Kahlschlag in der Stahlindustrie?

Tausende Arbeiter gegen Teilverkauf von Thyssenkrupp und drohenden Stellenabbau

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.

Es steht schlecht um Europas größten Stahlstandort. Der selbst ernannten Stahlstadt Duisburg mit knapp 13 000 Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel (TKS) droht ein Kahlschlag. Dagegen haben am 1. Mai erneut Tausende Arbeiter und Duisburger demonstriert.

Beim aktuellen Konflikt geht es vor allem um den Kommunikationsstil und die Glaubwürdigkeit der Unternehmensführung. Nachdem TKS zwei Milliarden Euro von Bund und Land für den Umbau seiner defizitären Stahlsparte erhalten hatte, kündigte das Management in Essen einen drastischen Stellenabbau an. Und Ende vergangener Woche erfuhr die Belegschaft erst kurz vor der Öffentlichkeit, dass das Unternehmen EPCG des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský 20 Prozent der Firmenanteile kaufen wird. Weitere 30 Prozent sollen folgen. Erklärtes Ziel soll ein Gemeinschaftsunternehmen sein.

Über sämtliche Einzelheiten wie Kaufpreis, den Erhalt der Standorte und den langfristigen Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen, die der jetzige bis 2026 laufende Tarifvertrag vorsieht, hat die Konzernleitung Stillschweigen verordnet. Die Belegschaft »steht im Dunkeln«, heißt es aus Betriebsratskreisen. Führende Arbeitnehmervertreter vermuten, es dürfte bereits Absprachen mit dem tschechischen Geschäftsmann geben, von denen ihnen nichts bekannt sei. Und Křetínský soll dank einer Klausel wieder aussteigen können, wenn es nicht nach seinen Vorgaben läuft.

Auf einer Großkundgebung am Dienstag vor der Konzernzentrale in Duisburg-Bruckhausen hagelte es scharfe Kritik an Vorstandschef Miguel Lopez. Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen, sagte: »Bei der Ankündigung von Lopez, dass EPCG bei TKS einsteigt, gibt es keine Klarheit über die finanzielle Substanz dieses Einstiegs. Und es ist auch kein industrielles Zukunfts- und Transformationskonzept hinterlegt.« Auf nd-Anfrage, wie ein konkretes Konzept aussehen könnte, antwortete das Management bis Redaktionsschluss nicht.

Für den Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates, Tekin Nasikkol, geht es vor allem um die Mitbestimmung: »Wir Arbeitnehmervertreter fordern Mitbestimmung auf Augenhöhe. Wenn der Deal mit Křetínský so gut für uns sein soll, dann wollen wir das Kleingedruckte sehen. Unser Tarifvertrag gilt für alle Eigentümer – betriebsbedingte Kündigungen wird es auch in Zukunft nicht geben«, sagte er am Dienstag vor den Demonstranten.

Auf der traditionellen Mai-Kundgebung im Landschaftspark Duisburg-Meiderich, Standort eines ehemaligen Stahlwerks, gab es weitere kämpferische Stimmen von der IG Metall und von TKS-Betriebsräten. Man stellt sich auf einen langen Arbeitskampf ein. Am 23. Mai tagt der Aufsichtsrat. Dafür ist die nächste Großdemonstration geplant. Denn dann will sich auch Lopez erstmals zu dem Deal und zu weiteren Details äußern.

Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag in Düsseldorf, mahnte in einer Mitteilung: »Der Fall Thyssenkrupp zeigt, dass inzwischen einiges im Argen liegt.« Es sei mehr als nur schlechter Stil, die Arbeitnehmervertreter nur wenige Stunden vorab über den Einstieg von EPCG zu informieren. »Mitbestimmung ist und bleibt ein zentraler Baustein für sichere Arbeitsplätze«, unterstrich er. Auch brachte Ott eine Beteiligung des Landes NRW am Unternehmenskapital der TKS ins Spiel.

Ähnlich sieht es die NRW-Linke. Sie unterstützt die Forderung der IG Metall, dass der Staat bei Thyssenkrupp einsteigen müsse. Das Ziel sei, die Arbeitsplätze nachhaltig zu schützen und die Produktion ökologisch umzubauen. »Dabei darf sich die Landesregierung nun keine ideologischen Denkverbote auferlegen, weil Industrieproduktion in staatlicher Hand ›zu links‹ erscheint«, erklärte Landessprecher Sascha H. Wagner auf Anfrage. »Wäre Thyssenkrupp längst in staatlicher Hand, wären langfristige Umbaustrategien denkbar, und der Transformationsprozess könnte sozial gestaltet und Arbeitsplätze langfristig gesichert werden«, sagte Wagner.

Auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) war bei der Großkundgebung am Dienstag und bei der Mai-Demonstration dabei. Im Gespräch mit »nd« unterstrich die gebürtige Duisburgerin die große Verantwortung für die beiden Standorte in ihrer Heimatstadt und die Beschäftigten, die TKS jetzt nicht enttäuschen dürfe. Bedeutet: den mit Staatsgeld finanzierten Bau einer wasserstoffbasierten Direktreduktionsanlage sowie zweier sogenannter Einschmelzer wie geplant in Duisburg umzusetzen.

Auch andere Politprominenz war vor Ort. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) übermittelte Grußworte von Kanzler Olaf Scholz. Karl-Josef Laumann (CDU), Arbeitsminister in NRW, und – im Vorfeld – auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) fanden deutliche Worte und solidarisierten sich mit den TKS-Beschäftigten.

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