Der »Eulenspiegel«: Alternative Vorstellungen von Parteidisziplin

Der »Eulenspiegel« wird 70. Früher wollte er die DDR lustiger und besser machen

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.
So streng wollte und sollte Ulbricht sich nicht sehen, gezeichnet von Harald Kretzschmar.
So streng wollte und sollte Ulbricht sich nicht sehen, gezeichnet von Harald Kretzschmar.

Anfang Mai 1954 startete der »Eulenspiegel« als Wochenblatt für Satire und Humor. Er hatte einen Vorgänger namens »Frischer Wind«, gegründet zum Berliner Vereinigungsparteitag von KPD und SPD im April 1946. Lex Ende, der Chefredakteur des neuen SED-Zentralorgans »Neues Deutschland«, wollte zeitgleich als Lustbarkeitschef glänzen. Für das billig aufgemachte und zu erwerbende Witzblatt, benannt nach einer sowjetischen Operette von Isaak Dunajewski, lieferte die Stalinsche Militäradministration Namen, Zeitungslizenz und das Modell der Einheitspartei komplett. Pikant, dass zur selben Zeit unter US-amerikanischer Lizenz in Westberlin alle zwei Wochen linke Antifaschisten ein »Organ für Literatur, Kunst, Satire« produzierten, das »Ulenspiegel« hieß. Es hatte mehr Niveau als der »Frische Wind«, wechselte dann im beginnenden Kalten Krieg 1948 ebenfalls unter sowjetische Lizenz und wurde 1950 eingestellt. Der »Frische Wind« blies nun allein, mit voller Kraft aus den Blasrohren des Kalten Krieges.

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Dabei war die Gründung des »Eulenspiegel« Ergebnis eines vorübergehenden politischen Tauwetters nach Stalins Tod 1953 und dem Aufstand vom 17. Juni. 1954 kam die Welle der Neugründungen: Kabaretts in allen großen Städten und Printmedien an bürgerlicher Tradition orientiert wie »Wochenpost«, »Magazin« und »Sibylle«. Und aus dem »Frischen Wind« wurde der »Eulenspiegel«, am 1. Mai 1954 als neues Projekt initiiert vom bisherigen Chef-Windmacher Walter Heynowski, der später als Dokumentarfilmer berühmt wurde. Es war eine neue Zeitschrift, die in ihrem eigenen neuen Verlag erschien. »Mir schwebte ein satirisches Imperium vor (…) und erstaunlicherweise wurde mein verwegenes Projekt abgesegnet«, erzählte Heynowski 2006. Das Zentralkomitee der SED entschied alles – selbst wenn das Presseamt der Regierung für die Zeitschrift und das Kulturministerium für den Buchverlag zuständig war.

Heynowski kaperte das verlassene Bankgebäude der Bonner Pferdmenges-Bank in der Berliner Kronenstraße und vereinte im neuen Wochenblatt die künstlerische und literarische Satire des »Ulenspiegel« mit dem populären Humor von »Frischer Wind« auf 16 Seiten. Schon zwei Jahre später verließ Heynowski die Zeitschrift, um das Dokumentarfilmstudio des Fernsehfunks in Berlin-Adlershof zu gründen. Heinz H. Schmidt, ein aus der englischen Emigration geübter Blattmacher der Exil-KPD, kam als Nachfolger vom »Magazin«. Davor hatte er als Westemigrant wie Lex Ende in der Partei zunehmend Strafen und Demütigungen ausgehalten.

Im landläufig »Eule« genannten »Eulenspiegel« führte Schmidt 1957 das Jahrzehnte gültige Layout mit Wechsel von Schwarz-Weiß- und Farbseiten ein: in s/w vorn politisch Aktualles, in der Mitte Kultur und Lesegeschichte und hinten konkrete Kritik an »Passivisten« und eine Bildgeschichte mit Fortsetzungen. In Farbe Innen- und Außenpolitik groß im Wechsel. Entweder auf dem Titel oder der Rückseite leichtere Lachkost.

Originelle zeichnerische Handschriften zierten Altmeister wie Fritz Koch-Gotha, Wilmar Riegenring und Georg Wilke. Karl Schrader und Kurt Klamann entwickelten sogar einen eigenen Stil für die »Eule«. Eine Generation weiter starteten Heinz Behling, Louis Rauwolf, Harri Parschau, Peter Dittrich, Henry Büttner und auch ich voll durch. Danach kamen Manfred Bofinger, Barbara Henniger, Peter Muzeniek, Heinz Jankofsky und Reiner Schwalme dazu. Hansgeorg Stengels Wortspiele fanden in der redaktionellen Regie, in eigenen Versen und in der Witzfassung der Rätsel den literarischen Stil für die »Eule«. Die anderen profilierten Textautoren wie John Stave, C. U. Wiesner, Renate Holland-Moritz, Rudi Strahl, Ulrich Speitel oder Ernst Röhl fingen als Redakteure an und wurden als Eulenbuchautoren besonders bekannt.

Was von April bis November 1956 die mit »Das war Tills Geschoss« unterschriebenen Leitartikel von Heinz H. Schmidt an Schärfe der Kritik lieferten, blieb einmalig. »DerEulenspiegel‹-Chefredakteur betrieb beherzte Satire, präsentierte Vorstellungen für einen demokratischen Sozialismus einschließlich einer demokratischen Öffentlichkeit sowie alternative Vorstellungen von Parteidisziplin«, urteilte 2006 Sylvia Klötzer in ihrer Untersuchung »Satire und Macht – Film, Zeitung, Kabarett in der DDR«.

Davon konnte bei seinen Nachfolgern nicht mehr die Rede sein. Der von 1967 bis 1989 den Chef spielende Gerd Nagel stellte rückwirkend fest: »Der ›Eulenspiegel‹ ist für mich und meine Vorgänger ein originäres Kind der DDR gewesen. Das mit diesem System stand und fiel. Wir waren keine fünfte Kolonne, kein Widerstandsnest. Wir wollten die DDR besser machen …« Zu investigativer Recherche dienten jedoch oft und gern außer der umfangreichen Leserpost die Ermittlungen der kaum bekannten »Arbeiter-und-Bauern-Inspektion«. Das konnte für die Offiziellen sehr unangenehm sein – und fürs Publikum das notwendige kritische Ventil.

Die politische Aufsicht hatte als Herausgeber das ZK der SED. Viermal hatte der Herausgeber als Zensor vorher eingegriffen. Auf Kosten der verantwortlichen Redakteure wurden jedesmal inkriminierte Seiten neu gedruckt. Anders zum Jahreswechsel 1957/1958: Die bis 1963 gepflegten Kretzschmar-Porträts führender DDR-Politiker wurden mit dem Paukenschlag einer Silvester-Mittelseite eröffnet. Zwölf Regierende waren von ihnen selbst kommentiert gedruckt, nur Ulbricht hatte sich versagt. Wie Schmidt auf das Nichtdrucken der Ulbricht-Karikatur öffentlich reagierte, kostete ihn den Posten. Die Mittelseite erschien – und er zeigte sich gleichzeitig im Foto mit dem abgelehnten Konterfei des Parteichefs in der Hand und den Worten »Manches erledigt sich von selbst« in der Illustrierten »Freie Welt«.

Nach ihm rückte mit Peter Nelken ein anderer Westemigrant nach. Dieser versuchte bis zu seinem Krebstod 1966 eine der »Eule« gemäße Liberalität zu praktizieren. Wenn Ulbricht als Karikatur nicht so streng schaute, wurde er 1963 auch gedruckt. Von 1967 bis 1989 sicherte Gerd Nagel die Kontinuität einer im Rahmen des Möglichen wirkungsvollen Kritik. In seiner Zeit stieg die Auflage von 300 000 auf 500 000 Exemplare. Das begehrte Abonnement der mit 30 Pfennig pro Einzelheft preiswerten Gazette wurde gern weitervererbt. Doch die Brisanz des Jahres 1989 kommt erst in den Ausgaben ab Dezember zur Geltung. Nun gab es ein Feuerwerk an »Wende«-Witzen. 1991 begann der Neustart als anspruchsvolleres monatlich erscheinendes Satiremagazin. Traditionsbewusst, aber frei und unabhängig. Privatwirtschaftlich im Hochleistungsdruck mit vielen neuen Mitarbeitern aus West und Ost gemeinsam gemacht.

Harald Kretzschmar, geboren 1931, war als Zeichner seit August 1955 ständiger freier Mitarbeiter der Wochenzeitschrift »Eulenspiegel«, unter anderem veröffentlichte er dort insgesamt 1361 Porträts.

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