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Vatertag in den USA: Daddy Issues
Kleine Geschichte des Vatertags in den USA
Howdy aus Texas, liebe Lesende,
viel los bei Ihnen und mir diesen Monat! Bei Ihnen Tanz in den Mai, Himmelfahrt samt Vatertag gefolgt vom Muttertag; bei mir Met Gala, Muttertag ohne Vater (der ist erst im Juni dran) und Memorial Day. Weshalb wurden bei uns Himmelfahrt und Vatertag getrennt, fragen Sie? Paradoxerweise interessieren sich Amerikaner trotz ihrer penetranten Christlichkeit wenig für klerikale Feste vom alten Kontinent – außer die ganz großen, und das vielleicht auch nur, weil es da Geschenke und Süßigkeiten gibt. Sie schaffen lieber ihre eigenen.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde von den Methodist Episcopals aka Bischöflichen Methodisten in Washington State willkürlich ein Datum für den Vatertag ausgewählt, also ganz ohne Methodik oder Bischöflichkeit; an diesem sollte fortan den Vätern für ihre familiären Beiträge gedankt werden. Bischöfliche Methodisten aus West Virginia waren auch für den amerikanischen Muttertag verantwortlich, den wir Deutschen ganz methodisch übernahmen. Und während sich die Muttertage in den USA und Deutschland sehr ähneln (Blumen, Brunch, Bijouterie), sind die Vatertage ziemlich unterschiedlich; und ich habe da eine deutliche Präferenz zum amerikanischen Fest im Juni (nicht nur, weil ich so eine Ausrede habe, wenn ich den deutschen Vatertag vergesse): Ich ziehe den domestizierten Daddy, der Barbecue-Ausrüstung und peinliche Socken geschenkt bekommt, seinem teutonischen Konterpart vor, der sich den ganzen Tag, weit weg von der Familie, betrunken grölend in der Natur blamiert. Ja, ich fordere gar: Nieder mit dem deutschen Vatertag, dem Fest des Bollerwagens und der öffentlichen Alkoholvergiftung! Väter gehören an den häuslichen Grill oder für Reparaturarbeiten in den Keller. Ganz zu schweigen davon, dass viele deutsche Nichtväter Jahr für Jahr ganz selbstverständlich-dreist neben den Papis den »Herrentag« begehen. Wer noch nicht nachts von kranken Bälgern angekotzt worden ist (Kumpane zählen nicht), darf sich den Eltern nicht anbiedern. Begnügt euch mit dem Tanz in den Mai!
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Nicht nur die Vatertage sind anders, auch die amerikanischen Ansprüche an Väter scheinen mir anders – und damit meine ich höher – als daheim, zumindest im konservativen Süden der USA. Die jungen Papis um uns herum sind enorm engagiert, mit Jack Pearson von »This is Us« als Ideal – hart arbeiten, emotional stets verfügbar sein und kein einziges Baseballspiel verpassen. Diese vollwertige Vaterfigur könnte einer der wenigen Vorteile christlicher Indoktrination sein. Aber sie ist auch Mentalitätssache: Hiesige Daddys haben, so scheint es, weniger »commitment issues« als deutsche, sie heiraten eher, wollen gleich Kinder, um später mehr vom Alter zu haben, statt alles bis zur Midlife Crisis aufzuschieben, und – das war für mich die größte Überraschung – seit dem Abtreibungs-Ban besonders, aber auch schon zuvor, ist es gang und gäbe für Männer in ihren 30ern, eine Vasektomie vornehmen lassen, sobald ihre Kinderplanung abgeschlossen ist, um ihre Partnerin in der Verhütung abzulösen (und neuerdings auch, seit Einführung des neuen Abtreibungsgesetzes, um sie eventuell vor dem Tod oder dem Abstieg in die Kriminalität zu bewahren). Verantwortungsvolle Väter verdienen besonders viele peinliche Socken und ganz besonders scharfe BBQ-Saucen am dritten Sonntag im Juni, finde ich. Und keine Sorge, es gibt in Amerika auch weiterhin genügend von der Sorte »absent father«, den Alimente verweigernden Taugenichts à la Charlie Sheen, und natürlich auch den kalt kalkulierenden, die Geschwister gegeneinander ausspielenden Succession Dad.
Die Erwartungen an uns Mütter sind durch präsentere Väter leider nicht geringer geworden. Texas-Mutti muss sich genauso für alle opfern wie überall auf der Welt auch, nur hat sie mehr soziale Termine zu erfüllen. Dieses Jahr, nach all den Schulpicknicken, Wohltätigkeitsbasars und After-School-Activities habe ich beschlossen, zum Muttertag einen Rollentausch mit dem deutschen Vater einzugehen: Ich verlasse die Familie. Nicht zum Saufen, aber zum Yogamachen in einem Open-Air-Retreat. Also quasi auch zum Blamieren in der Natur.
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