SPD-Europapolitiker in Dresden angegriffen und schwer verletzt

Europawahl-Spitzenkandidat der sächsischen SPD beim Aufhängen von Wahlplakate attackiert. 41-Jähriger musste notoperiert werden

  • Lesedauer: 5 Min.

Er wollte Wahlplakate für seine Partei anbringen, nun liegt der sächsische SPD-Europaspitzenkandidat Matthias Ecke im Krankenhaus. Am Freitagabend ist er in Dresden von vier Unbekannten angegriffen und schwer verletzt worden. Die Tätergruppe schlug auf den 41-Jährigen ein, wie die Polizei und SPD am Sonnabend mitteilten. Der EU-Abgeordnete musste wegen Knochenbrüchen im Gesicht im Krankenhaus operiert werden. Zahlreiche Landes- und Bundespolitiker verurteilten den Angriff.

Wenige Minuten vor dem Angriff auf Ecke hatte laut Polizei eine vierköpfige Gruppe in der Nähe bereits einen 28-jährigen Wahlkampfhelfer der Grünen ebenfalls beim Plakatieren attackiert. Die Täter schlugen und traten ihn, auch er wurde verletzt. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um dieselben Täter handelt.

Laut Polizei werden die Männer auf 17 bis 20 Jahre geschätzt. Alle vier seien Zeugen zufolge dunkel gekleidet gewesen, sagte ein Polizeisprecher. Ein Zeuge habe die Angreifer dem rechten Spektrum zugeordnet. Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums übernahm das Landeskriminalamt die Ermittlungen.

Die Vorfälle von Dresden reihen sich ein in eine Folge von Angriffen auf Parteimitglieder im Vorfeld der Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni. Erst am Donnerstagabend waren der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und sein Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben nach einer Parteiveranstaltung in Essen attackiert und Fliß dabei geschlagen worden. Am vergangenen Wochenende waren Mitglieder der Grünen in Chemnitz und Zwickau beim Plakatieren angegriffen worden. Im niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein Landtagsabgeordneter der AfD nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen. Ebenfalls dieser Tage war die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckart nach einer Veranstaltung in Brandenburg von einer Menschenmenge bedrängt und längere Zeit an der Abreise gehindert worden.

Laut einer Studie für die Heinrich-Böll-Stiftung treffen die Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffe Frauen wie Männer und Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in ähnlichem Maße, und zwar sowohl in ost- als auch in westdeutschen Ländern sowie über alle Parteigrenzen hinweg. Auffällig ist aber ein Trend, den die Bundesregierung jüngst auf eine Kleine Anfrage der AfD im Bundestag offenlegte – nicht speziell zu Kommunalpolitikern, sondern gemünzt auf alle politischen Ebenen: Waren noch 2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von Anfeindungen, so verlagerte sich der Hass vermehrt auf die Grünen. Für die AfD wurden 2023 nach vorläufigen Zahlen bundesweit 478 Fälle aktenkundig, für die Grünen 1219. Für alle Parteien zusammen wurden von 2019 bis 2023 nach Regierungsangaben 10 537 Straftaten gemeldet.

Hinzu kommen viele Fälle von Sachbeschädigungen, etwa bei Wahlplakaten. So wurden kürzlich in Leipzig zahlreiche Plakate der Linkspartei für den Kommunalwahlkampf nur Stunden, nachdem sie aufgehängt worden waren, beschädigt, beschmiert oder zerstört.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich »entsetzt« angesichts des Überfalls auf Matthias Ecke und nannte die Angriffe in Dresden und anderenorts unerträglich. »Dieser Ausbruch von Gewalt ist eine Warnung«, schrieb er in einer Mitteilung. Er appellierte an alle, die politische Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen, und forderte die Anhänger der liberalen Demokratie auf, gegen Angriffe parteiübergreifend zusammenzustehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in Berlin: »Die Demokratie wird von so etwas bedroht, und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine Option.« Solche Geschehnisse hätten auch etwas zu tun mit Reden, die gehalten würden, und mit Stimmungen, die erzeugt würden, erklärte er bei einer SPD-Wahlveranstaltung.

Die sächsischen SPD-Landesparteivorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel erklärten: »Das gewalttätige Vorgehen und die Einschüchterung von Demokratinnen und Demokraten ist das Mittel von Faschisten.« Die Saat, die AfD und andere Rechtsextreme gesät hätten, gehe auf, deren Anhänger seien völlig enthemmt. Die SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sprachen von einem »Angriff auf alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die mit Leidenschaft für unsere Demokratie und den Rechtsstaat eintreten«.

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zeigte sich an dunkelste Epochen der deutschen Geschichte erinnert. »Es ist schockierend und ein Angriff auf unsere demokratischen Werte, die Attacke auf SPD-Spitzenkandidat Matthias Ecke entsetzt mich zutiefst und ist durch nichts zu rechtfertigen«, schrieb er auf der Plattform X (vormals Twitter) weiter.

Die Grünen-Parteichefin Ricarda Lang schrieb auf X, Gewalt im Wahlkampf sei ein Angriff auf die Demokratie und damit auf alle. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erklärte zu den Angriffen: »Sie sind der widerliche und unentschuldbare Ausfluss einer Verrohung von Sprache, Debatte und der Enthemmung in den sogenannten sozialen Medien.« Die Linke-Bundesvorsitzende Janine Wissler und die sächsische Landesvorsitzende Susanne Schaper erklärten, wer angesichts der aktuellen Gewaltwelle »an der Brandmauer gegen den Faschismus rüttelt, öffnet genau denen die Tore, die die Grundlagen unseres Zusammenlebens angreifen«. Derartige Gewalttaten lägen auch in der Verantwortung von Parteien wie der AfD, den Freien Sachsen »und allen, die Hass schüren. Wer gegen Menschen hetzt und sie zu Sündenböcken für Missstände macht, trägt zu einem Klima bei, in dem sich rechte Gewalttäter ermutigt fühlen.«

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla schrieb auf X: »Physische Angriffe gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir zutiefst. Wahlkämpfe müssen inhaltlich hart und konstruktiv, aber ohne Gewalt geführt werden.«

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte ein hartes Vorgehen des Rechtsstaats an. »Wenn sich ein politisch motivierter Anschlag auf den Europaabgeordneten Matthias Ecke wenige Wochen vor der Europawahl bestätigt, dann ist diese schwere Gewalttat auch ein schwerer Angriff auf die Demokratie. Wir erleben hier eine neue Dimension von antidemokratischer Gewalt.« Sie fügte an, Extremisten und Populisten, die mit völlig entgrenzten verbalen Anfeindungen gegen demokratische Politikerinnen und Politiker ein zunehmendes Klima der Gewalt schürten, trügen eine Mitverantwortung dafür, dass es immer häufigere Attacken gebe. »Der Rechtsstaat muss und wird hierauf mit einem harten Vorgehen und weiteren Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land reagieren. Ich werde darüber sehr schnell mit den Innenministerinnen und Innenministern der Länder beraten.«

Die Grünen in Sachsen haben nach den Angriffen vom vergangenen Wochenende bereits reagiert und schicken ihre Mitglieder nicht mehr alleine zum Plakatieren. Auch in anderen Parteien wird mittlerweile beispielsweise überlegt, Mitglieder und Helfer nur noch tagsüber und nicht mehr in den späten Abendstunden plakatieren zu lassen.  dpa/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.