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Niedersachsen will Kirchenasyl wieder respektieren

Nach Abschiebung aus Gemeinderäimen: Landesinnenministerin verspricht, künftig auf solche Maßnahmen zu verzichten – mit Einschränkungen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Etwa 15 Polizisten und Mitarbeiter der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen rückten am Abend des 12. Mai in Bienenbüttel bei Uelzen an. Sie holten eine vierköpfige russische Familie aus den Räumen der dortigen Kirchengemeinde heraus und schoben sie noch in der Nacht nach Spanien ab. Das sorgte vielerorts für Betroffenheit und Empörung – auch, weil es sich bei Vater und Sohn um Kriegsdienstverweigerer handelte.

»Wir sind geschockt vom Vorgehen der Landesaufnahmebehörde«, hatte Gemeindepastor Tobias Heyden erklärt. Die Festnahme der Betroffenen an einem Sonntag und die Missachtung des Kirchenasyls hätten die Gemeinde zutiefst erschreckt. Die Abschiebung sei für die Betroffenen traumatisierend gewesen.

Niedersachsens Flüchtlingsrat erinnerte daran, dass es in dem Bundesland zuletzt im Jahr 1998 einen Fall von Räumung eines Kirchenasyls mit anschließender Abschiebung gab. Landesinnenministerin Daniela Behrens (SPD) kündigte nach dem Vorfall ein »zeitnahes« Gespräch mit der Kirche an.

Diese Unterredung fand nun am Dienstag statt. Es nahmen Vertreter der evangelischen Kirche, unter ihnen Landesbischof Ralf Meister, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Landesaufnahmebehörde teil.

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Anschließend verkündete Behrens auf einer Pressekonferenz in Hannover, Eingriffe ins Kirchenasyl solle es nach ihrem Willen in Niedersachsen bis auf Weiteres nicht mehr geben. »Für die niedersächsische Landesregierung und mein Haus ist klar, dass wir das Kirchenasyl anerkennen und dass wir keine Rückführungen oder Überstellungen aus dem Kirchenasyl durchführen wollen.«

Zugleich unterstrich die Ministerin, dass das Land bei Entscheidungen über das Kirchenasyl nicht eingebunden sei. Es fungiere lediglich als Vollzugshelfer und befinde sich in einer »Sandwich-Position« zwischen den Kirchen und dem BAMF. Letztere erkenne nur sehr selten an, dass es sich bei den Kirchenasylen um Härtefälle handele: »Das bringt uns als Land in eine Situation, in der wir Überstellungen wie die der Familie aus Bienenbüttel nach Spanien in Vollzugshilfe für das BAMF trotz menschlicher Härten durchführen müssen.«

Gemeinden, so Behrens, könnten auch in Zukunft »nach sorgfältiger Prüfung und als Gewissensentscheidung« Kirchenasyl gewähren, erklärte Behrens. Dies könne der Fall sein, wenn für die Schutzsuchenden »nachgewiesene Härten für die Gesundheit oder das Leben« bestünden. Ihr sei deshalb sehr daran gelegen, »dass die Kirchen und das BAMF wieder ein gemeinsames Verständnis davon entwickeln, wann ein Härtefall vorliegt«, betonte die Ministerin. Ziel müsse eine Wiederauflage des 2015 zwischen Kirche und BAMF vereinbarten sogenannten Dossierverfahrens sein.

Nach dieser Absprache kann die Kirche Dossiers über besondere Härtefälle beim BAMF einreichen, um eine Anerkennung des Asyls zu erwirken. Nach Auffassung des BAMF lag bei der aus Bienenbüttel abgeschobenen Familie, die in Deutschland Asyl beantragt hatte, kein Härtefall vor. Die Eltern und ihre beiden Kinder wurden nach Barcelona geflogen, weil sie über Spanien in die EU eingereist waren.

Bischof Meister bezeichnete die Beendigung des Bienenbütteler Kirchenasyls am Dienstag als »schmerzliche und schockierende Erfahrung«. Ein solches Vorgehen ohne vorherige Absprachen mit der Kirche sei für die geflüchteten Menschen eine große Härte und auch für die betreuenden Personen in der Gemeinde erschütternd.

»Kirchengemeinden werden auch in Zukunft nach sorgfältiger Prüfung und als Gewissensentscheidung Kirchenasyl gewähren«, betonte Meister. »Aus christlicher Sicht ist das dann der Fall, wenn für die schutzsuchenden Menschen Härten für die Gesundheit, das Leben oder die Psyche bestehen.« Kirchenasyle würden aus »christlicher und humaner Überzeugung« gewährt, sagte Meister. Kirche und BAMF wollen die Gespräche bald fortsetzen.

Die Zahl der Menschen im Kirchenasyl ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Allein in Niedersachsen waren es nach Zahlen des BAMF im vergangenen Jahr 137 Fälle mit 159 Personen, im ersten Quartal 2024 gab es demnach 34 Fälle von Kirchenasyl mit 39 Personen. 2022 waren es 65 Fälle mit 82 Menschen gewesen.

Bundesweit wurde nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche 2023 die bisherige Höchstzahl von rund 2000 Kirchenasylen erreicht. In etwa 95 Prozent der aktuellen Fälle geht es nicht um Abschiebungen in die Herkunftsländer, sondern um Überstellungen in ein anderes europäisches Land auf Basis der Dublin-Verordnungen der EU. Demnach ist das EU-Mitglied für Asylsuchende zuständig, in das diese zuerst eingereist sind.

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