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Es brennt in Montreux
Deep Purples Klassiker »Machine Head« bekommt seine verspätete Jubiläums-Edition
In der Hardrock-Geschichtsschreibung ist das Jahr 1972 fest in der Hand von Deep Purple. Ihr Album »Machine Head« setzt sich sofort in allen Charts fest und etabliert die Band endgültig an der Spitze des Genres neben Led Zeppelin und Black Sabbath. Und ein Song ist jetzt in der Welt, dessen ingeniöses Vier-Akkorde-Riff als Übungseinheit für Gitarrenklippschüler jahrzehntelang so gute Dienste geleistet hat, dass er in den Instrumentengeschäften dieser Erde bei Höchststrafe verboten ist.
Ein Riff ist eine Abfolge von Einzelakkorden, die sich zu etwas Schlüssigem verbinden. Vielleicht am ehesten vergleichbar mit Worten, die sich zu einem Satz fügen. Beim Erkennungsriff von »Smoke On The Water« ist das ein ziemlich kurzer, prägnanter und appellativer Hauptsatz mit einem Ausrufungszeichen. Er funktioniert wie ein Slogan, den jeder sofort mitsprechen kann. Deshalb ist er auch bei Novizen so beliebt und bei allen anderen verhasst. Nicht zuletzt bei seinem Erfinder Ritchie Blackmore, dessen geballte Lustlosigkeit immer wieder zu kuriosen oder auch genialischen Verspielern geführt hat, zu hören etwa auf Deep Purples bald darauf veröffentlichtem Live-Dokument »Made In Japan«. Auch diese Modifikation ist längst ins kollektive Gedächtnis eingegangen.
Irgendwann wurde das Lied lästig. Nur »Satisfaction« war noch schlimmer vernutzt und zernudelt. Etwas so Archetypisches lässt sich nur noch als Relikt der Popgeschichte goutieren und nicht mehr wirklich reaktivieren, dachte ich und hörte dann auf dem Wacken Open Air vor ein paar Jahren die späte Deep-Purple-Formation mit Steve Morse an der Gitarre. Morse nahm diesen Song so ernst, als würde er ihn zum ersten Mal spielen, und tatsächlich gelang es ihm, dieses Riff noch einmal zum Leben zu erwecken.
Kurioserweise erkennen Band und Label erst spät das kommerzielle Potenzial von »Smoke On The Water«. Vielleicht, weil das Stück nicht mehr ist als ein Füllsel, um auf die probate Album-Spielzeit von etwa 40 Minuten zu kommen und weil es ihnen so leicht von der Hand geht. Es wird ihre vierte und letzte Single-Auskopplung, zu diesem Zeitpunkt stehen die harten Jungs längst auf den Tanzflächen der Rockdiscos und spielen dazu Luftgitarre.
Die Genese von »Machine Head«, die der Song beschreibt, gehört mittlerweile zum populären Sagenschatz der Rockmusik. Die Band ist unzufrieden mit dem leblosen Sound ihres Vorgängers »Fireball«. Um ihre Live-Qualitäten besser aufs Band zu bekommen, versuchen sie eine Bühnensituation zu fingieren. Sie buchen das Montreux Casino, das ihnen vom Auftritt im April 1971 noch in guter Erinnerung ist, und karren das mobile Studio der Rolling Stones heran. Am Vortag der Sessions jedoch, bei der letzten Veranstaltung vor der Winterpause, einem Konzert von Frank Zappa und seinen Mothers of Invention, fackelt ein verwirrter Fan mit einer Leuchtpistole das Casino ab.
Die Band zieht sich in ihr Hotel zurück und bemerkt die riesige Rauchwolke, die über den Genfer See zieht. So ist der Titel geboren. Der Text von »Smoke On The Water« skizziert fast tagebuchartig seine eigene Entstehung. Ohne große lyrische Ambitionen, aber die Fakten stimmen. »We all came out to Montreux / On the Lake Geneva shoreline / To make records with a mobile / We didnʼt have much time / Frank Zappa and the Mothers / Were at the best place around / But some stupid with a flare gun / Burned the place to the ground ...«
Auch was auf den Brand folgt, hat Ian Gillan brav mitstenografiert. Man braucht eine Ausweichlokation, also wechseln sie kurzerhand in die abgerockte Konzerthalle Le Pavilion, aber die Polizei setzt die Band schon nach ein paar Tagen wegen Lärmbelästigung an die Luft. Erneut haben Deep Purple Glück im Unglück, auch das Grand Hotel in Territet, etwas außerhalb von Montreux, macht Winterferien. Sie mieten kurzerhand das ganze Haus und ziehen jetzt hier ihre Strippen. Die Aufnahmen sind nicht unproblematisch, weil das Mischpult außerhalb des Hotels platziert werden muss und es infolgedessen Probleme mit der Kommunikation gibt.
Aber der Spiritus loci stimmt und sie sind froh, endlich einen Ort gefunden zu haben, wo sie in Ruhe arbeiten können. Viel Zeit haben sie weiterhin nicht, aber man hat anders als in der Vergangenheit genügend Song-Ideen gesammelt – und macht ein letztes Mal gemeinsame Sache. So reichen zwei Wochen, wenn auch mit täglich 16- bis 18-stündigen Sessions vom frühen Nachmittag bis zum nächsten Morgen, um »Machine Head« aufs Band zu bekommen. Es wird der Deep-Purple-Klassiker schlechthin, der mit »Highway Star«, »Lazy«, »Space Truckinʼ« und »Smoke On The Water« immerhin vier ewige Live-Standards zu bieten hat und überall auf der Welt erste Chartpositionen belegt. Mit 2,8 Millionen verkauften Exemplaren bleibt es bis heute das erfolgreichste Album der Band.
Mit zweijähriger Verspätung ist gerade die »Super Deluxe Edition« zum 50-jährigen Jubiläum erschienen – für die Addicts, die sonst schon alles haben. Die »Stereo- und Dolby-Atmos-Mixe« von Frank Zappas Sohn Dweezil sind ein Sakrileg, weil man sich an Kunstwerken solcher Strahlkraft nicht vergreift. Er weiß das auch, deshalb sind seine klanglichen Eingriffe eher homöopathischer Natur, also überflüssig. Interessanter sind die beigefügten Live-Aufnahmen, darunter der unveröffentlichte Mitschnitt des so wegweisenden Montreux-Gigs. Zu hören ist hier eine obsessive Jam-Band, die noch nicht ihr Gleichgewicht gefunden hat zwischen Unterhaltung und selbstvergessener Egomanie. Allerdings ließ sich bei diesen Bändern wohl nichts mehr richten. Die Aufnahmen haben allenfalls Bootleg-Qualität. Man hält sich also am besten an das Original, das hier in einer remasterten Version und somit in alter Frische erklingt.
»Highway Star« eröffnet das Album furios. Für Lester Bangs, der eine Eloge im »Rolling Stone« schreibt, ist das Tempo des Songs »halsbrecherisch und fast unangenehm hoch«. Und so bekommt er als Vorgriff auf den Speed Metal schließlich auch seinen Eintrag in den Metal-Geschichtsfibeln. Das letzte Stück »Space Truckinʼ« ist Bangs zweiter Favorit, und zwischen »diesen beiden Klassikern findet man nichts als gute, hart zulangende Musik«. Das sahen die Fans genauso.
Bei der anschließenden Tour um die Welt jedoch bricht der schon länger schwelende Konflikt zwischen dem Bonsai-Napoleon Blackmore und seinem begnadeten Leadsänger Ian Gillan wieder auf, den die vielen Probleme in Montreux, aber auch der schiere Produktionsspaß eine Weile vergessen machen konnten. Die beiden wechseln kaum noch ein Wort miteinander.
Aber so, als sei ihre Rivalität nur ein weiterer Katalysator, wachsen Deep Purple jetzt live über sich hinaus. Sie sind stupend aufeinander eingespielt, haben immer noch Spaß dran, ihre Songs in ausgedehnten Jams mitunter auf doppelte Länge zu zerdehnen, ohne das Publikum dabei zu langweilen. Vom Erfolg getragen, halten sie noch ein Jahr durch. Aber nach der zweiten Japan-Tour 1973 zerbricht die klassische Formation von Deep Purple. Die Puristen trauern darüber bis heute.
Deep Purple: »Machine Head« – Super Deluxe Edition (Universal)
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