Göttinger Initiative »Soziales Zentrum« will Knast kaufen

Die Auseinandersetzung um die Nutzung der einstigen Justizvollzugsanstalt in Göttingen geht in eine neue Runde

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Bis 2007 befand sich in diesem Gebäude ein Gefängnis. Die Stadt Göttingen erwarb es 2008 – seitdem ist es ungenutzt.
Bis 2007 befand sich in diesem Gebäude ein Gefängnis. Die Stadt Göttingen erwarb es 2008 – seitdem ist es ungenutzt.

In ihrem Bemühen, in der früheren Göttinger Justizvollzugsanstalt (JVA) ein soziales Zentrum aufzubauen, lässt die gleichnamige Initiative nicht locker. Bei einer Kundgebung vor dem leer stehenden Gebäude gab sie am vergangenen Sonntag den Startschuss für eine Spendenkampagne. Mit möglichst viel auf diese Weise eingesammeltem Geld will die Initiative für ein soziales Zentrum die Immobilie erwerben und umbauen.

Das ehemalige Untersuchungsgefängnis in der nördlichen Innenstadt gehört seit 2008 der Stadt und ist seitdem ungenutzt. Bemühungen um eine Nachnutzung blieben lange Zeit ohne Ergebnis – Pläne, die JVA etwa zu einem Hostel umzubauen, scheiterten an der Finanzierung. Erst vor zwei Jahren kam die Debatte wieder in Schwung.

Die Initiative für ein soziales Zentrum legte ein detailliertes Konzept vor, das unter anderem Beratungs- und medizinische Angebote für Geflüchtete und andere Bedürftige vorsah. Die überfällige Sanierung sollte die Stadt stemmen – und dafür knapp sechs Millionen Euro bereits bewilligte Fördermittel für den Stadtteil verwenden.

Doch Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) entschied quasi im Alleingang, die JVA an die Firma Trafo Hub aus Braunschweig zu veräußern, die dort ein nebulöses Konzept für »Co-Working- und Co-Living-Spaces« umsetzen wollte. Im Oktober 2022 besetzte die Gruppe Autonome Stadtverwaltung Göttingen das Gebäude, eine Räumung durch die Polizei wenige Tage später verlief friedlich – allerdings sind vor Gericht Strafprozesse gegen mutmaßliche Mitbesetzer*innen anhängig. Kurz darauf zog sich Trafo Hub zurück, angeblich wegen veränderter Rahmenbedingungen wie Baukosten- und Zinssteigerungen sowie der Auswirkungen des Ukraine-Krieges.

Auf eine Entwicklung des Hauses gemeinsam mit Nachbarn und Initiativen wollten sich die Stadtratsmehrheit aus SPD, CDU und FDP sowie die Verwaltung aber weiterhin nicht einlassen. Stattdessen hat die Stadt die JVA in einer öffentlichen Ausschreibung zum Verkauf angeboten. Bis zum 1. Juni 2024 können sich Interessierte bewerben, die nach einem bestimmten Kriterienkatalog bewertet werden.

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Der Käufer soll etwa anhand von Referenzen Erfahrung in der Entwicklung ähnlicher Immobilien nachweisen können und die Bereitschaft zeigen, einen Vertrag zu unterschreiben, »der die städtebaulichen und bauleitplanerischen Ziele der Stadt« absichert. Als Mindestpreis nennt die Stadt 140 000 Euro. Möglich ist aber auch die Option Erbbaurecht – also das Recht, eine Immobilie auf fremdem Grundstück zu bauen oder zu nutzen. Der Erbbaurechtnehmer wird Eigentümer der Immobilie, pachtet jedoch das Grundstück. Wer den Zuschlag erhält, entscheidet letztendlich der nicht öffentlich tagende Verwaltungsausschuss, in dem die drei genannten Parteien die Mehrheit haben.

Die Initiative für ein soziales Zentrum beteiligt sich nun an der Ausschreibung. Gemeinsam mit anderen Gruppen aus der Nachbarschaft gründete sie bereits Anfang des Jahres einen gemeinnützigen Verein, um dem Vorstoß einen formalen Rahmen zu geben. »Wir sind froh, dass wir als Initiative nun an dem Punkt angelangt sind, Spenden sammeln zu können«, sagt Almut Schilling, eine der Aktiven.

Mit Spenden allein wird es aber nicht getan sein, weiß auch Anna Siegert, die ebenfalls in der Initiative mitmacht. »Spenden sind für uns eine wichtige Anschubfinanzierung, um die Bewerbung und die damit verbundenen Kosten zu stemmen«, erklärt sie. Für den Kauf und den Umbau hofft Siegert auf Fördermittel. Ein weiterer Teil der Finanzierung soll aus Direktkrediten kommen, bei denen es im Falle einer nicht erfolgreichen Bewerbung Möglichkeiten der Rückerstattung gibt.

Wie das soziale Zentrum im ehemaligen Knast aussehen könnte, ließ sich am Sonntag erahnen. Bei einer Kundgebung wurde ein Video gezeigt, in dem junge und ältere Mitglieder der Initiative bunte Bilder von einem künftigen sozialen Zentrum in der JVA entwarfen.

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