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Film »Touched«: Die Macht der Berührung
Mit großer Wucht erzählt Claudia Rorarius in ihrem Film »Touched« von zwei Menschen mit ungleichen Körpern und ihrem Kampf um Selbstbestimmung
Erst wenn wir nicht mehr über Unterschiede reden, ist die Kluft der Ungleichheiten überwunden. Regisseurin Claudia Rorarius verhandelt in ihrem zweiten Spielfilm, der in einem Pflegeheim spielt, Diversität und Inklusion, indem sie ohne Berührungsängste von Wut und Begehren zweier Körper erzählt. Dabei lässt sie Erfahrungen ihres Vaters einfließen. Sie entschied sich gegen eine Vater-Tochter-Geschichte und legte den Fokus auf eine Pflegerin und einen ihr zugeteilten Heimbewohner: Maria (Ísold Halldórudóttir) und den querschnittsgelähmten Alex (Stavros Zafeiris).
Maria lernt, wie sie Alex für die tägliche Morgenroutine aus dem Bett in seinen Rollstuhl hebt. Sie wäscht den 34-Jährigen, streicht behutsam über seinen Rücken, seinen ganzen Körper. Verschämt schaut sie weg, während sie Alex’ Intimbereich berührt. Eine Pflegerin zeigt ihr im nächsten Arbeitsschritt, wie man einen Katheter setzt. Ihr Vokabular ist klinisch, die Handlungen sind routiniert. Die Kamera zeigt Alex’ Glied.
Geduldig lässt Alex das Prozedere über sich ergehen, während Maria ihre anfängliche Scham ablegt, um den Arbeitsanweisungen folgen zu können. Maria ist mit ihrem Körper eine mächtige Erscheinung, ihre Bewegungen hingegen sind weich, und ihre Stimme erklingt sanft, als sie Alex später ein Schlaflied vorsingt. Marias korpulenten Körper setzt Rorarius als ausgebildete Fotografin gekonnt in Szene.
Ästhetisch lehnt sich Rorarius an Jen Davis’ Bildband »Eleven Years« an. Davis, die durch ihr Übergewicht keinen gängigen Schönheitsidealen entsprach und sich später einer Magenverkleinerung unterzog, dokumentierte elf Jahre lang ihren Kampf gegen die Pfunde, gescheiterte Diäten, ihre Unsicherheiten und ihr Begehren. Wenn ihre Haut Wellen schlägt, dann liegt eine Poesie darin, daran knüpft Rorarius an. Fünf Jahre lang suchte sie die perfekte Besetzung für Maria.
Letztlich bekam die Regisseurin von einem befreundeten Fotografen (Paul Kooiker) den Tipp, sich an Ísold Halldórudóttir zu wenden, die bereits für Marc Jacobs und die italienische »Vogue« gemodelt hatte. Halldórudóttir setzt sich seit Jahren für ein Körperbild jenseits der gängigen Schönheitsideale ein, in »Touched« gibt die Isländerin ihr Schauspieldebüt. Auch der Tänzer Stavros Zafeiris spielt zum ersten Mal in einem Spielfilm mit. Beim Filmfestival in Locarno wurden die beiden für ihre schauspielerische Leistung mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet.
Zafeiris überzeugt durch seine starke Körperlichkeit, Halldórudóttir mit ihrem stillen Spiel. Als Maria kämpft sie mit aller Kraft dafür, dass Alex wieder das Leben spürt. Sie schneidet ihm die Haare, bringt ihn in die Natur und zeigt ihm Videos aus seinem früheren Leben. Maria ist neugierig, erforscht Alex’ Körper bei der täglichen Pflege und testet aus, was er trotz seiner Querschnittslähmung verspürt. Sie massiert seine tätowierte Haut mit Sandkörnern, greift auch sexuell ein, was in Alex eine Wut hervorruft. Dadurch verändern sich die Machtverhältnisse zwischen den beiden Protagonisten immer wieder.
Je näher sie Alex kommt, umso mehr spürt Maria auch ihren Körper, ihre Lust und ihre eigene Sinnlichkeit. In einem Bewohnerzimmer mit einer freundlich in Rosa gestrichenen Wand tanzt Maria zu Donna Reginas Elektropophit »Lass uns so tun«. Anmutig dreht sich Maria an einer Ballettstange, die feinen Arm- und Beinbewegungen führt sie langsam und bestimmt aus.
Für Alex hingegen ist Maria eine nützliche Verbündete, die ihm helfen kann, seinem Teufelskreis der täglichen Pflege zu entfliehen. Als sich Maria weigert, stößt er sie von sich weg. Maria spricht mit niemandem über ihre verbotene Beziehung, ihr Umfeld lernt man nicht kennen, sie tanzt allein und geht allein in eine Karaokebar. Auch Alex ist isoliert. Als er unerwartet Besuch bekommt, nutzt Maria ihre Macht als Pflegerin aus, um den unerwünschten Gast loszuwerden.
»Touched« erzählt von zwei Außenseitern und Körpern, die sich nicht gesucht haben, sondern mit all ihren Zweifeln, ihrer Lust und ihrer Wut miteinander konfrontiert werden. Dem stehen Naturbilder gegenüber sowie die nüchternen Aufnahmen aus dem Pflegealltag.
Die Berührung findet in »Touched« nicht nur physisch, sondern auch im Kopf statt. Passend dazu wählt Rorarius Nils Frahms eindringliches Klavierstück »Hammers«. Erst fühlt es sich an wie eine Endlosschleife, dann durch Tonwiederholungen wie ein fester Knoten, bei dem man nicht weiß, ob er sich lösen lässt. »Touched« ist ein Film, der wie seine Hauptfiguren nicht fragt, sondern fordert, mit seinen Szenen konfrontiert und auch Raum gibt für Poesie.
»Touched«, Deutschland 2023. Regie und Buch: Claudia Rorarius. Mit: Ísold Halldórudóttir, Stavros Zafeiris. 133 Min. Jetzt im Kino.
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