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Am Ziegeleisee in Lübars
Über Wasser: Unsere Kolumnistin geht am Nordrand Berlins ins Freiwasser
Säcke voller Baumaterial liegen unter dicken Staubschichten, der Wind verteilt den gemächlich aussickernden Inhalt in unsere Straße. Ich erschrecke beinahe, als ich am ersten Freitag im Mai Menschen in Arbeitskleidung auf dem Gerüst bemerke. Ein Mann mittleren Alters gestikuliert, ein Jüngerer zieht an einer E-Zigarette und nickt, zwischen beiden stehen dunkelgrüne Fläschchen.
Die Baustelle blockiert seit einem Jahrzehnt das rechte Ende unserer Straße, vor mehr als vier Jahren wurde gegenüber ein Neubau hochgezogen, aber nie fertiggestellt. Zwei Dauerbaustellen mit wechselndem Personal und langen Phasen, in denen nichts passiert. Nur die Baumaterialstapel werden höher. Ich habe mich heute für die rechte Seite entschieden und eile mit angehaltener Luft (das Dixie-Klo!) unter dem Gerüst durch.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Wenig später fahre ich mit dem120er Bus eine halbe Stunde durch den Norden Berlins. Es sind die ersten heißen Tage in der Stadt. Die Menschen tragen kurze Hosen oder Jacke und Mütze, viele lächeln. Die Dauerbaustelle Ecke Müller-/Seestraße scheint sich endlich aufzulösen. Schillerpark, Schäfersee, Weiße Stadt, Vorstadt, knapp zwei Kilometer zu Fuß, da liegt hinter einem Kindergarten, dem Angelverein Goldhaken und einer Grundschule das Paradies! Ein kleiner See inmitten von Bäumen mit Sand und Strandkörben – das Strandbad Lübars.
Ein Mann und zwei Haubentaucher sind im Wasser, ein Bademeister lümmelt auf dem Steg, der auch Sprungturm ist. Das Wasser ist grün und klar, ruckzuck bin ich drin und erschaudere. Als ich den See einmal durchquert habe, schwindet die Kälte, auch die Stirn schmerzt nicht mehr. Ich schwimme zurück, kalte Strömungen erwischen mich. Der Bademeister steht am Strand. Als ich aus dem Wasser komme, geht er rein: »Ma kieken, wie’s so is!«
Rentner lächeln mir von der Restaurantterrasse zu, ich rase zur Dusche, die – eine Kaltwasserdusche ist! Ich rubbele mich trocken. Föhnen? Fehlanzeige: Ich hätte an der Kasse 20 Cent in zwei 10-Pfennig-Stücke tauschen müssen, mit denen die alten Föhnhauben betrieben werden. Im Restaurant bestelle ich Kaffee und Flammkuchen, parliere mit der Saisonkraft über das Leben, mit der Rentnerin über Saisonkarten und laufe aufgewärmt und beschwingt durch die Sonne zurück zum Bus.
Der fünf Hektar große Ziegeleisee in Lübars lieferte jahrhundertelang Baumaterial und ist an manchen Stellen 14 Meter tief. Im 19. Jahrhundert stellte eine am See gelegene Ziegelei rote Ziegel her, die per Pferd und Bahn nach Berlin gebracht wurden. Damit wurde unter anderem das Rote Rathaus errichtet, in nur zehn Jahren. Ein Gemälde von 1860 zeigt den Bau des Berliner Rathauses. Theodor Hosemann fängt den Moment ein, als zwei Männer mit Maurerschürzen auf einem Gerüst stehen – der Ältere hält einen Hammer in der einen und ein Fläschchen in der anderen Hand, der Jüngere entzündet seine Pfeife. Sie stehen vor einer roten Ziegelmauer, im Hintergrund ragt der Turm der Marienkirche über Bürgerhäuser. Der junge Mann trägt einen blumengeschmückten Strohhut. Feiern sie den Frühling oder das schnelle Gelingen des Bauwerks?
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