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Berlin will NS-belastete Immobilie verschenken

Karlen Vesper wundert sich, wie Berlin NS-Vergangenheit abstreifen will

Arm, aber sexy? Das war einmal. Berlin scheint finanziell gut bestallt zu sein. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) trägt sich mit dem Gedanken, die Goebbels-Villa samt dazugehörendem Areal am Bogensee nahe Berlin zu verschenken. Prima! Höcke & Co. dürften als erste den (rechten) Arm hochreißen, wenn es um deren Vergabe geht. Bekämen sie doch für quasi umsonst die Möglichkeit, am unheiligen, von einem ihrer Ahnen bewohnten Ort eine Rekrutierungs- und Verblödungsstätte für Faschistennachwuchs zu eröffnen.

Von einem »Millionengrab« spricht Evers. Und meint damit nicht die Millionen Juden, Slawen, Sinti und Roma sowie Widerstandskämpfer aller europäischen Staaten, die von durch Goebbels aufgehetzte Deutsche ermordet worden sind, sondern die Moneten, die der deutschen Hauptstadt durch das seit der Millenniumswende ungenutzte Gelände samt Immobilien verlustig gingen. Es gab derweil auch schon gemäß der Totalitarismusdoktrin den famosen Vorschlag, das Gelände, auf dem sich auch die Gebäude der FDJ-Hochschule aus DDR-Zeiten befinden, als Dokumentationsort für »die Verbrechen beider deutschen Diktaturen« zu nutzen. Angesichts erstarkten Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus samt Diskreditierung von Demokratie und Antifaschismus sind derartige Relativierungen und Nivellierungen der Shoah und des Eroberungs- und Vernichtungskrieges der Nazis brandgefährlich, mörderisch.

Sodann erwogen die Stadtväter und -mütter der vormaligen »Reichshauptstadt«, die Villa, in der etliche Hassreden und -artikel krankem Hirn entsprangen, abzureißen und das Brandenburger Fleckchen, das nachrevolutionäre Berlin 1919 einem hochverschuldeten ex-kaiserlichen Geheimrat für 20 Millionen Reichsmark abgekauft hatte, zu renaturalisieren. Gras über die Geschichte. Auch eine Option. Die sich böse rächen wird.

Darob wandte sich jetzt in einem »dringenden Appell« die European Jewish Association an den Sena: Die Villa eines der »schlimmsten Ingenieure genozidaler Propaganda in der Menschheitsgeschichte« sollte in ein internationales Zentrum zur Aufklärung und Bekämpfung von Hasspropaganda umgewandelt werden. Rabbi Menachem Margolin betont, dass dies ob der beängstigenden Ausbreitung von Hate Speech und Hate Trends in der westlichen Welt, inklusive Deutschland, ein wichtiges Zeichen wäre, gar ein »moralischer Sieg«. Nun, es ist jedenfalls eine vernünftige Idee. Ob sie aufgegriffen wird? Hm. In Berlin ist man nicht nur arm, sondern offenbar auch doof.

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