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Massive Preiserhöhung: RB Leipzig vergrault seine Fans
Vor allem vermögensschwache Familien müssen ihre Plätze im Unterrang bald räumen
Wenn Borussia Dortmund an diesem Samstagnachmittag bei RB Leipzig gastiert, bleibt wohl kaum ein Platz im über 47 000 Zuschauer fassenden Leipziger Stadion leer. Die Partie ist seit Wochen ausverkauft – und bei einem sportlich und aus Fansicht so brisanten Spiel wie gegen den BVB werden bis auf wenige Ausnahmen auch alle, die ein Ticket erworben haben, tatsächlich kommen. Das ist jedoch nicht bei jedem Spiel der Leipziger der Fall. Wenn in der Bundesliga die Gegner Mainz 05, VfL Bochum oder Darmstadt 98 heißen, blieben in der Vergangenheit Tausende Plätze leer. Zu viele Fans leisteten sich Dauerkarten und ließen diese dann immer wieder ungenutzt verfallen, wenn der Gegner nicht attraktiv genug, das Wetter schlecht oder der Anpfiff zu spät war, oder wenn schlicht etwas Wichtigeres dazwischenkam. Darauf hat RB Leipzig nun in einer hochumstrittenen Art reagiert und einige Anhänger gegen sich aufgebracht.
Im Schnitt 13 Prozent der Leipziger Fans, die in dieser Saison Karten erworben haben, ließen diese verfallen. Bei Partien wie gegen den BVB liegt diese sogenannte No-Show-Rate im niedrigen, einstelligen Bereich; gegen weniger namhafte Gegner entsprechend höher, sodass schon mal nahezu ein Fünftel des Stadions leer bleibt, obwohl es offiziell ausverkauft ist. Um die No-Show-Rate zu minimieren, hat der Klub zur neuen Saison eine Mindestnutzung der Dauerkarten bei mindestens zehn Spielen eingeführt. Andernfalls wird diese entzogen. Das sorgte bei den organisierten RB-Fans für Zustimmung, schließlich soll das Stadion nicht nur gegen die Topklubs voll sein.
Proteste gab es jedoch, weil der wie ein Unternehmen geführte Verein zusätzlich die Preise dort massiv anzog, wo die No-Show-Rate am höchsten ist. Das betrifft vor allem Sektor D, den zweiten Fanblock in der Nordkurve, der auch als Familien-Fanblock etabliert war. Tickets für Erwachsene wurden hier um teilweise fast 200 Euro pro Saison auf nun 525 Euro erhöht. Kinder zahlen nun nicht mehr 91 Euro wie zuvor, sondern 235 Euro – eine Preissteigerung von mehr als 130 Prozent. Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren muss nun für die Blöcke neben dem Gästebereich pro Spieljahr nicht mehr 844 Euro berappen, sondern 1520 Euro – fast eine Verdoppelung.
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RB begründet das vor allem damit, dass die Plätze im Unterrang bisher zu günstig gewesen seien und eine Preiserhöhung seit Langem geplant war. In diese Planung seien im Vorfeld auch Fangremien involviert worden. Doch der RB-Fanverband teilte mit, dass es seinem Vertreter leider nicht gelungen sei, die in diesem Bereich massive Preiserhöhung zu verhindern. »Solange wie in der strukturschwachen Region Mitteldeutschland den Leuten weniger im Portemonnaie bleibt, können wir uns vielleicht sportlich mit Spitzenmannschaften messen, sollten dies jedoch nicht bei den Einnahmen am Stadiongänger versuchen«, heißt es in der Stellungnahme der Fanvertreter.
Für betroffene Fans wie Jörn Kalbitz ist die Strategie, den zweiten Fanblock durch die Preisoffensive schleichend aufzulösen, ein Ärgernis. Der Theaterdramaturg, der schon von Berufs wegen bei gesellschaftlichen Veränderungen genau hinsieht, berichtet von Sitznachbarn, die sich nun nach mehr als zehn Jahren Treue das Ticket schlicht nicht mehr leisten können. Das seien zwar Einzelschicksale, »doch diese Leute fehlen, denn sie waren mit dem Herzen dabei«, sagt Kalbitz. »Das ist eine klassische Gentrifizierung, die Leute, die sich das nicht mehr leisten können, müssen halt umziehen oder sind einfach weg.«
Ähnliches kennen die Leipziger aus den beliebten Wohnvierteln der Messestadt, in denen die Mieten durch die Decke gehen. Im Stadion betrifft die Erhöhung vor allem wenig finanzstarke ältere Fans und Familien. Günstig ist es bei RB nur noch im Stehblock und unterm Dach; den Rest der Besucher in den Heimbereichen bittet der Champions-League-Teilnehmer 15 Jahre nach der Klubgründung künftig kräftig zur Kasse. Die Anhebung solle die Wertigkeit der Tickets erhöhen, die man – so die Klublogik – angesichts der Preise dann nicht mehr einfach so verfallen lassen wolle.
Beim vergangenen Heimspiel gegen Wolfsburg hatte sich dagegen spontaner Protest formiert. Tausende Fans in Sektor D blieben auch nach Anpfiff ihren Sitzen fern und hinter den Blöcken stehen. Sie protestierten mit Trillerpfeifen und kamen erst nach zwölf Minuten ins Stadion. Fanboykotte hat RB schon Dutzende erlebt, aber bisher immer nur von gegnerischen Anhängern. Dass Teile der eigenen Anhänger streiken, ist neu. Die aktiven Fans im 11 000 Menschen fassenden Stehblock gegenüber solidarisierten sich mit mehreren Bannern gegen die Preispolitik.
Kalbitz hätte sich eine differenziertere Preisanpassung gewünscht. Dass Fans wie er, deren Plätze in all den Jahren so gut wie nie leer blieben, nun die Rechnung dafür zahlen müssten, dass andere zu selten kamen, ist für ihn unverständlich. Der Preisanstieg fühle sich für diese Dauerbesucher wie eine Kollektivstrafe an. »Ich finde es seltsam, dass RB genau diese Leute vor den Kopf stößt«, sagt er. »Zum einen will RB Leipzig Fans, die regelmäßig kommen, doch für genau die wird es nun einfach nur teurer«, mahnt er. Zwar werden Anhänger, die kommende Saison mindestens 16 von 17 Heimspielen besuchen, 50 Prozent der Preiserhöhung erlassen – allerdings erst als Gutschrift beim Kauf eines Saisontickets für die übernächste Saison.
Eine Onlinepetition gegen die Erhöhung hat bereits mehr als 2500 Unterschriften und soll dem Verein bald übergeben werden. Auch die Fanvertreter haben inzwischen erneuten Gesprächsbedarf signalisiert. RB hört sich die Beschwerden zwar an, doch aus dem von nur 23 stimmberechtigten Mitgliedern geführten Verein ist zu hören, dass die Maßnahmen Ergebnis eines intensiven, einjährigen Prozesses seien; die neuen Preiskategorien seien lange geplant gewesen und daran werde nun auch nicht gerüttelt. Wie es aussieht, zieht der Champions-League-Teilnehmer die Preiserhöhungen wie geplant durch.
Die kommende Saison werde zeigen, ob die Leidensfähigkeit der Anhänger mit den neuen Preisen erreicht oder schon überschritten ist, kritisierte der Fanverband: »Erneut mahnen wir an, den Stadionbesucher nicht nur als Businesscase zu betrachten. Unter einem leeren Stadion leidet perspektivisch auch die Attraktivität des gesamten Produktes.«
Noch sind die Konsequenzen für Rasenballsport überschaubar. Der Klub teilte auf Anfrage mit, dass etwa 400 Fans aus Sektor D nun in die günstigeren Oberränge ziehen. 500 weitere hätten ihre Dauerkarten gekündigt; davon mehr als 100 aus jenem verteuerten Bereich. Auch Jörn Kalbitz und seine fünfköpfige Fangruppe ziehen jetzt in den Oberrang auf die andere Stadionseite um. Dort kostet die Karte in etwa so viel, wie zuvor auf der anderen Seite im Unterrang in der dritten Reihe.
Zwar hätte er auch den neuen Preis bezahlt. Doch der 49-Jährige und seine Begleiter wollen nicht länger dort sitzen, wo die alten Nachbarn verdrängt wurden und künftig eine zahlungskräftigere und jeden Spieltag wechselnde Kundschaft Platz nehmen werde. Die Partien gegen Dortmund und Bremen beim letzten Saison-Heimspiel werden für ihn und viele andere nach zehn Jahren somit ein Abschied von ihrer gewohnten Stadionperspektive und lieb gewonnenen Bekanntschaften.
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