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Macron-Besuch: Dritte Weltmacht mit schwachem Antrieb
Wie das Tandem Macron–Scholz sich um Harmonie in den deutsch-französischen Beziehungen bemüht
Die Welt teilt sich wieder in Blöcke auf: die USA auf der einen Seite, China auf der anderen und die EU in der Mitte – beziehungsweise zunehmend am Rand. Wirtschaftlich nimmt Europas Gewicht in der Welt ab. Geschwächt wird die EU zudem durch die Tatsache, dass im Verhältnis der Hauptmächte Frankreich und Deutschland in letzter Zeit nicht alles rund läuft. Das deutsch-französische Verhältnis dürfte daher im Zentrum der Gespräche stehen, die der französische Präsident Emmanuel Macron mit Bundeskanzler Olaf Scholz führen wird, wenn er von Sonntag an für drei Tage zu einem Staatsbesuch in die Bundesrepublik kommt.
Frankreich und Deutschland sind füreinander die wichtigsten Partner in Europa. Die beiden wirtschaftlich stärksten Länder des Kontinents gehörten 1957 zu den sechs Gründungsmitgliedern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dem Kern der heutigen EU, und haben ganz wesentlich die europäische Integration gestaltet. Dafür verpassten ihnen die Medien schon vor vielen Jahren den griffigen Titel »Motor Europas«. Der wird seitdem bis zum Überdruss bemüht, um bei jedem Problem zwischen den beiden Partnern in anklagendem Ton festzustellen: »Der Motor stottert.« Die Rolle des Antriebs wird von den anderen EU-Mitgliedsländern mehr oder weniger neidlos anerkannt und sie haben sich daran gewöhnt, bei Problemen in der Union nach ihm zu rufen. Allen ist klar: Nur wenn Paris und Berlin bei Differenzen einen Kompromiss finden, besteht eine Chance, dass das auch unter den 27 EU-Mitgliedern gelingen kann.
Seit dem Elysee-Vertrag von 1963, der die französisch-deutsche Aussöhnung und Freundschaft besiegelte, haben sich die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen beiden Ländern auf allen Ebenen – von gemeinsamen Ministerratssitzungen über Verbindungs-Beamte in allen Ministerien des Partnerlandes bis zu den 2200 Städtepartnerschaften – so intensiv entwickelt, dass es heute keine zwei Länder in der Welt gibt, die enger miteinander verknüpft sind. Das ist ein solides Band, das auch noch hält, wenn es an der Spitze wieder einmal kriselt. Aber natürlich ist das Verhältnis zwischen dem französischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler überaus wichtig, denn sie gestalten über die bilateralen Beziehungen hinaus ganz wesentlich den strategischen Kurs der EU.
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Grundsätzlich sind sich Olaf Scholz und Emmanuel Macron einig, dass Europa im geostrategischen Gerangel zwischen den USA und China um die Weltvorherrschaft und dem Störfeuer, das dazu aus Russland kommt, gestärkt und offensiv auftreten muss, um nicht zu einer vernachlässigbaren Größe zu werden. Positiv ist in diesem Zusammenhang auch zu werten, dass Scholz gleich zu Beginn seiner Amtszeit das von Macron geprägte Schlagwort von der unerlässlichen »europäischen Souveränität« aufgegriffen und sich zu eigen gemacht hat. Übereinstimmung oder Differenzen zeigen sich erst in der Praxis und im Detail. Beispielsweise sind sich beide einig, dass die Europäische Union zu groß und zu schwerfällig geworden ist, um wie vor Jahrzehnten geführt zu werden. Darum haben beide Länder im Januar 2019 in Ergänzung des Elysee-Vertrages den Vertrag von Aachen geschlossen, der vor allem vorzeichnet, wie die bilateralen Beziehungen dazu dienen sollen, die Europäische Union fortzuentwickeln. Was auf diesem und vielen anderen Gebieten in fleißiger Arbeit und zähen diplomatischen Verhandlungen geleistet wird, ist unspektakulär und wird daher von den Medien zumeist übergangen. Schlagzeilen machen dagegen die Differenzen an der Spitze bei brisanten aktuell-politischen Themen. Und daran mangelt es nicht.
Macron prescht voran, macht immer wieder neue Vorschläge, wie zuletzt zur Entsendung von europäischen Bodentruppen in die Ukraine, zusätzlich zu mehr modernen Waffen, Munition und Geld. Scholz reagierte darauf kühl abweisend. Deutschland sei gegen europäische Soldaten auf ukrainischem Boden, hieß es lakonisch aus dem Kanzleramt. Das war zu erwarten angesichts der historischen Verteidigungsstrategie Deutschlands, während der französische Präsident auch militärisch die Weltpolitik mitgestalten will und überzeugt ist, dass so wie vor Jahren in der Sahel-Zone heute »über die eigene Sicherheit und die Europas in der Ukraine entschieden wird«. Doch warum reizt Macron dann die Grenzen der Gemeinsamkeit immer wieder aus und drängt Deutschland zu Debatten, die man in Berlin lieber meiden würde? Weil der Präsident will, dass Europa in der Offensive bleibt.
Dass Emmanuel Macron und Olaf Scholz nicht selten unterschiedlicher Meinung sind, hat vor allem zwei Gründe. Der eher zweitrangige liegt im unterschiedlichen Wesen und Temperament der beiden Politiker, der gewichtigere wird durch ihr Amt bestimmt. Welche Personen im deutsch-französischen Zusammenspiel aufeinander stießen und miteinander auskommen mussten, das wurde in der Geschichte nicht selten zum Politikum. Beispielgebend waren die Tandems Charles de Gaulle – Konrad Adenauer, Valéry Giscard d‘Estaing – Helmut Schmidt und François Mitterrand – Helmut Kohl. Dass seitdem diese persönliche Seite der Beziehungen an Bedeutung verloren hatte, lag sicher nicht zuletzt daran, dass auf deutscher Seite 16 Jahre lang ein Frau das Amt des Bundeskanzlers bekleidete und die zwar charmanten, aber machistischen französischen Präsidenten ihre Schwierigkeiten damit hatten, sie als gleichgewichtige Partnerin zu respektieren. Angela Merkels Nachfolger dagegen fehlt es vor allem an Charisma, er ist bedächtig, wirkt oft verschlossen oder gehemmt und steht bei Journalisten im Ruf eines »streberhaften Geschäftsführers«.
Dagegen ist Emmanuel Macron nicht nur jung und dynamisch, hochgebildet, kontaktfreudig und redegewandt, sondern er versteht es auch, Gesprächspartner mitzureißen und zu überzeugen. Er scheint von einem Sendungsbewusstsein beseelt zu sein, er müsse den über viele Jahre angesammelten Reformbedarf Frankreichs im Husarenritt abarbeiten und dazu die historische Trennung der politischen Landschaft in Rechts und Links überwinden und alle Kräfte hinter sich scharen, die wie er Frankreich verändern wollen. Allerdings kann er manchmal nicht der Versuchung eines locker hingeworfenen Bonmots widerstehen, so dass er später oft zum Zweck der Schadensbegrenzung zurückrudern muss. Sein Hang zum Originellen geht so weit, dass er kürzlich ein Foto ins Internet stellen ließ, das ihn bei seinem Lieblingssport Boxen zeigt, was sicher als Hieb gegen Putin gedacht war. Von Scholz kann man sich eine solche Foto-Botschaft schwer vorstellen. Der Kanzler spielt auf Zeit und setzt auf langfristige Stabilität, der Präsident dagegen will als Reformer Europas in die Geschichte eingehen. Immerhin haben es die beiden Partner in den zweieinhalb Jahren, die der Bundeskanzler nun schon im Amt ist, gelernt, gemeinsam so aufzutreten, dass zumindest der Eindruck von Übereinstimmung entsteht und möglichst wenig von ihren Differenzen sichtbar wird.
Dass sie trotzdem hin und wieder durchkommen, liegt am unterschiedlichen Charakter ihres Amtes. Der Bundeskanzler bestimmt zwar laut Verfassung die Richtlinien der Politik der Regierung, doch da die meist durch verschiedene Parteien mit oft widerstrebenden Interessen getragen wird, ist er an die in der Koalition ausgehandelten Linien und Ziele gebunden. Ganz anders der französische Präsident. Er hat die volle Richtlinienkompetenz für die Außenpolitik und die Verteidigung, zumal er auch der Oberkommandierende der Streitkräfte des Landes ist und nicht nur einen Krieg erklären, sondern auch die französischen Kernwaffen einsetzen kann, ohne vorher irgend jemanden fragen zu müssen. Erst danach muss er das Parlament informieren, bestimmt die Verfassung.
Diese Machtfülle bringt es mit sich, dass Emmanuel Macron viel offensiver auftritt, auch auf die Gefahr hin, manchmal übers Ziel hinauszuschießen. So hat er 2019 nach eigenmächtigen Operationen der USA im Nahen Osten zum Schaden von Bündnispartnern die Nato für »hirntod« erklärt. Er warnte in diesem Zusammenhang vor der anmaßenden Rolle der USA in der Nato – so wie schon Charles de Gaulle vor mehr als 50 Jahren. Als Konsequenz forderte Macron die Europäer auf, sich »gemeinsam militärisch unabhängig von anderen Partnern zu machen«. Auch auf anderen Ebenen müsse Europa sich »stärker als einheitliche politische Kraft verstehen«. Andernfalls bestehe das Risiko, dass Europa geopolitisch verschwinde und nicht mehr Herr des eigenen Schicksals sei. Dass Europa »sterben kann«, war die zentrale Botschaft seiner zweiten Europa-Rede im vergangenen April an der Pariser Sorbonne.
Ein langjähriger Beobachter der französischen Politik bezeichnet Macron treffend als »wagemutigen Politiker mit einer gewissen Portion Größenwahn, der ausspricht, was ihn umtreibt«. Und das sei vor allem die Sorge, ob sich Europa noch auf die USA und die Nato verlassen könne. Solche Worte hat man von Scholz noch nie gehört. Dieser verlässt sich allerdings auch nicht auf Frankreichs militärische Stärke. Er setzt weiter auf die USA, vermeidet möglichst alles, was den großen Bruder jenseits des Atlantik verstimmen könnte, und lässt dort Waffen kaufen, um die eigene Verteidigung zu sichern. Bei den französischen Nachbarn, die viel Wert auf ihre Unabhängigkeit legen und denen ihre Rüstungsindustrie am Herzen liegt, stößt das auf Unverständnis. Sie fürchten, bei der greifbar nahen Perspektive einer Rückkehr von Trump ins Weiße Haus könnte eine solche blinde Gefolgstreue problematisch werden, denn für den hat Europa keinerlei Priorität. Nicht umsonst drängt Macron heute mehr denn je darauf, endlich die gemeinsame europäische Verteidigung voran zu bringen.
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