Mathis Wackernagel: »Meine Währung ist Information«

Der Entwickler Mathis Wackernagel über das Modell des ökologischen Fußabdrucks

  • Interview: Martin Reischke
  • Lesedauer: 6 Min.
Mathis Wackernagel gilt als einer der beiden Entwickler des ökologischen Fußabdrucks, mit dem sich der individuelle und kollektive Ressourcenverbrauch berechnen lässt.
Mathis Wackernagel gilt als einer der beiden Entwickler des ökologischen Fußabdrucks, mit dem sich der individuelle und kollektive Ressourcenverbrauch berechnen lässt.

Herr Wackernagel, Sie gelten als einer der Vordenker der Nachhaltigkeitsdebatte. Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?

Ich habe mich schon als Jugendlicher für die Grenzen des Wachstums interessiert, die damals im Zuge der Ölkrise diskutiert wurden, und dachte, es käme zu einer raschen Transformation von fossilen zu erneuerbaren Energien. Deshalb wollte ich auch Ingenieur werden. Windmühlen und Sonnenenergie, das hat mich fasziniert. Und dann habe ich gemerkt, dass Technologie alleine die Welt nicht verändert.

Also haben Sie nach Ihrem Ingenieursstudium in Zürich Anfang der 90er Jahre den Kontinent und das Fach gewechselt und auf Stadt- und Regionalplanung im kanadischen Vancouver umgesattelt.

Eigentlich war es kein Umsatteln, sondern eine Horizonterweiterung. Die ganze Diskussion um nachhaltige Entwicklung hat ja damals begonnen. Nachhaltigkeit wurde ganz kompliziert definiert und es gab auch keine klaren Messgrößen. Deshalb haben mein Doktorvater, der kanadische Ökologe Bill Rees, und ich gedacht: Die eigentliche Frage ist doch ganz einfach: Wieviel brauchen wir Menschen im Verhältnis zu dem, was die Erde regenerieren kann? Wenn man sich die Erde vorstellt wie einen großen Bauernhof, dann wollen wir doch wissen: Wieviel produziert der Bauernhof Erde im Vergleich zum Appetit der Menschen – und damit meine ich nicht nur unser Essen, sondern auch den Hunger auf Kleidung, fossile Brennstoffe und alles andere.

Interview

Mathis Wackernagel gilt als einer der beiden Entwickler des ökologischen Fußabdrucks, mit dem sich der individuelle und kollektive Ressourcenverbrauch berechnen lässt. Wackernagel ist Gründer der NGO Global Footprint Network, die für mehr Aufmerksamkeit für die Themen Nachhaltigkeit und Ressourcensicherheit kämpft. Er lebt bei San Francisco an der Westküste der USA.

Daraus ist Ihr Dissertationsthema geworden – das Konzept des ökologischen Fußabdrucks. Wie ist der Name entstanden?

Damals ist jemand zu meinem Doktorvater ins Büro gekommen und hat zu ihm gesagt: »Du bekommst einen neuen Computer, der hat nur einen kleinen footprint auf deinem Tisch.« Das gefiel uns, also haben wir unser Konzept eben footprint, also Fußabdruck genannt.

Für den ökologischen Fußabdruck haben Sie berechnet, was jeder Einzelne an Ressourcen verbraucht – und wieviel die Erde regenerieren kann. So konnten Sie mit sehr detaillierten Daten zeigen, dass vor allem die Menschen in der westlichen Welt deutlich über ihre Verhältnisse leben. Sie haben später das Global Footprint Network gegründet, eine NGO, die selbst einen ökologischen Fußabdruck-Rechner auf ihrer Website betreibt. Mittlerweile ist das Konzept sehr bekannt – doch Sie hadern mit Ihrer berühmten Entwicklung. Warum?

Ich will den Fußabdruck-Rechner abstellen, weil er zu der Idee führt, dass ich mich aufgeben muss für die Welt. Suffering and sacrifice, also leiden und Opfer bringen. Das stellt als Grundannahme den persönlichen Verzicht ins Zentrum. Viele Menschen stößt das aber ab. Sie denken: »Oh mein Gott, ich sollte weniger Schokolade essen, weniger heiß duschen, alles, was ich gerne habe, weniger.« Aber wofür? Um der Welt zu helfen! Und was bekomme ich zurück? Kälter duschen und weniger Schokolade! Das ist ein schlechter Deal!

Also sind Sie bislang eigentlich am Marketing Ihres Konzepts gescheitert. Wie kann man das besser machen?

Die Frage ist, ob wir diese Erfahrung psychologisch positiv gestalten können. Ich glaube, das ist möglich. Wir haben den Rechner auf unserer Website schon viel positiver gemacht als andere, zum Beispiel sagen wir am Schluss nicht: »Wie reduzierst du deinen Fußabdruck?« Sondern unsere Frage ist: »Welche Lösung magst du?« Das ist eine ganz andere Frage!

Lieber als den einzelnen Menschen betrachten Sie ganze Länder – oder gleich die gesamte Welt. Das nennen Sie dann auch nicht mehr Fußabdruck, sondern Earth-Overshoot-Day, also Welt-Überlastungstag. Das Konzept, ursprünglich entwickelt von Ihrem Kollegen Andrew Simms, ist aber im Grunde das gleiche. Eigentlich ganz einfach, oder?

Ja, es geht darum, dass die Menschheit zwischen dem 1. Januar und Anfang August genauso viel verbraucht, wie die Erde im ganzen Jahr erneuern kann. Das versteht schon ein Kind. Die Rechnung macht klar, dass besonders diejenigen gefährdet sind, die sich selbst nicht auf diese Zukunft von Klimawandel und Ressourcenknappheit vorbereiten.

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Aber trotzdem folgt dem Verständnis, dass wir den Planeten überlasten, kein Umdenken und Handeln. Wo liegt das Problem?

Meine Währung ist Information. Ich sehe drei Bedingungen, damit Information transformativ wird. Die erste Bedingung: Sie muss faktenbasiert sein. Wenn sie das nicht ist, kommt es irgendwann ans Licht. Der zweite Punkt: Sie muss relevant sein. Aber beides zusammengenommen reicht noch nicht, denn wenn die Leute die Information als belastend empfinden, dann werden sie versuchen, sie zu bekämpfen. Ich baue also Hindernisse auf. Und das ist die Tragik unserer Nachhaltigkeitsdiskussion: Wir produzieren nur Fakten und vergessen uns zu fragen, wie die bei unserem Gegenüber wirken. Nur wenn das Resultat meiner Information ist, dass mein Gegenüber sich freut, diese Information zu haben, und das Gefühl hat, damit erfolgreicher sein zu können, besteht eine wirkliche Chance, dass diese Information auch zu einer Veränderung führt. Ist das nicht der Fall, wird der Widerstand nur noch größer.

Haben Sie eine Idee, wie man diesen Widerstand abbauen kann?

Ich nutze heute kaum mehr den Begriff Nachhaltigkeit, sondern drei Wörter: »Was wird wertvoll?« Das ist gut zu wissen für Banker, es ist gut zu wissen für städtische Beamte, und es ist gut zu wissen für Politiker, die Budgetverantwortung tragen. Und es ist natürlich auch wichtig für meine eigenen Entscheidungen.

Und was wird wertvoll?

Es geht um Ressourcensicherheit. Es geht darum, wieviel wir brauchen im Vergleich zu dem, was wir haben. Wenn wir selbst nicht ressourcensicher sind, geht es uns schlecht. Vieles ist möglich, um die eigene Ressourcensicherheit zu erhöhen. Wir können etwa die Natur produktiver machen oder Wege finden, um mit weniger Ressourcen besser zu leben. Oder wir investieren in Unternehmen, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen die Erde entlasten – und die deshalb langfristig die besten Chancen haben, an Wert zu gewinnen. Expandieren solche Unternehmen, reduzieren sie die globale Erdüberlastung noch mehr. Das sind zum Beispiel Windradproduzenten, deren Windräder Kohlekraftwerke ersetzen. So bekommen wir selbst am Ende etwas Gutes zurück, und das ist eben Ressourcensicherheit.

Das klingt logisch. Aber trotzdem sind Sie mit dieser Message immer noch nicht durchgedrungen.

Ich lebe wie in einem Agatha-Christie-Film, bei dem sich alle fragen: »Wer war der Mörder?« Mein Film läuft schon 30 Jahre, und ich weiß es immer noch nicht. Das ist enorm spannend.

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