Telekom: Kein Tarifabschluss unter dieser Nummer

Verdi ruft Telekom-Beschäftigte zu Warnstreik auf

Erleben, was verbindet: Streikposten vor einer Telekom-Geschäftsstelle.
Erleben, was verbindet: Streikposten vor einer Telekom-Geschäftsstelle.

»Röttges, rück die Kohle raus, wir stehen jetzt vor deinem Haus«, hallt es aus einem Lautsprecher. »Unsere Arbeit, unser Schweiß, ohne uns gefrierst du zu Eis.« Den schmissigen Schlager, der vor der »Digital Innovation Arena« der Telekom in der Winterfeldtstraße in Schöneberg erklingt, hat eine Verdi-Band eingespielt. Geschrieben haben es bei der Dienstleistungsgewerkschaft organisierte Telekombeschäftigte. Timotheus Röttges ist Vorstandsvorsitzender der Telekom AG.

Nicht nur musikalisch wird der Telekom am Montag Dampf gemacht – im Tarifstreit mit der Konzernspitze hat Verdi zu einem bundesweiten Warnstreik aufgerufen. Am Streikposten in der Winterfeldtstraße haben sich am Vormittag ein Dutzend Beschäftigte versammelt. »Sie hätten mal eine Stunde früher kommen sollen, da war hier der ganze Gehweg voll«, sagt ein Mann in gelber Warnweste am Kaffeestand. Immer wieder erscheinen Kollegen, um sich in die digitalen Streiklisten einzutragen. Andere unterhalten sich kurz mit den Streikenden, bevor sie in das Telekom-Gebäude verschwinden. »Nicht vergessen: Dienst nach Vorschrift«, ruft ein Gewerkschafter einem Schlipsträger noch hinterher.

900 bis 1000 Beschäftigte hätten sich in die Streiklisten in Berlin eingetragen, schätzt Nadine Jüngling. Die Verdi-Gewerkschaftssekretärin hat früher selbst im Kundendienst des Telefon- und Internetanbieters gearbeitet. 1000 Beschäftigte entsprechen in etwa 40 Prozent der Telekom-Angestellten in Berlin. Vor allem in den Bereichen Service, Technik und Außendienst sei die Beteiligung hoch, so Jüngling. Dabei hätte die Zahl der Streikenden noch höher sein können: »Wegen Himmelfahrt sind viele Kollegen gerade schon im Urlaub und können nicht mitstreiken«, sagt Jüngling.

Die Tarifrunden zwischen Konzernverwaltung und Verdi blieben bislang ergebnislos. Teilnehmer berichten von zähen Verhandlungen, erst in der dritten Sitzung legte am vergangenen Dienstag die Arbeitgeberseite ein Angebot vor. Demnach sollen die Beschäftigten 4,2 Prozent mehr Lohn, eine Prämienzahlung und einen einmaligen Gehaltszuschlag erhalten. Die Telekom selbst sprach von dem »höchsten Angebot in der Konzerngeschichte«.

Bei den Beschäftigten kam das Angebot indes weniger gut an. »Unterirdisch« nennt es eine Angestellte in der Großkundenbetreuung, die anonym bleiben will. Die Prämienzahlung gehört zu dem Inflationsprämienmodell der Bundesregierung, die Unternehmen erlaubt, steuer- und abgabenfrei eine Sonderzahlung an die Beschäftigten herauszugeben. Andere Konzerne hätten ihren Angestellten diese Prämie auch außerhalb von Tarifverhandlungen gezahlt. »Das als Tariferhöhung zu verkaufen, ist Quatsch«, sagt die Beschäftigte. Die Prämie habe auch keine Auswirkungen auf die Lohntabelle.

Statt 4,2 Prozent fordert Verdi eine Tariferhöhung um zwölf Prozent. »Telekom war ein großer Profiteur der Corona-Pandemie«, sagt Gewerkschaftssekretärin Jüngling. Der letzte Tarifvertrag wurde kurz vor Beginn des Kriegs in der Ukraine abgeschlossen. Die damals vereinbarten Lohnerhöhungen wurden längst von der seitdem enorm angestiegenen Inflation gefressen. Jetzt gebe es »Nachholbedarf«, so Jüngling.

Besonders schwierig sei die Situation für die Beschäftigten in den untersten Lohngruppen, was bei der Telekom je nach Alter und Betriebszugehörigkeit einem Bruttogehalt von 2800 bis 3000 Euro entspricht. Dafür müssen die Beschäftigten im bis in die späten Abendstunden und am Wochenende geöffneten Kundenservice ungünstige Arbeitszeiten hinnehmen. Für Teilzeitbeschäftigte gibt es entsprechend weniger Geld. Dann kann es schnell knapp werden. »Die Leute verdienen zu viel, um für einen Wohnberechtigungsschein berechtigt zu sein, und zu wenig, um ihre Miete zu bezahlen«, so Jüngling. Daher fordert Verdi mindestens 400 Euro Lohnerhöhung.

Für Telekom-Betriebsrat Stefan Dobrialski geht es auch um die Interessen des Konzerns. Denn der kämpfe mit einem massiven Fachkräftemangel. »Es gehen mehr Leute, als neu reinkommen«, sagt er. Dabei brauche das Unternehmen eigentlich mehr Personal, um die Aufgaben im Bereich Digitalisierung zu erfüllen. Die Bedingungen seien aber gerade für Auszubildende nicht gut. »Dabei ist die Miete für Azubis ja die gleiche wie für alle anderen auch«, so Dobrialski. Ihn wundere es nicht, dass daher viele Azubis nach ihrem Abschluss von Konkurrenzunternehmen abgeworben werden. Für Azubis fordert Verdi ebenfalls zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 185 Euro Lohnzuwachs.

In der kommenden Woche wollen Verdi und Telekom-Verhandler erneut zu einer Tarifrunde in Potsdam zusammenkommen. Es dürfte vorerst die letzte Chance für eine Einigung sein. Danach müsste eine Schlichtung angerufen werden – oder Verdi entscheidet sich zum unbefristeten Streik. »Natürlich wünsche ich mir, dass schnell eine Einigung erzielt wird, damit die Lohnzuwächse bei den Beschäftigten zügig ankommen«, sagt Jüngling. Aber falls keine Einigung erzielt werden könne, sei sie »selbstverständlich« auch zum unbefristeten Streik bereit. »Anders können wir unsere Forderungen ja nicht durchsetzen«, sagt auch Betriebsrat Dobrialski.

Wegen des Warnstreiks mussten am Montag drei Telekom-Shops ganztägig geschlossen bleiben, andere mussten ihre Öffnungszeiten einschränken. Kundentermine mussten ausfallen und es kam zu deutlich verlängerten Wartezeiten bei den Hotlines des Telefonanbieters. Auch an anderer Stelle war die Erreichbarkeit eingeschränkt: Wer die Pressestelle der Telekom anrief, wurde von einer Computerstimme informiert, dass es »aufgrund von Warnstreiks« zu längeren Wartezeiten komme, bevor nach zehn Minuten die Verbindung abbrach.

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