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Immersive Ausstellungen: Manchmal ein »Eintauchen« in die Abzocke
Nadia Shehadeh über eine enttäuschende Ausstellung in einem furzkleinen blau-weißen Zelt
Wer ein bisschen kunstinteressiert ist, dem wird es nicht entgangen sein, dass man derzeit bundesweit umzingelt ist von Ausstellungsangeboten, die das buchstäbliche »das Eintauchen in die Kunst«™ möglich machen sollen. Die sogenannten immersiven Ausstellungen erobern den Markt, mit Betonung auf MARKT, den die Preise, die einige Aussteller für ihre Multimedia-Veranstaltungen verlangen, sind teilweise gepfeffert.
Aber trotzdem: Erstmal hört sich alles ganz toll an. Die Werke berühmter Künstler*innen werden an Wand und Boden projiziert, bewegen sich, dazu gibt es Musik und vielleicht auch noch weitere Sinneseindrücke – weil beispielsweise ätherische Öle zum Einsatz kommen. Interaktive Angebote sollen dafür sorgen, dass Besucher*innen einen niedrigschwelligen Zugang zu den Werken erhalten können. Stichwort: Anschlussfähigkeit.
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Zuletzt hat Shehadeh bei Ullstein das Buch »Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« veröffentlicht. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.
Die immersiven Ausstellungen sind für alle, so lautet der Tenor. Egal ob jung oder alt, egal ob kunstbewandert oder einfach nur Social Media-süchtig, just pay and find out! Und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch ich auf diesen Trend hereinfiel.
In diesem Jahr war es so weit: Mit einer Freundin machte ich mich auf den Weg nach Hannover. »Monets Garten«, eine immersive Ausstellung, hatte uns dank prachtvoller Bilder und Videos im Internet angezogen wie ein Magnet, vorher hatten wir Tickets zu Preisen im zweistelligen Bereich ergattert. Das Navi führte uns auf einen riesigen Parkplatz, der je nach Jahreszeit auch als Schützenfestplatz genutzt wird, aber immer gleichbleibend trostlos und grau aussieht. »Wo ist denn wohl jetzt diese Ausstellung?«, fragte mich meine Freundin, als wir in der Nachmittagsdämmerung über den riesengroßen Parkplatz fuhren und im Nieselregen die Örtlichkeit abcheckten.
Und dann sahen wir es: Ein furzkleines blau-weißes Zelt, öde und keinesfalls einladend. Uns verließ der Mut, aber gleichzeitig war auch die Neugier geweckt. Wir parkten, stiegen aus dem Auto, es war windig, das metallene Klingklang der Fahnenmasten sorgte für Horrorfilm-Vibes, das Monet-Zelt kam uns doch wieder einladend vor, wir trabten zum Eingang. »Ich kann sie leider erst zu ihrem gebuchten Zeitfenster in die Ausstellung lassen«, bedauerte die wirklich nette Dame am Empfangstresen. Also schlugen wir 50 Minuten auf dem Parkplatz die Zeit tot, bevor wir in »Monets Garten« eintauchten.
Der da war: Eine minikleine und schlecht aufgebaute Ausstellung. Dazu unterwältigende Projektionen der Monet-Werke auf Bilderrahmen und Zeltwände, funzelig und stark verpixelt. Abgerundet wurde das Ganze durch Plastikblumen. Wir fotografierten und filmten jedes Monet-Werk so lange wir konnten – und waren trotzdem nach 30 Minuten durch, und zwar komplett. Der lieblos zusammen gestellte Museumsshop rundete das Gesamterlebnis aus der Reihe »Bargeld lacht, Kartenzahlung auch« weiter ab: Hier konnte man sich mit langweiligem und unnötigem Monet-Merch, den man ohne Probleme für im Schnitt drei Euro im Internet ordern kann und trotzdem nicht haben will, zu saftigen Preisen eindecken.
»Was für eine Scheisse«, lachten wir, als wir das Zelt verließen. Immerhin, unsere Fotos sahen wohl prachtvoll aus, denn kaum hatten wir unsere Schnappschüsse auf unseren Social-Media-Accounts hochgeladen, kamen die ersten begeisterten Nachrichten. »Wow! Wo seid ihr denn?«, ungefähr so. »Fahrt da bloß nicht hin!«, warnten wir. Kurze Zeit später lernten wir: Wir waren nicht die ersten und auch nicht die letzten, die auf derartigen Nepp reinfallen sollten. Ein paar Wochen später gab es nämlich skurrile Schlagzeilen aus Glasgow: Eine immersive Ausstellung, konzipiert für Kinder, wurde zum weltweiten Internetphänomen.
Für einen Event namens »Willy Wonka Experience« war mit künstlich generierten Filmkulissenbildern geworben worden, die ein Erlebnis der Extraklasse versprachen. Geliefert wurde jedoch nur eine armselig dekorierte Industriehalle, in der Schauspieler*innen, die die »Oompa Loompas« spielten, die Kinder entweder langweilten oder gleich verschreckten. Einige Besucher*innen (oder besser gesagt: Eltern) waren über diesen Reinfall so verärgert, dass sie die Polizei riefen: Die Eventfirma erstattete daraufhin direkt die Eintrittsgelder für mehrere hundert Eintrittskarten und schloss die »Experience« umgehend.
Als Selfie- und Video-Fundgrube sind die immersiven Ausstellungen auf jeden Fall lohnenswert. Was man im Zweifelsfall aber genauso gut machen kann: Sich die Kunstwerke im Internet anzuschauen und dabei eine Galaxie-Projektorlampe im Hintergrund Lichtquatsch an die Wand beamen zu lassen. So spart man sich in manchen Fällen die Anreise – und oft auch Geld!
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