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Europäische Union: Tierschutz auf der langen Bank

Die EU hätte die Macht, die Agrarindustrie zu mehr Tierwohl zu verpflichten, meint die Grünen-Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg

  • Anna Deparnay-Grunenberg
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Neunjährige, mit meiner Mutter unterwegs auf einer französischen Autobahn, habe ich das erste Mal einen Tiertransporter gesehen. Ein Laster voller Kälber, eins davon so schwach, dass es fast von den anderen zertrampelt wurde. Danach löcherte ich meine Mutter, wie das sein kann, solch ein grausamer Umgang mit Tieren? Warum unternimmt die Menschheit nichts dagegen? Kurz danach hörte ich zum Leidwesen meiner Oma auf, ihr geschmortes Kalbsgericht zu essen. Das Thema Tierleid hat mich seither nicht losgelassen.

Heute bin ich Europaabgeordnete für die Grünen und gebe den Tieren eine Stimme in der EU. Ich werde nicht müde zu erzählen, dass wir allein in Deutschland in diesem Moment 700 Millionen Tiere für unsere Ernährung halten. Mehr als zwei Millionen von ihnen schlachten wir täglich. Die Tierhaltung in der EU ist heute eine Industrie, die wirtschaftliche Profite über das Tierwohl und auch das Gemeinwohl stellt. Dafür werden Tiere in der EU in Käfigen gehalten, männliche Küken geschreddert und kleine Kälber bis nach Usbekistan transportiert. Die Agrarindustrie ist eben nicht nur Opfer, sondern auch Täter in vielerlei Hinsicht. Das muss sich ändern!

Die ersten europäischen Tierschutzgesetze wurden 1974 verabschiedet, doch die aktuellen Gesetze sind veraltet und müssen dringend überarbeitet werden – auch jenes über die Kälbchen im LKW. Ich war Mitglied des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu EU-Tiertransporten, der zahlreiche Missstände aufgedeckt hat. Wir haben Lücken in den Gesetzen identifiziert und Verbesserungsvorschläge erarbeitet.

Anna Deparnay-Grunenberg

Anna Deparnay-Grunenberg ist Forst- und Umweltwissenschaftlerin und sitzt seit 2019 für die Partei Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament. Ihre Schwerpunkte sind Mobilitätswende, Schutz der Wälder und Artenvielfalt.

Im Dezember 2023 war nach langem Warten endlich Fortschritt in Sicht: Die EU-Kommission legte einen neuen Gesetzesvorschlag für EU-Tiertransporte vor – an dem noch viel gearbeitet werden muss. Tiertransporte etwa müssen deutlich kürzer sein und es muss bevorzugt Fleisch statt lebender Tiere transportiert werden. Ebenso muss es zur Pflicht werden, die Temperaturen beim Transport regelmäßig zu überprüfen und diese Standards auch für den Handel mit Nicht-EU-Ländern geltend zu machen.

Allerdings sind wir zu einer Pause bei den Verhandlungen gezwungen: kurz vor der anstehenden Europawahl am 9. Juni versuchen die Konservativen – angehalten von den Protesten der Landwirtschaft – jegliche Fortschritte zu stoppen.

Das betrifft nicht nur das neue Gesetz zu Tiertransporten. Weitere wesentliche Gesetzesvorschläge zur Verbesserung des Tierschutzes wurden von der Kommission gar nicht erst vorgelegt. Darunter Gesetze zur Tierhaltungskennzeichnung, Schlachtungsmethoden und für mehr Platz bei der Haltung.

Europawahl 2024

Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl

Dabei gibt es immer mehr Menschen, die das Tierleid nicht länger ertragen. Neun von zehn EU-Bürger*innen wünschen sich bessere Bedingungen für Tiere in der Landwirtschaft. 1,5 Millionen Menschen unterstützen die EU-Bürgerinitiative »End the Cage Age«. Auf ihren Druck hin versprach die EU-Kommission die Käfighaltung bis 2027 zu beenden. Da bisher nichts passierte, hat die Bürgerinitiative nun Klage gegen die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Untätigkeit eingelegt. Ihre Forderung: Tierschutz muss ein europäisches Gemeinschaftsziel sein und die Kommission muss die versprochenen Gesetze vorlegen!

Die EU ist der beste Hebel, um Gemeinwohl und Umweltstandards bei Landwirtschaft in den Mittelpunkt zu rücken. Sie ko-finanziert unsere Ernährung durch enorme Subventionen für die Landwirt*innen, sodass die Preise verhältnismäßig stabil bleiben. Sie stellt dafür rund ein Drittel ihres Budgets zur Verfügung und kann wiederum die Verteilungskriterien festlegen. Entsprechend groß ist ihre Macht, die Agrarindustrie zu mehr Tierwohl zu verpflichten. Sie könnte etwa ein Ende der Käfighaltung und bessere Umweltstandards festlegen oder Subventionen für Massentierhaltung abbauen. Es gibt so viele Lösungsansätze, um das Tierleid zu beenden und die auch von Wissenschaftlern dringend empfohlen werden. Anstatt die Tierschutz- und Umweltauflagen auf die lange Bank zu schieben, sollten wir gemeinsam mit den Landwirt*innen auf eine wirkliche Agrarwende hinarbeiten!

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