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Limit für Geflüchtete
Ministerpräsident unterzeichnet Absichtserklärung zur Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber
Heute in der Kantine habe er sein Mittagessen auch mit einer Bezahlkarte gekauft – mit seiner EC-Karte, versucht Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Dienstag, die geplante Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber als unproblematisch hinzustellen. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied. Erwachsene Geflüchtete dürfen mit ihrer speziellen Chipkarte für sich selbst nur 50 Euro Bargeld im Monat abheben und für ihre minderjährigen Kinder pro Kopf 25 Euro. Bei Woidke hängt es davon ab, bei welcher Bank er Kunde ist. Aber in Deutschland können mit einer EC-Karte in der Regel 2000 Euro und mehr an einem Tag abgehoben werden.
Das soll Geflüchteten in Brandenburg noch im Laufe des Jahres flächendeckend verwehrt werden. Sie sollen keine großen Summen in die Hand bekommen, mit denen sie Schulden bei Schleppern begleichen oder Angehörige in ihrer Heimat unterstützen könnten. Da redet Woidke auch nicht drumherum: Kriminelle Schlepperbanden seien nicht von Menschenfreunden gegründet worden und das deutsche Steuergeld solle nicht ins Ausland abfließen.
Wie viel Geld bislang bei Schleppern und in den Herkunftsstaaten lande, vermag Woidke nicht zu sagen. Doch er wischt das weg mit der Bemerkung: »Selbst wenn man wüsste, dass es nur der Vorbeuge dient, wäre es gut, das zu machen. Ich glaube, da muss man nicht lange darüber diskutieren.«
Das Ziel der Maßnahme: die Zahl der ankommenden Flüchtlinge reduzieren, da die Kommunen mit deren Aufnahme überfordert waren. Die Betonung liegt auf »waren«. Denn mit den Grenzkontrollen ab Herbst 2023 gelangen schon weniger Menschen ins Land und die Situation hat sich entspannt, wie der Ministerpräsident versichert. Er hebt hervor, dass niemandem etwas weggenommen werde, da den Geflüchteten unverändert ihr Existenzminimum zugestanden werde. Nur dass sie künftig den Großteil ihrer Einkäufe elektronisch bezahlen müssen.
Woidke unterzeichnet am Dienstag zusammen mit Siegrud Heinze, dem parteilosen Landrat von Oberspreewald-Lausitz, und Steffen Scheller, dem CDU-Oberbürgermeister von Brandenburg/Havel, eine Absichtserklärung zur Einführung einer einheitlichen Bezahlkarte für die Asylbewerber im Land Brandenburg. Nach Auskunft von Scheller wollen mit Tobias Schick (SPD) und René Wilke (Linke) auch die Oberbürgermeister von Cottbus und Frankfurt (Oder) diese Erklärung unterzeichnen. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sei nicht grundsätzlich gegen die Bezahlkarte, dort werde es aber eventuell einen höheren Bargeldverfügungsrahmen geben, erläutert Scheller. Im Gespräch sind 204 Euro pro Person und Monat.
Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hatte 184 Euro Bargeld empfohlen. Das es nun viel weniger sein sollen, kritisiert sie scharf. Denn Kartenzahlung sei oft erst ab einem Mindestbetrag möglich und zum Beispiel auf Flo- und Wochenmärkten und am Kiosk überhaupt nicht. Mit der restriktiven Absichtserklärung könnten Kommunen »in die schwierige Situation kommen, in jedem Einzelfall aufwendig nachweisen zu müssen, dass mit der Bezahlkarte vor Ort tatsächlich der notwendige persönliche Bedarf gedeckt werden kann«, warnt Nonnemacher. Rechtssicher und verwaltungsarm sei das nicht. Die Bezahlkarte werde auch nicht die Zahl der Asylanträge senken. »Es gibt so gut wie keine belastbaren Erkenntnisse dazu.« Die Vorstellung, dass Geflüchtete von ihren geringen Sozialleistungen im Nachhinein ihre Schlepper bezahlen, sei »realitätsfern«.
Doch Landrat Siegurd Heinze meint, man solle erst einmal starten und dann schauen, »wohin die Reise geht«. Der Landkreis Märkisch-Oderland ist vorgeprescht und begann bereits am 6. Mai, Bezahlkarten an die rund 1000 dort gemeldeten Asylbewerber auszugeben. Etwa 500 haben die Karte schon erhalten, die andere Hälfte folge in zwei Wochen, erklärt Kreissprecher Thomas Behrendt zunächst der Nachrichtenagentur dpa und bestätigt dies gegenüber »nd«. Technisch funktioniere es. Bei der Bezahlung an Supermarkt-Kassen habe es keine Probleme gegeben. Die Betroffenen reagierten Behrendt zufolge in einigen Fällen verärgert darüber, dass sie maximal 50 Euro abheben dürfen. Aber: »Es war nie das Ansinnen, dass alle damit zufrieden sind.« Bisher mussten die Geflüchteten in Märkisch-Oderland monatlich einen Scheck abholen, denn dieser Landkreis überwies ihnen das Geld nicht. Daran ändert die Chipkarte nichts, denn die Flüchtlinge müssen jeden Monat kommen, um ihre Karte aufladen zu lassen. Immerhin gewährt Märkisch-Oderland vorerst auch Minderjährigen 50 Euro Bargeld.
Grotesk sei, dass mittels Bezahlkarte die Rechnung für ein Mobiltelefon nicht beglichen werden könne, sagt Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter. Die Karte »löst kein Problem und führt zu weniger Integration«, rügt der Oppositionspolitiker. Er fordert eine EC-Karte für Geflüchtete nach thüringischem Vorbild. Nötig sei eine zügige Arbeitserlaubnis und eine schnellere Anerkennung von Berufsabschlüssen. »Hier ist Brandenburg Schlusslicht.«
SPD-Fraktionschef Daniel Keller wirft der Linkspartei vor, die Bezahlkarte »von vornherein in Misskredit zu bringen«. Sie solle bloß keinen falschen Eindruck erwecken. Alle Bundesländer hätten sich auf die Karte verständigt. Man müsse sich die Auswirkungen in der Praxis ansehen. Gegebenenfalls könne man »nachsteuern«.
Die Freien Wähler begrüßen die Einführung der Bezahlkarte und monieren lediglich, dass dies viel zu spät geschehe. Ihr Abgeordneter Péter Vida bestreitet, dass diese Maßnahme integrationshemmend sei. Vielmehr werde dem Missbrauch ein Riegel vorgeschoben. »Das entspricht auch der Erwartungshaltung in der Bevölkerung.«
Ziel sei ein in ganz Europa ähnliches Versorgungssystem für Geflüchtete, argumentiert CDU-Fraktionschef Jan Redmann. Es gelte zu vermeiden, dass Flüchtlinge sich den Staat ihres Exils danach aussuchen, »wo sie am meisten Bargeld erhalten«.
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