmund, München und Leverkusen haben sich ihr Weiterkommen nicht ergaunert oder ermauert, sondern erspielt und erkämpft.
Wie der neue deutsche Meister am Donnerstag im Londoner Olympiastadion nach der schlechtesten ersten Halbzeit seiner gesamten Saison gegen West Ham United noch die Serie mit nun 44 Spielen ohne Niederlage rettete (1:1), verdient allen Respekt. Leverkusens Traum vom Triple lebt also weiter: In die Revanche gegen AS Rom kann Bayer jedenfalls mit großer Zuversicht gehen – und vielleicht bald den Trip nach Dublin planen.
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