Von allen Gedanken schätzt er am meisten die interessanten

»Ich scheiß auf deutsche Texte«, verkündet ein Sammelband von Frank Spilker

  • Axel Klingenberg
  • Lesedauer: 4 Min.

Lyrik leitet sich bekanntlich von Lyra ab, was bedeutet, dass ihr Ursprung in Texten liegt, die von Musik begleitet werden. In Liedern also! Doch wie lesen sie sich ohne diese akustische Einbindung? Kann das überhaupt funktionieren? Oder sind Lyrics sowieso immer der Musik untergeordnet? Ist die Gesangsstimme also lediglich ein weiteres Instrument, das die Musik »menschlicher« klingen lässt? Der im Ventil-Verlag erschienene Sammelband »Ich scheiß auf deutsche Texte« präsentiert ausgewählte Songtexte von Frank Spilker. Er wurde bekannt als Sänger und Gitarrist der Band Die Sterne, die neben Tocotronic und Blumfeld eine der erfolgreichsten Bands der sogenannten Hamburger Schule, deren »Diskursrock« wiederum den Ruf hatte, besonders gute und wichtige Texte und Aussagen zu haben. Er muss also eigentlich wissen, wie man gute Texte schreibt.

Und er kann das natürlich tatsächlich: »Warst du nicht fett und rosig / Warst du nicht glücklich / Bis auf die Beschwerlichkeiten / Mit den anderen Kindern streiten / Mit Papa und Mama.« So steht es in »Was hat dich bloß so ruiniert?«. Und diese berühmten Zeilen funktionieren tatsächlich auch ohne instrumentelle Untermalung. Sie sind damit durchaus verdichtete Sprache. Aber sind sie damit auch Teil eines Gedichtes?

Auch bei anderen Texten – und es sind verdammt viele – merkt man sofort (oder zumindest nach zweimaligem Lesen), wie gut sie eigentlich sind. Die verwendeten Sprachbilder, die Wortwahl, die Andeutungen, die Wiederholungen, das Weglassen, die Anlehnung an gesprochene Sprache (ohne sie jedoch billig zu kopieren) – all das zeichnet auch gute Gedichte aus.

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Wie gesagt: Diese Sammlung heißt »Ich scheiß auf deutsche Texte«, was bekanntlich der Titel eines der bekanntesten Sterne-Songs ist, aber auch eine provozierende und programmatische Aussage – und letztlich wohl vor allem eine Absage an den seinerzeit und immer noch grassierenden Patriotismus, der die deutsche Sprache gerne als hiesige Leitkultur sehen möchte (als wäre sie das nicht sowieso schon, über ihren Gebrauch im Alltag und als Amtssprache). Wörtlich zu verstehen ist das jedoch nicht, denn bis auf einen sind alle Texte in eben dieser Sprache gehalten.

Ansonsten sind sie so, wie gute Texte eben sein können. Also vielfältig – sie behandeln sowohl politische als auch persönliche Themen. Und manchmal beides gleichzeitig, weil das Private eben oft genug politisch ist, also das Leben in der Gesellschaft betrifft. »Popmusik darf nicht bevormundend oder stumpf pädagogisch sein«, schreibt Spilker aber warnend im Outro. »Aufforderungen zu mehr Beteiligung, Politisierung und rechtschaffenem Handeln und Denken sind dringend zu unterlassen. All diese Inhalte lassen sich intelligenter mit den Mitteln der Verführung vermitteln.«

Doch der Sammelband leistet noch mehr, denn Spilker liefert in den Anmerkungen zu den einzelnen Texten interessante Zusatzinformationen, berichtet von ihrer Entstehung, von ihrem zeitlichen Kontext, ordnet sie ein in die Zeit- und in die Bandgeschichte. Er verrät einiges über seine musikalischen Vorlieben und Vorbilder (die von Country und Folk über Funk und Disco bis zum Hip-Hop reichen), von seinen Intentionen, von dem, was ihm wichtig ist an seinen Texten. Und auch wenn ich grundsätzlich der Meinung bin, dass gute Kunstwerke immer selbsterklärend sein sollten, erhöht dies doch das Lesevergnügen.

Manche der Songtexte sind klug, andere sind schlicht. Die besten sind beides gleichzeitig. Und manche sind tatsächlich fertige Gedichte. Oder könnten durch kleine Umstellungen von Worten und Sätzen leicht welche werden: »Alles, was du weißt, ist, wenn du aufwachst / Wirst du darum betteln, wieder zu träumen.« Das ist tatsächlich Poesie. Aber liegt das vielleicht einfach nur an dem Schlüsselbegriff »träumen«, der auch an anderer Stelle bemüht wird? »Wir hatten Sex in dem Trümmern und träumten / Wir fanden uns ganz schön bedeutend.«

Besonders aufschlussreich sind auch Spilkers grundsätzliche Überlegungen zum Schreiben von Texten: Darf man die Wortbetonung dem Rhythmus der Musik unterwerfen? Und wie steht es um geschlechtsspezifische Pronomen?

Wer sich mit dem Schreiben von Songs beschäftigen möchte, ist also nicht schlecht beraten, diesen Sammelband zu lesen, selbst wenn er oder sie die Musik von Spilker und den Sterne nicht schätzt.

Frank Spilker: Ich scheiß auf deutsche Texte. Ausgewählte Songtexte. Ventil Verlag, 229 S., br., 18 €.

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